Entscheidungsstichwort (Thema)
schwerer räuberischer Diebstahl
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 27. Juli 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.
Die Begründung, mit der das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Tat ausgeschlossen hat, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zur Begründung, der Angeklagte sei nur „leicht alkoholisiert” gewesen, teilt das Urteil lediglich den durch Blutentnahme eine Stunde und 53 Minuten nach der Tat festgestellten Blutalkoholwert sowie die Bekundungen von vier Personen mit, die den Angeklagten bei der Tat oder tatzeitnah beobachtet und dabei nur eine „Alkoholfahne” und keine alkoholbedingten Ausfallerscheinungen bemerkt hatten. Dies reicht unter den hier gegebenen Umständen nicht aus.
Das Landgericht hat in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt, von welcher Blutalkoholkonzentration beim Angeklagten zur Tatzeit es ausgegangen ist. Es ist deshalb schon nicht ersichtlich, ob das Landgericht sich dessen bewußt war, daß auf der Grundlage der entnommenen Blutprobe durch Rückrechnung mit einem stündlichen Abbauwert von 0,2 [permil] und einem Sicherheitszuschlag von 0,2 [permil] von einer Tatzeitblutalkoholkonzentration von 1,96 [permil] auszugehen war. Ein solcher Wert ist allerdings – wie der Bundesgerichtshof für den nur geringfügig höheren Wert von 2,0 [permil] ausgesprochen hat (BGHSt 43, 67) – nur ein Indiz für eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit. Es gibt keinen revisionsrechtlich als Rechtssatz zu behandelnden medizinisch-statistischen Erfahrungssatz, der es gebietet, ohne Rücksicht auf die im konkreten Fall feststellbaren psychodiagnostischen Kriterien anhand einer Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 2,0 [permil] an aufwärts, bei schweren Gewalthandlungen gegen Leib oder Leben anderer ab 2,2 [permil], vom Vorliegen eines mittleren oder schweren Alkoholrausches auszugehen, der als krankhafte seelische Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB zu bewerten wäre. Denn eine durch den Blutalkoholgehalt angezeigte, wirksam in den Blutkreislauf aufgenommene Alkoholmenge wirkt nach medizinischer Erfahrung auf jeden Menschen unterschiedlich (BGHSt 43, 67, 71 f.). Im Ausgangspunkt zutreffend hat deshalb das Landgericht auch auf die Beobachtungen Dritter vom Leistungsvermögen des Angeklagten um den Tatzeitpunkt herum abgehoben. Es hat dabei jedoch unterlassen, eine Vielzahl weiterer festgestellter Umstände in die Würdigung mit einzubeziehen: Der Angeklagte lebt als unvorbestrafter, beruflich und sozial eingeordneter Familienvater in einem Einfamilienhaus im unmittelbaren Wohnumfeld des Tatorts. Der Alkoholkonsum auf einer Feier mit Arbeitskollegen war für den Angeklagten – über dessen Alkoholgewöhnung ansonsten im Urteil nichts mitgeteilt wird – jedenfalls so ungewöhnlich, daß er von Anfang an auf die Benutzung des eigenen Kraftfahrzeugs verzichtete. Der Angeklagte hat möglicherweise – hiervon ist zumindest die Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung im Sinne eines hinreichenden Tatverdachts ausgegangen – unmittelbar vor dem Diebstahl an zwei in Tatortnähe abgestellten Autos die Heckscheibenwischer verbogen. Die Tatbegehung ist weiterhin insoweit auffällig, als der Angeklagte nachts das zur Straße hin liegende Garagentor geöffnet und Licht angeschaltet und somit das Stehlgut in voller Beleuchtung und für Dritte gut sichtbar zusammengetragen hat. Er hat, nachdem er vom Geschädigten entdeckt worden war, versucht, mit drei schweren Beutestücken zu Fuß zu fliehen, obwohl diese seine Flucht erkennbar unmöglich machten. Einer Erörterung dieser Umstände, die die Tat insgesamt als persönlichkeitsfremd und nicht erklärlich erscheinen lassen können, hätte es hier bedurft, um eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit rechtsfehlerhaft auszuschließen.
Dieser Rechtsfehler erfaßt hier nicht nur den Strafausspruch, sondern auch den Schuldspruch. Es ist nicht auszuschließen, daß sich das Landgericht bei einer anderen Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht zu der Feststellung in der Lage gesehen hätte, der Angeklagte habe ein Beutestück auf seinen Verfolger geworfen, um sich im Besitz der übrigen Beute zu halten.
Für die neue Verhandlung weist der Senat auf die mit den Verfahrensrügen erhobenen Bedenken gegen die Beweisaufnahme über die medizinischen Befunde beim Geschädigten und gegen den Verzicht auf sachverständige Hilfe bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten hin. Zu der Rüge einer Verletzung von § 250 Satz 2 StPO bemerkt der Senat ergänzend: Der Vorhalt von Urkunden als Vernehmungsbehelf im Verlauf einer Zeugenvernehmung bedarf nicht der Aufnahme in die Sitzungsniederschrift (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 273 Rdn. 8 a.E.). Wenn sich eine Sitzungsniederschrift richtigerweise darauf beschränkt, nur die förmliche Erhebung eines Sachbeweises als Verlesung einer Urkunde oder Einnahme eines Augenscheins wiederzugeben, ist sie erheblich kürzer und weniger mißverständlich (vgl. auch BGH bei Miebach NStZ-RR 1998, 1, 5 zu § 338 Nr. 5 StPO; BGH NStZ-RR 1999, 107).
Unterschriften
Kutzer, Miebach, Winkler, Pfister, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 556767 |
NStZ 2000, 193 |