Verfahrensgang
LG Kassel (Urteil vom 29.05.2019; Aktenzeichen 3640 Js 38463/18 5 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 29. Mai 2019, soweit es ihn betrifft, im Maßregelausspruch und in der Anordnung über den Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung, Verbrechensverabredung und wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Regelung über den Vorwegvollzug getroffen. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs und der Anordnung über den Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 2
1. Die Verfahrensrüge ist entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht näher ausgeführt und daher unzulässig.
Rz. 3
2. Schuld- und Strafausspruch weisen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf. Der Senat sieht keinen Anlass zu einer Schuldspruchberichtigung; er ist im Übrigen trotz eines entsprechenden Antrags des Generalbundesanwalts nicht gehindert, im Beschlussverfahren zu entscheiden, weil es sich insoweit nicht um einen zu Gunsten des Angeklagten wirkenden Antrag handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Mai 2011 – 5 StR 111/11).
Rz. 4
3. Hingegen hält der Maßregelausspruch rechtlicher Nachprüfung nicht stand; dies führt auch zum Entfallen der Anordnung über den Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe.
Rz. 5
Der Generalbundesanwalt hat hierzu wie folgt ausgeführt:
„1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begann der Angeklagte nach dem Erreichen des Hauptschulabschlusses mit dem Konsum von Cannabis und schließlich auch Heroin, was zur Folge hatte, dass seine Großmutter ihn nicht mehr bei sich beherbergen wollte, so dass er zu seinem Bruder nach K. zog und seine Ausbildung abbrach. Dort bezog er Sozialleistungen und besserte seinen Lebensunterhalt mit dem Handel von Betäubungsmitteln auf (UA S. 4). Im Alter von 17 Jahren wurde er erstmalig straffällig, wobei es auch zu Betäubungsmitteldelikten kam (UA S. 4 f.). Im Alter von 18 Jahren erhielt er eine Jugendstrafe von einem Jahr wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Eine Rückstellung nach § 35 BtMG wurde widerrufen, weil der Angeklagte die Therapie nach einer Woche abbrach (UA S. 5, 6). Es folgten zahlreiche Vorstrafen, wobei noch fünf weitere Mal eine Rückstellung gemäß § 35 Betäubungsmittelgesetz erfolgte, welche jedes Mal widerrufen werden musste (UA S. 5 f.). Die Therapiedauern betrugen dabei vier Wochen, sechs Wochen, zweieinhalb Monate und zwei Wochen, eine weitere freiwillige Therapie dauerte drei Wochen an (UA S. 6 f.). Anschließend wurde der Angeklagte mit Methadon substituiert, wobei es zu einem Beikonsum von täglich einem bis eineinhalb Gramm Heroin kam (UA S. 7). Die Tat II.4 der Urteilsgründe beging der Angeklagte im Zusammenhang mit seiner Substitutionsbehandlung (UA S. 41 ff.).
2. Angesichts dieser außerordentlich ungünstigen Umstände, die gegen einen mehr als nur kurzfristigen Behandlungserfolg sprechen, ist allein die Erklärung des Angeklagten, ihm sei klar geworden, dass er bei einer Therapie nicht dauerhaft substituiert werde und dass eine Therapie im Rahmen des § 64 StGB eine Chance für ihn sei, dauerhaft an seinem Leben etwas zu ändern, so dass er auf jeden Fall eine Therapiemaßnahme im Rahmen des § 64 StGB versuchen wolle (UA S. 101), nicht geeignet, eine konkrete Erfolgsaussicht der angeordneten Maßregel im Sinne des § 64 Satz 2 StGB zu begründen (vgl. Senat, Beschluss vom 9. April 2019 – 2 StR 518/18; BeckRS 2019, 10180).
Wenngleich nicht jedes Risiko, dass in einer Entziehungsanstalt ein nachhaltiger Behandlungserfolg nicht erzielt wird, zugleich bedeutet, dass es an einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht fehlt (vgl. BGH, Beschluss vom 22. März 2017 – 3 StR 38/17, NStZ-RR 2017, 283, 284), hätte es hier, insbesondere im Hinblick auf die in der Vergangenheit gescheiterten Therapien, der eingehenden Darlegung der für eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht sprechenden Gesichtspunkte unter Mitteilung der diesbezüglichen Ausführungen des von der Strafkammer hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen bedurft (st. Rspr.; vgl. Senat, aaO). Die Strafkammer wäre gehalten gewesen, das Risiko eines Scheiterns der Behandlung – als mehr oder weniger hoch bzw. gering – konkret zu gewichten, um die Behandlungsaussichten nachvollziehbar zu bewerten. Dabei wären in die Beurteilung die im Urteilszeitpunkt gegebenen prognosegünstigen (bekundete Therapiebereitschaft) und auch die prognoseungünstigen Faktoren (insbesondere langjährige Drogenabhängigkeit, mehrfache erfolglose Therapien) einzubeziehen gewesen.
Die danach erforderliche Abwägung kann nicht durch den bloßen Hinweis der Strafkammer auf die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ersetzt werden (vgl. Senat, Beschluss vom 9. April 2019 – 2 StR 518/18; BeckRS 2019, 10180).”
Rz. 6
Dem kann sich der Senat nicht verschließen.
Unterschriften
Franke, Krehl, Eschelbach, Zeng, Meyberg
Fundstellen
Haufe-Index 14052063 |
NStZ-RR 2020, 338 |