Verfahrensgang
LG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 09.03.2009) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. März 2009 mit den Feststellungen aufgehoben,
- soweit der Angeklagte wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (Fall II. 3 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
- im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Bedrohung und Beleidigung unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang mit der Sachrüge Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das Landgericht wegen Beleidigung und Bedrohung (Fälle II. 1 und 2 der Urteilsgründe) verurteilt hat. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 19. August 2009.
Rz. 3
2. Dagegen hält die Verurteilung des Angeklagten wegen (vorsätzlichen) gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB) der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 4
a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen stellte der Angeklagte der Nebenklägerin, seiner früheren Lebensgefährtin, wiederholt nach, nachdem sie die Beziehung zu ihm beendet hatte. Als die Nebenklägerin am Vorfallstag gegen 14.30 Uhr mit ihrem Pkw ihre Arbeitsstätte in S. verlassen hatte, um nach Hause zu fahren, kam ihr noch innerorts der Angeklagte mit seinem Pkw entgegen. Der Angeklagte erkannte die Nebenklägerin in ihrem Pkw und lenkte seinen Pkw bewusst auf die Gegenfahrbahn. Dies entsprach seiner früheren Ankündigung: „Wenn ich Dich fahren sehe, fahre ich drauf zu, auch wenn wir beide in den Himmel kommen”. Der Angeklagte beschleunigte seinen Pkw. „Ihm war auf Grund seiner gemachten Äußerung und dem Beschleunigen seines Fahrzeuges klar, dass zumindest die Möglichkeit eines Frontalzusammenstoßes der Kraftfahrzeuge mit der Gefahr der Lebensgefährdung für die [Nebenklägerin] bestand, jedoch wollte er keinen konkreten Unfall mit schwerwiegenden Folgen für den Unfallgegner herbeiführen”. Die Nebenklägerin, die mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 km/h fuhr, sah den auf sie zufahrenden Pkw des Angeklagten und lenkte ihren Pkw nach rechts, um einen Unfall zu vermeiden. Auch der Angeklagte lenkte seinen Pkw nach rechts. Beide Fahrzeuge fuhren aneinander vorbei. „Wäre auch nur ein Kraftfahrzeug nicht nach rechts ausgewichen, wäre es zu einem Zusammenstoß der Kraftfahrzeuge gekommen”.
Rz. 5
b) Diese Feststellungen belegen die für die Annahme einer vollendeten Tat nach § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB vorausgesetzte Herbeiführung einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert nicht. Nach gefestigter Rechtsprechung muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (Senat, Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131 f., zu § 315 c StGB und Urteil vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NJW 1996, 329 f., zu § 315 b StGB).
Rz. 6
Nach den dazu entwickelten Maßstäben genügen die Feststellungen des Landgerichts den Anforderungen zur Darlegung einer konkreten Gefahr nicht. Ein Verkehrsvorgang, bei dem es zu einem „Beinahe-Unfall” gekommen wäre – also ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, „das sei noch einmal gut gegangen” (Senat aaO) –, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Dass sich beide Fahrzeuge beim Gegenverkehr in enger räumlicher Nähe zueinander befunden haben, genügt für sich allein nicht. Insbesondere belegen die bisher getroffenen Feststellungen nicht, dass es dem Angeklagten und der Nebenklägerin etwa nur auf Grund überdurchschnittlich guter Reaktion sozusagen im allerletzten Moment gelungen ist, einer sonst drohenden Kollision durch Ausweichen zu begegnen. Vielmehr legen die Feststellungen nahe, dass die Nebenklägerin noch ohne Weiteres nach rechts ausweichen konnte, bevor eine kritische Situation im Sinne des „Beinahe-Unfalls” entstanden war. Verhielte es sich so, fehlte es an einer bereits eingetretenen konkreten Gefahr im Sinne des § 315 b Abs. 1 StGB und es käme deshalb nur eine Strafbarkeit wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr nach Absatz 2 der Vorschrift in Betracht (vgl. Senat, Urteil vom 4. September 1995, aaO).
Rz. 7
c) Der neue Tatrichter wird deshalb zunächst die Verkehrssituation, in der sich die beiden beteiligten Fahrzeuge bei ihrer Annäherung im Vorfallszeitpunkt befanden, tunlichst unter Hinzuziehung eines Sachverständigen für Verkehrsunfallrekonstruktion, näher aufzuklären haben. Auch wenn an die diesbezüglichen Feststellungen im Urteil keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Senat, NJW 1995 aaO), wird sich der Tatrichter um nähere Ermittlung der von beiden Fahrzeugen im Vorfallszeitpunkt gefahrenen Geschwindigkeiten, ihrer Entfernung zueinander unmittelbar vor der Einleitung der Ausweichbewegungen, zur Breite der Fahrbahn und der am Vorfallsort bestehenden Ausweichmöglichkeiten zu bemühen und das Ergebnis in einer Weise im Urteil darzulegen haben, die dem Revisionsgericht eine Nachprüfung ermöglicht, ob eine – wie beschrieben – konkrete Gefahr im Sinne eines „Beinahe-Unfalls” bereits vorlag. Vermag der neue Tatrichter eine dahingehende Feststellung nicht zu treffen, so wird er bei der Prüfung einer Versuchsstrafbarkeit nach § 315 b Abs. 2 StGB zu bedenken haben, dass für die subjektive Tatseite ein bloßer Gefährdungsvorsatz, wie ihn das Landgericht angesichts der Formulierung auf UA 11 möglicherweise als ausreichend erachtet hat, nicht genügt, vielmehr der Täter mit – mindestens bedingtem – Schädigungsvorsatz handeln muss (Senat, BGHSt 48, 233, 237 f.). Schließlich wird auch zu prüfen sein, ob der Angeklagte von einem Versuch nach § 315 b Abs. 2 StGB mit strafbefreiender Wirkung gemäß § 24 Abs. 1 StGB zurückgetreten ist, indem er seinerseits nach rechts ausgewichen ist und dadurch eine Kollision beider Fahrzeuge verhindert hat. Im Übrigen kommt unabhängig von einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 315 b StGB eine Verurteilung des Angeklagten jedenfalls wegen vollendeter Nötigung (§ 240 Abs. 1 und 2 StGB) in Betracht (zur Konkurrenz mit § 315 b StGB – Tateinheit – Senat, BGHSt 48, 233, 237 f.; König in LK-StGB 12. Aufl. § 315 b Rdn. 93). Denn der Angeklagte hat nach den bisher getroffenen Feststellungen durch sein Verhalten die Nebenklägerin mit Gewalt zum Ausweichen gezwungen.
Rz. 8
3. Die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zieht die Aufhebung der insoweit erkannten Einzelstrafe von einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe, die zugleich die Einsatzstrafe bildet, nach sich. Dies hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs zur Folge, über den ebenfalls neu zu verhandeln und zu entscheiden ist.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Athing, Ernemann, Franke
Fundstellen
Haufe-Index 2562473 |
JuS 2010, 364 |
StRR 2010, 71 |
VRA 2010, 29 |
VRR 2010, 70 |
NRÜ 2010, 124 |