Leitsatz (amtlich)
›Das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde des Betroffenen gegen eine Durchsuchungsanordnung des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs entfällt grundsätzlich, wenn der Generalbundesanwalt die richterliche Beschlagnahme der bei der Durchsuchung sichergestellten Gegenstände beantragt hat.‹
Verfahrensgang
Gründe
Der Generalbundesanwalt führt gegen B. u.a. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mitgliedschaftlichen Beteiligung in der terroristischen Vereinigung "antiimperialistische widerstandszelle nadia shehadah", später umbenannt in "Antiimperialistische Zelle (AIZ)" (im folgenden: AIZ), die aufgrund entsprechender Bekennerschreiben ihrerseits im Verdacht steht, seit November 1992 mehrere Brand- und Sprengstoffanschläge in der Bundesrepublik verübt zu haben. Mit Beschluß vom 6. Juni 1995 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs gemäß § 102 StPO die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers sowie der von ihm betriebenen Druckerei, seiner Person und der ihm gehörenden Sachen einschließlich eines näher bezeichneten, auf ihn zugelassenen Pkw's zum Zwecke des Auffindens von Beweismitteln angeordnet. Bei der am 13. Juni 1995 durchgeführten Durchsuchung wurden in der Wohnung des Verdächtigen außer einer Computer-Festplatte und Computer-Disketten sowie weiteren Gegenständen u.a. auch die Kopie eines Bekennerschreibens zu dem der AIZ zugerechneten Sprengstoffanschlag auf das Wohnhaus des Bundestagsabgeordneten Prof. Dr. Bl. in am 23. April 1995 sowie eine Sammlung von Flugblättern und Broschüren sichergestellt, die den "Kampf" der "Autonomen" und "Antiimperialisten" betreffen. Auch im Druckereibetrieb des Verdächtigen wurden zahlreiche Gegenstände sichergestellt, darunter Computer, Computerteile, eine Vielzahl von Disketten, Druckfolien und Druckvorlagen (u.a. auch für türkische Ausweispapiere).
Gegen die Durchsuchungsanordnung wendet sich der Verdächtige O. mit der Beschwerde.
1. Das Rechtsmittel ist wegen sog. prozessualer Überholung unzulässig. Nach ständiger, vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 49, 329 ff.) gebilligter Rechtsprechung entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde gegen eine Durchsuchungsanordnung, wenn diese Maßnahme durch den Vollzug ihren rechtlichen Abschluß in dem Sinne gefunden hat, daß Eingriffswirkungen, die durch die Aufhebung der Durchsuchungsanordnung und ihres Vollzugs beseitigt werden könnten, nicht mehr bestehen (vgl. u.a. BGHSt 36, 30, 31 f.; Senatsbeschlüsse vom 28. Juni 1995 - StB 21/95, vom 4. Mai 1994 - StB 9/94, vom 24. April 1992 - StB 4/92 - und vom 18. November 1991 - StB 28/91, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die bloße Feststellung der Rechtswidrigkeit einer richterlichen Maßnahme, von der nach ihrem Vollzug keine weitere Eingriffswirkung ausgeht, ist nach der Systematik des strafprozessualen Rechtsmittelrechts grundsätzlich kein zulässiges Ziel der Beschwerde im Strafverfahren (vgl. Senatsbeschluß vom 18. November 1991 - StB 28/91).
a) Im dargelegten Sinn rechtlich abgeschlossen ist die Durchsuchung zweifelsfrei dann, wenn sie ohne Sicherstellung vollzogen worden ist oder wenn die bei ihrem Vollzug sichergestellten Gegenstände an den Verdächtigen (§ 102 StPO) oder den betroffenen Dritten (§ 103 StPO) wieder herausgegeben worden sind. Letzteres ist hinsichtlich der in den Rückgabebestätigungen vom 23., 26., 27. und 28. Juni 1995 aufgeführten Gegenstände (u.a. Druckfolien und Computer sowie Computerteile) der Fall.
