Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflicht zur Erwerbstätigkeit im Insolvenzverfahren neben übernommener Kinderbetreuung
Leitsatz (amtlich)
Ob und in welchem Umfang ein Schuldner neben einer von ihm übernommenen Kinderbetreuung erwerbstätig sein muss, ist an Hand der zu § 1570 BGB entwickelten Maßstäbe zu bestimmen.
Normenkette
InsO § 295 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Wuppertal (Beschluss vom 27.06.2007; Aktenzeichen 6 T 336/07) |
AG Wuppertal (Beschluss vom 03.04.2007; Aktenzeichen 145 IN 730/03) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1) wird der Beschluss der 6. Zivilkammer des LG Wuppertal vom 27.6.2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Mit Beschluss vom 8.12.2004 wurde dem Schuldner unter der Voraussetzung, dass er während der Laufzeit der Abtretungserklärung (Wohlverhaltensperiode) die Obliegenheiten gem. § 295 InsO erfüllt, die Restschuldbefreiung angekündigt. Mit Beschluss vom 24.2.2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners aufgehoben.
[2] Unter dem 4.10.2006 beantragte die weitere Beteiligte zu 1) (fortan: weitere Beteiligte) als Insolvenzgläubigerin, dem Schuldner die Restschuldbefreiung gem. § 296 InsO zu versagen. Zur Begründung nahm sie auf den Bericht der Treuhänderin Bezug, wonach der Schuldner seinen Obliegenheiten nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht nachgekommen sei. Mit Schriftsatz vom 8.2.2007 ergänzte die weitere Beteiligte ihren Versagungsantrag und wies darauf hin, der Schuldner habe ggü. der Treuhänderin keinerlei Nachweise erbracht, dass er eine angemessene Erwerbstätigkeit ausübe oder sich hierum bemüht habe.
[3] Das Insolvenzgericht hat den Versagungsantrag wegen mangelnder Glaubhaftmachung als unzulässig angesehen und den Antrag mit Beschluss vom 3.4.2007 zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hat das LG durch Beschluss vom 27.6.2007 zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die weitere Beteiligte mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit der sie weiterhin eine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO geltend macht.
II.
[4] Die Rechtsbeschwerde ist nach §§ 296 Abs. 3 Satz 1, 7, 6 InsO, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. In der Sache führt das Rechtsmittel zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Beschwerdegericht.
[5] 1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, eine Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO habe die Gläubigerin nicht glaubhaft gemacht. Sie habe sich nur darauf bezogen, dass der Insolvenzakte keine Hinweise auf Bewerbungsschreiben oder ähnlichen Bemühungen des Schuldners entnommen werden könnten. Hieraus könne nicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden, dass sich der Schuldner tatsächlich nicht um Arbeit bemüht habe. Im Übrigen habe nunmehr der Schuldner plausibel angegeben, er habe wegen der Betreuung seines am 8.7.1997 geborenen Sohnes keine Arbeit aufnehmen können. Die Gläubigerin müsse hinnehmen, dass der Schuldner die Betreuung des Kindes im Verhältnis zu seiner in Arbeit stehenden Lebensgefährtin übernommen habe und deshalb kein Vermögen erwerben könne.
[6] 2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
[7] a) Die Obliegenheitsverletzung - nicht das Verschulden (vgl. BGH, Beschl. v. 24.9.2009 - IX ZB 288/08, Rz. 6) - muss zwar grundsätzlich von dem Antragsteller glaubhaft gemacht werden (Landfermann in HK/InsO, 5. Aufl., § 296 Rz. 8). Dies ist aber dann anders, wenn die Tatsachen, die bei objektiver Betrachtung einen Versagungsgrund ergeben können, unstreitig sind (BGH, Beschl. v. 8.1.2009 - IX ZB 73/08, WM 2009, 515 Rz. 6 und IX ZB 80/08, ZInsO 2009, 298 Rz. 4). So war es hier. Denn der Schuldner hat geltend gemacht, er habe wegen der Betreuung seines Kindes keine Arbeit aufnehmen können. Unter diesen Umständen musste die weitere Beteiligte nicht glaubhaft machen, dass der Schuldner sich um Arbeit nicht bemüht hat. Es kann vielmehr nur noch darum gehen, ob dieser sich um Arbeit hätte bemühen müssen.
[8] b) Die vom Schuldner geltend gemachte Betreuung seines Sohnes vermag auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen des LG eine Zurückweisung des von der weiteren Beteiligten gestellten Versagungsantrags nicht zu rechtfertigen.
