Leitsatz (amtlich)

›Ein nicht verkündetes Urteil kann auch dann mit der Berufung angefochten werden, wenn deren Zulässigkeitsvoraussetzungen im übrigen nicht gegeben sind.‹

 

Verfahrensgang

AG Eckernförde

Schleswig-Holsteinisches OLG

 

Gründe

I. Die Kläger verlangen nach fristloser Kündigung des mit dem Beklagten eingegangenen Pachtverhältnisses die Herausgabe von Hofflächen und dazugehörenden Gebäuden. Das Landwirtschaftsgericht hat nach mündlicher Verhandlung vom 24. September 1993 der Klage entsprochen und das Urteil dem - von Amts wegen bestellten - Prozeßpfleger des Beklagten am 5. Oktober 1993 zugestellt. Gegen das Urteil hat der Beklagte persönlich am 14. Oktober 1993 zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landwirtschaftsgerichts "Rechtsmittel" eingelegt. Durch Beschluß vom 10. Juni 1994 hat das Oberlandesgericht das als Berufung angesehene Rechtsmittel verworfen. Gegen diese dem Prozeßpfleger am 20. Juni 1994 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 4. Juli 1994 bei dem Oberlandesgericht eingegangene und von dem Beklagten wiederum persönlich eingelegte sofortige Beschwerde.

II. Die sofortige Beschwerde ist statthaft (§ 519 b Abs. 2 ZPO) und fristgerecht erhoben. Sie konnte gemäß § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch ohne anwaltliche Vertretung eingelegt werden, weil der Rechtsstreit ein Verfahren im Sinne von § 1 Nr. 1 a LwVG zum Gegenstand hat und deswegen im ersten Rechtszug vor dem Landwirtschaftsgericht (§ 2 Abs. 1 LwVG) nicht als Anwaltsprozeß zu führen war (§ 48 Abs. 1 LwVG i.V.m. § 78 Abs. 1 ZPO). § 29 LwVG, wonach im Verfahren des Bundesgerichtshofes die Beteiligten sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, findet insoweit nach § 48 LwVG keine Anwendung.

Die Einlegung der sofortigen Beschwerde bedurfte auch nicht der Mitwirkung des für den Beklagten bestellten Prozeßpflegers. Da dieser untätig geblieben ist, durfte der Beklagte das Verfahren selbst weiterbetreiben und das Rechtsmittel einlegen (BGH, Urt. v. 14. Juli 1966, IV ZR 37/65, NJW 1966, 2210). Dabei spielt es keine Rolle, daß der Beklagte sich nicht ausdrücklich gegen seine vom Berufungsgericht unterstellte Prozeßunfähigkeit wendet. Denn abgesehen davon, daß die Beschwerde überhaupt keiner Begründung bedarf (MünchKomm-ZPO/Braun, § 569 Rdn. 3), muß der Partei die Nachprüfung ihrer Prozeßfähigkeit durch das Revisionsgericht zumindest dann offengehalten werden, wenn der Prozeßpfleger - wie hier - untätig bleibt. Sie wird in diesem Fall solange und insoweit als prozeßfähig behandelt, als es um die Prozeßfähigkeit geht und hierüber nicht abschließend entschieden worden ist. Ist der Rechtsmittelzug aber erst einmal eröffnet, betrifft die von Amts wegen anzustellende Prüfung der Prozeßfähigkeit nicht mehr die Zulässigkeit, sondern die Begründetheit des Rechtsmittels (Bork, Anm. zu BGHZ 110, 294 in ZZP 103, 468, 469; a.A. MünchKomm-ZPO/Lindacher, § 57 Rdn. 22).

III. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Obwohl der Beklagte nur zur Klärung seiner Prozeßfähigkeit zum Beschwerdeverfahren zugelassen ist, bedarf es zu dieser Frage keiner Entscheidung. Denn das Landwirtschaftsgericht hat das Verfahren im ersten Rechtszug noch gar nicht zum Abschluß gebracht. Es hat seine Entscheidung nicht verkündet, so daß es sich bei dem den Parteien zugestellten Schriftstück in Wahrheit nur um einen Urteilsentwurf handelt, der auch nicht Gegenstand einer die Berufungsfrist des § 516 ZPO in Lauf setzenden wirksamen Zustellung sein konnte (BGH, Beschl. v. 16. Oktober 1984, VI ZR 25/83, VersR 1984, 1192, 1193). Gegen ein solches Scheinurteil kann zwar Berufung eingelegt werden (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, § 511 Rdn. 9 f.). Da hiermit aber nur der Rechtsschein eines Urteils beseitigt werden soll, kann eine dahingehende klarstellende Entscheidung des Rechtsmittelgerichts nicht vom Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen eines echten Rechtsmittelverfahrens abhängen. Das Berufungsgericht hätte daher mangels einer abschließenden erstinstanzlichen Entscheidung das als Berufung angesehene Rechtsmittel nicht als unzulässig verwerfen dürfen, sondern die (Noch-)Nichtexistenz eines erstinstanzlichen Urteils durch die Aufhebung der den Parteien zugegangenen Entscheidung klarstellen und die Sache an das erstinstanzliche Gericht zwecks Beendigung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zurückverweisen müssen (BGHZ 32, 370, 375; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, § 511 Rdn. 9).

Entsprechend hat nun der Senat zu verfahren. Bei der nachzuholenden Entscheidung wird das Landwirtschaftsgericht zu berücksichtigen haben, daß die von Amts wegen erfolgte Bestellung eines Prozeßpflegers nicht den Anforderungen des § 57 ZPO entspricht.

Von der Erhebung von Gerichtskosten wird gemäß § 8 GKG abgesehen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993298

NJW 1995, 404

BGHR ZPO § 51 Abs. 1 Prozeßfähigkeit 4

BGHR ZPO vor § 1 Scheinurteil 1

NJW-RR 1995, 575

MDR 1995, 89

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