b) Aber auch in bezug auf die übrigen am 13. Juni 1995 beim Beschwerdeführer erfolgten Sicherstellungen hat die Durchsuchung durch den Antrag des Generalbundesanwalts auf richterliche Beschlagnahme dieser nicht freigegebenen Gegenstände (darunter eine Vielzahl von Disketten) mit der Folge ihren Abschluß gefunden, daß das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde insgesamt entfallen ist. Dies ergibt sich aus folgendem:
aa) An die Durchführung einer Durchsuchung schließt sich, wenn Gegenstände vorgefunden werden, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, deren Sicherstellung an, die bei fehlendem Einverständnis des Gewahrsamsinhabers durch die Beschlagnahme anzuordnen ist (§ 94 StPO). Die allein fortdauernde, im Sachentzug bestehende Eingriffswirkung, die für den Verdächtigen oder betroffenen Dritten noch aus der Durchsuchung mittelbar folgt, beruht dann auf einem neuen Rechtsgrund, der Beschlagnahmeanordnung, die ihrerseits im Wege anderer Rechtsschutzmöglichkeiten angegriffen werden kann. Das berechtigt dazu, der Beschlagnahme eine die Durchsuchung rechtlich beendigende Wirkung beizumessen und den Betroffenen wegen der fortdauernden Eingriffswirkung auf die Rechtsbehelfe gegen die Beschlagnahmeanordnung zu verweisen. Dementsprechend hat der Senat das Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung für den Fall verneint, daß nach durchgeführter Durchsuchung die sichergestellten Gegenstände richterlich beschlagnahmt wurden (Senatsbeschluß vom 28. Juni 1995 - StB 21/95).
bb) Im Ergebnis das gleiche muß aber auch schon gelten, wenn die Staatsanwaltschaft Antrag auf gerichtliche Beschlagnahme der sichergestellten Gegenstände gestellt hat. Diese Gleichbehandlung ist geboten, weil durch sie eine sachgerechte Abgrenzung der Rechtsschutzmöglichkeiten bei Durchsuchung und anschließender Beschlagnahme ermöglicht wird.
Führt die Durchsuchung, wie dies hier der Fall war, zunächst noch nicht zur Beschlagnahme, sondern lediglich zur vorläufigen Sicherstellung von schriftlichen Unterlagen zur Durchsicht nach § 110 StPO, so ist diese Phase noch zum Vollzug der Durchsuchungsanordnung zu rechnen, so daß die Beschwerdemöglichkeit gegen den Durchsuchungsbefehl fortbesteht (vgl. BGH - Ermittlungsrichter - StV 1988, 90; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. § 105 Rdn. 15 m.w.N.). In diesem Stadium des Verfahrens soll der Staatsanwaltschaft Gelegenheit zur Klärung und Entscheidung gegeben werden, ob die vorläufig sichergestellten Unterlagen zurückzugeben sind oder die richterliche Beschlagnahme zu erwirken ist. In welchem Umfang die inhaltliche Durchsicht des u.U. umfangreichen Schriftguts notwendig ist, wie sie im Rahmen von § 110 StPO im einzelnen gestaltet wird und wann sie zu beenden ist, unterliegt zunächst der Entscheidung der Staatsanwaltschaft. Bei deren gerichtlicher Überprüfung wird der eigenverantwortlichen Stellung, die der Strafverfolgungsbehörde nach Sinn und Entstehungsgeschichte des § 110 StPO in der jetzt geltenden Fassung insoweit zukommt, durch Zubilligung eines gewissen Ermessensspielraums innerhalb der insbesondere durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gesetzten rechtlichen Grenzen Rechnung getragen werden müssen. Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob zu den Unterlagen, für die die Regelung des § 110 StPO gilt, generell alle Träger elektronischer Datenverarbeitung, wie sie im vorliegenden Fall in einer Vielzahl sichergestellt wurden, zu rechnen sind (vgl. BGH - Ermittlungsrichter - StV 1988, 90; Nack in KK-StPO 3. Aufl. § 110 Rdn. 2; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 42. Aufl. § 110 Rdn. 1, jeweils m.w.N.) oder ob dies nur unter der Voraussetzung gilt, daß die Informationsträger in vergleichbarer Weise wie schriftliche Unterlagen ohne besondere Schwierigkeit und ohne größeren Zeitaufwand "lesbar" sind. Jedenfalls ist die Prüfungsphase nach § 110 StPO und damit der Vollzug der Durchsuchungsanordnung dann abgeschlossen, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Entscheidung über den weiteren Verbleib der sichergestellten Gegenstände, wie dies hier geschehen ist, getroffen hat, indem sie entweder die Gegenstände freigibt, oder deren richterliche Beschlagnahme beantragt. Über die Rechtmäßigkeit der allein verbleibenden, im weiteren Sachentzug bestehenden Eingriffswirkung entscheidet dann der für die Beschlagnahmeanordnung zuständige Ermittlungsrichter. Er hat dabei, insbesondere was den Verdachtsgrad und die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angeht, keine geringeren, sondern eher höhere rechtliche Anforderungen zu beachten, als dies bei der Überprüfung der Durchsuchungsanordnung der Fall ist. Der nach § 98 StPO gegebene Rechtsschutz (mit anschließender Beschwerdemöglichkeit) bleibt daher hinter dem durch die Beschwerde gegen die (vollzogene) Durchsuchungsanordnung gegebenen nicht zurück. Er verdient vielmehr den Vorzug. Denn der nach § 98 Abs. 1 StPO zuständige Richter ist regelmäßig sachverhaltsnäher als das Beschwerdegericht. Auch kann so der Gefahr sachlich widersprechender Entscheidungen begegnet werden, zu denen es im Falle der Konkurrenz zwischen Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung und anstehender richterlicher Entscheidung über die Beschlagnahme kommen kann.