[9] aa) Die Erwerbsobliegenheit des Schuldners entfällt, wenn ihm die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit aufgrund der Umstände des Einzelfalls nicht zugemutet werden kann (Ahrens in FK/InsO, 5. Aufl., § 295 Rz. 30 f.; HK-InsO/Landfermann, a.a.O., § 295 Rz. 5; Ehricke in MünchKomm/InsO, 2. Aufl., § 295 Rz. 45, HmbKomm-InsO/Streck, 3. Aufl., § 295 Rz. 9). Dies kann auch im Hinblick auf die Betreuung minderjähriger Kinder in Betracht kommen (Uhlenbruck/Vallender, InsO, 12. Aufl., § 295 Rz. 27; HmbKomm-InsO/Streck, a.a.O.). Die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 295 (§ 244 RegE) InsO nennt als Beispiel ausdrücklich die Betreuung von Kleinkindern durch die Mutter (BT-Drucks. 12/2443, 192). Hieran anknüpfend wird daher im Schrifttum zu Recht die Ansicht vertreten, dass die Frage, ob und in welchem Umfang ein Schuldner neben einer von ihm übernommenen Kinderbetreuung erwerbstätig sein muss, in erster Linie nach den spezielleren familienrechtlichen Verpflichtungen zu bestimmen ist. Als Grundlage der Beurteilung sind die zu § 1570 BGB entwickelten familienrechtlichen Maßstäbe heranzuziehen (Ahrens in FK/InsO, a.a.O., § 295 Rz. 35; Graf-Schlicker/Kexel, InsO § 295 Rz. 8; Ehricke in MünchKomm/InsO, a.a.O., § 295 Rz. 46; G. Pape in Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung § 17 Rz. 134). Nach der für den hier in Rede stehenden Zeitraum maßgeblichen Rechtsprechung besteht bei der Betreuung eines Kindes bis zum achten Lebensjahr grundsätzlich keine Erwerbsobliegenheit (vgl. BGH, Urt. v. 9.7.1992 - XII ZR 57/91, NJW 1992, 3164, 3165 f.; v. 30.11.1994 - XII ZR 226/93, NJW 1995, 1148, 1149). Im Einzelfall kann dies nach den konkreten Umständen auch für die Betreuung eines Kindes bis zum elften Lebensjahr zutreffen (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.1988 - IVb ZR 18/88, NJW 1989, 1083, 1084). Bei einem Kind, das zwischen acht und elf Jahren alt ist, kommt es bei der Frage, ob der Schuldner zumindest eine Teilzeit-Erwerbstätigkeit ausüben muss, wiederum auf die Umstände des Einzelfalls an (vgl. BGH, Urt. v. 16.4.1997 - XII ZR 293/95, FamRZ 1997, 873, 874 ff.).
[10] bb) Das LG wird daher zu prüfen haben, ob dem Schuldner aufgrund der Umstände des Einzelfalles zumutbar war, neben der Betreuung des Kindes auch eine Erwerbstätigkeit, aufzunehmen. Ferner ist zu prüfen, worauf die Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend verweist, ob der Schuldner nach der von ihm geltend gemachten Arbeitslosigkeit der Mutter des Kindes überhaupt noch Aufgaben der Kinderbetreuung übernehmen musste. Sollte aus einer zumutbaren Tätigkeit kein pfändbares Einkommen erzielbar gewesen sein, fehlt es allerdings an der für § 295 Abs. 1 InsO maßgeblichen konkreten Beeinträchtigung der Gläubiger (Ahrens in FK/InsO, a.a.O., § 295 Rz. 35). Nach § 296 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 InsO rechtfertigt ein Verstoß gegen eine der in § 295 InsO aufgeführten Obliegenheiten die Versagung der Restschuldbefreiung nur, wenn dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt wird. Deren Schlechterstellung muss konkret messbar sein; eine bloße Gefährdung der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger reicht nicht aus (vgl. BGH, Beschl. v. 5.4.2006 - IX ZB 50/05, NZI 2006, 413; v. 8.2.2007 - IX ZB 88/06, WM 2007, 661, 662 Rz. 5).
III.
[11] Die Beschwerdeentscheidung ist somit aufzuheben. Die Sache ist an das LG zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
Fundstellen
DStR 2010, 661 |
EBE/BGH 2010, 12 |
FamRZ 2010, 638 |
NJW-RR 2010, 628 |
KTS 2010, 485 |
WM 2010, 183 |
DZWir 2010, 126 |
MDR 2010, 409 |
NZI 2010, 114 |
NZI 2010, 37 |
VuR 2010, 435 |
ZInsO 2010, 105 |
FamFR 2010, 36 |
FamRB 2010, 67 |
InsbürO 2010, 113 |
NJW-Spezial 2010, 279 |
NotBZ 2010, 219 |
ZVI 2010, 110 |
FMP 2010, 100 |
FMP 2010, 150 |
VIA 2010, 13 |