Verfahrensgang
LG Konstanz (Urteil vom 13.12.2017) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten C. wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 13. Dezember 2017, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten C. und die Revision der Angeklagten M. werden verworfen.
3. Die Angeklagte M. hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten C. wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten
verurteilt und „die Zustimmung gemäß § 35 BtMG (…) schon jetzt erteilt”. Die Angeklagte M. hat es – ohne von einer Bandenmitgliedschaft auszugehen – wegen Beihilfe zu den Taten des Angeklagten C. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Mit ihren Revisionen rügen beide Angeklagten jeweils die Verletzung sachlichen Rechts.
I.
Rz. 2
1. Das Rechtsmittel des Angeklagten C. ist im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, soweit es sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet. Dagegen hat das Urteil keinen Bestand, soweit das Landgericht von einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB abgesehen hat.
Rz. 3
a) Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit seinem 20. Lebensjahr regelmäßig zunächst Haschisch, dann auch Speed und Ecstasy. Seit 2008 kam der Konsum von Kokain hinzu, der sich bis zu eineinhalb Gramm täglich steigerte und bis zur Inhaftierung in dieser Sache andauerte. 2015 musste er sich als Folge des Kokainkonsums einer Operation an der Nasenscheidewand unterziehen. Für die Zeit nach seiner Inhaftierung berichtete der Angeklagte von einem gesteigerten Schlafbedürfnis sowie von starkem Schwitzen; eine medizinische Behandlung war indes nicht erforderlich. Im Oktober 2016 traf der arbeitslose Angeklagte, der Schulden von etwa 70.000 EUR hatte, mit drei Mitangeklagten eine Absprache dahin, bis auf Weiteres Betäubungsmittel im großen Stil zu vertreiben.
Rz. 4
Das sachverständig beratene Landgericht hat beim Angeklagten den für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) erforderlichen Hang, im Übermaß berauschende Mittel zu sich zu nehmen, schon mit Blick auf fehlende Anhaltspunkte für eine Einschränkung seiner Arbeits- und Leistungsfähigkeit nicht festzustellen vermocht. Entsprechendes gelte für Anzeichen physischer oder psychischer Verwahrlosung, für Verhaltensauffälligkeiten sowie Rauschzustände.
Rz. 5
b) Diese Erwägungen erweisen sich schon deswegen als durchgreifend rechtsfehlerhaft, weil das Landgericht an anderer Stelle davon ausgegangen ist, dass die Taten vor dem Hintergrund des eigenen Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten begangen wurden, weshalb die Zustimmung nach § 35 BtMG erteilt werde. Denn damit hat die Strafkammer der Sache nach und im Widerspruch zu den Ausführungen zur Unterbringung nach § 64 StGB nicht nur den Hang des Angeklagten bejaht, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, sondern auch den symptomatischen Zusammenhang zwischen seiner Abhängigkeit und den begangenen Straftaten.
Rz. 6
Es kommt hinzu, dass eine Unterbringung nach § 64 StGB einer etwaigen Maßnahme nach § 35 BtMG vorgeht. Hieran hat sich auch durch die Neufassung des § 64 StGB durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I, S. 1327) nichts geändert. Zwar ist § 64 StGB dadurch von einer Muss- in eine Sollvorschrift geändert worden. Dies macht die Prüfung der Unterbringungsvoraussetzungen durch den Tatrichter jedoch nicht entbehrlich. Dieser muss vielmehr das Ermessen tatsächlich ausüben und die Ermessensentscheidung für das Revisionsgericht nachprüfbar in den Urteilsgründen darlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2007 – 3 StR 452/07, NStZ-RR 2008, 73 f.).
Rz. 7
c) Dass die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB (Gefährlichkeitsprognose, Erfolgsaussicht) nicht erfüllt sind, kann dem Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnommen werden. Über die Maßregelanordnung ist daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) neu zu entscheiden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht der Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5; Beschluss vom 19. Dezember 2007 – 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch den Tatrichter auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.).
Rz. 8
2. Der gesamte Strafausspruch kann bestehen bleiben. Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Strafen erkannt hätte.
II.
Rz. 9
Die Revision der Angeklagten M. ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 10
Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hat weder im Schuld- noch im Strafausspruch einen die Angeklagte beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Franke, Quentin, Feilcke
Fundstellen
Dokument-Index HI11927318 |