Eine dem Sinn des Art. 19 Abs. 4 GG widersprechende Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten für den Verdächtigen oder den betroffenen Dritten ergibt sich aus der dargelegten Beurteilung nach allem nicht. Auch unter dem Gesichtspunkt des § 110 StPO wird der Betroffene nicht benachteiligt. Entschließt sich nämlich die Strafverfolgungsbehörde ohne ausreichende inhaltliche Durchsicht zum Antrag auf richterliche Beschlagnahme, läuft sie wegen Fehlens entsprechender Darlegungen (etwa zum Inhalt von Datenträgern) Gefahr, daß im gerichtlichen Verfahren nach § 98 Abs. 1 die für die Beschlagnahme erforderliche potentielle Beweisbedeutung verneint oder die richterliche Beschlagnahme wegen zu weit reichenden und damit unverhältnismäßigen Eingriffs abgelehnt wird. Eine Umgehung des § 110 StPO zu dem Zweck, die Beschwerdemöglichkeit gegen die Durchsuchungsanordnung zu verkürzen, ist unter diesen Umständen nicht zu besorgen.
c) In allen Fällen rechtlicher Beendigung der Durchsuchung gilt, daß unter besonderen Voraussetzungen ein fortwirkendes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchungsanordnung anzuerkennen ist, zu dessen Verfolgung die Beschwerde trotz Vollzugs der Maßnahme ausnahmsweise zulässig ist (vgl. BGHSt 36, 30, 32 f; 36, 242, 245 ff.; 37, 79, 84). Diese besonderen Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor.
2. Die Beschwerde hätte aber auch im Falle ihrer Zulässigkeit nicht durchdringen können. Die Durchsuchungsanordnung weist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keine Mängel auf, welche ihre Aufhebung notwendig gemacht hätten.
Das dem Beschwerdeführer im Sinne eines Anfangsverdachts zur Last gelegte strafbare Verhalten ist nicht nur rechtlich als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (§ 129 a StGB), sondern auch in tatsächlicher Hinsicht ausreichend gekennzeichnet durch die dem damaligen Ermittlungsstand entsprechende Schilderung der der AIZ aufgrund von Bekennerschreiben zugerechneten Brand- und Sprengstoffanschläge und durch den Hinweis auf die im Sinne eines Anfangsverdachts angenommene Beteiligung des Beschwerdeführers durch die Herstellung schriftlicher Äußerungen für die AIZ. Angesichts der hohen Gefährlichkeit dieser Straftaten, des daraus folgenden Gewichts des Aufklärungsinteresses sowie der besonderen Ermittlungsschwierigkeiten im Bereich der terroristischen Kriminalität reichten die in der Durchsuchungsanordnung genannten Verdachtsgründe für die Maßnahme der Durchsuchung aus. Dies gilt auch bei Berücksichtigung der Anforderungen, die gerade in Fällen der Durchsuchung eines Gewerbebetriebs, zumal im Bereich der Presse und des Druckereiwesens, zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu stellen sind. Die Verhältnismäßigkeit der weiteren Sicherstellung der vom Beschlagnahmeantrag erfaßten Gegenstände wird im Verfahren nach § 98 Abs. 1 StPO zu prüfen sein. Die Beweismittel, zu deren Auffindung die Durchsuchung dienen sollte, sind zwar in der Durchsuchungsanordnung nicht, auch nicht beispielhaft gekennzeichnet. Dies erweist sich jedoch im Ergebnis als unschädlich, weil aus der Art der zur Last gelegten Straftat und der für den Beschwerdeführer aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit in Betracht kommenden Beteiligung eine hinreichende Konkretisierung auch unausgesprochen folgt.
Fundstellen
Haufe-Index 2993352 |
NJW 1995, 3397 |
CR 1996, 35 |
MDR 1995, 1158 |
StV 1995, 622 |