Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 28.06.2019) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 28. Juni 2019
- im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sowie des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an Jugendliche und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, schuldig ist, und
- im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie in einem weiteren Fall in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln als Person über 21 Jahren an Jugendliche unter 18 Jahren, zu der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Annahme von zwei selbstständigen, real konkurrierenden Taten in den Fällen 9 und 10 der Anklageschrift begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 3
a) Nach den Feststellungen bekam der Angeklagte nach vorangegangener telefonischer Bestellung am 3. Dezember 2018 insgesamt 298,7 Gramm Kokainzubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von 82,7 % Kokainbase zum Zweck gewinnbringenden Weiterverkaufs in die von ihm betriebene Teestube geliefert, für die er 8.700 Euro bezahlte (Fall 9 der Anklageschrift). Das gelieferte Kokain wurde bei einer kurze Zeit später durchgeführten Durchsuchung der Teestube auf der Fensterbank in einem Raum neben dem Schankraum aufgefunden. In demselben Raum lagen auf einem etwa mittig im Zimmer stehenden Tisch 72,13 Gramm Kokainzubereitung mit einem Wirkstoffgehalt von 88,3 % Kokainbase sowie 79,67 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 14,97 Gramm THC, die vom Angeklagten ebenfalls jeweils zur gewinnbringenden Weiterveräußerung bestimmt waren. In einer Ecke des Raums etwa im Abstand von zwei Metern zu dem Tisch mit den Betäubungsmitteln befand sich ein Schreibtisch, auf dem ein größerer Bargeldbetrag und Verpackungsmaterial vorgefunden wurden. Unter der erhöhten Platte des Schreibtischs lag für eine hinter dem Schreibtisch befindliche Person sichtbar und griffbereit ein Messer mit einer Klingenlänge von 27 cm. Der Angeklagte kannte den Ablegeort des aus seiner Sicht subjektiv zur Verletzung von Personen bestimmten Messers und wusste, dass er über dieses jederzeit verfügen konnte (Fall 10 der Anklageschrift).
Rz. 4
b) Das Landgericht hat übersehen, dass sich der Angeklagte auf der Grundlage dieser rechtsfehlerfrei getroffenen tatsächlichen Feststellungen auch im Fall 9 der Anklageschrift des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG schuldig gemacht hat. Denn die Besitzausübung über das auf der Fensterbank abgelegte Kokain aus der Lieferung vom 3. Dezember 2018 stellt einen Teilakt der auf den Umsatz der Gesamtmenge bezogenen Bewertungseinheit des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge dar, bei welchem dem Angeklagten das bereitliegende, seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignete und bestimmte Messer zur Verfügung stand. Dies reicht für die Erfüllung des Tatbestands des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG aus (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 28. Februar 1997 – 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 10; vom 12. Januar 2017 – 1 StR 394/16, NStZ 2017, 714, 715; Beschluss vom 8. Mai 2019 – 4 StR 203/19, NStZ-RR 2019, 220, 221).
Rz. 5
Der Angeklagte hat sich damit sowohl hinsichtlich der am 3. Dezember 2018 gelieferten Kokainmenge als auch bezüglich der an diesem Tag zu Handelszwecken bereits vorrätig gehaltenen Betäubungsmittel jeweils wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG strafbar gemacht. Da sich beide Taten durch das Bereithalten des Messers in ihren Ausführungshandlungen teilweise überschneiden, sind die Taten konkurrenzrechtlich zu Tateinheit verknüpft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Dezember 2017 – 4 StR 562/17 Rn. 4; vom 21. August 2018 – 3 StR 615/17 Rn. 12; vom 27. Juni 2018 – 4 StR 116/18, NStZ 2019, 97; vom 8. Mai 2019 – 4 StR 203/19, NStZ-RR 2019, 220, 221).
Rz. 6
c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend, wobei nach § 260 Abs. 4 Satz 5 StPO davon abgesehen wird, die gleichartige Idealkonkurrenz in der Urteilsformel zum Ausdruck zu bringen. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 7
2. Der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils hält einer rechtlichen Prüfung insoweit nicht stand, als die Strafkammer es versäumt hat, über eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB zu befinden.
Rz. 8
a) Nach den Feststellungen konsumierte der 1974 geborene Angeklagte seit seinem 29. oder 30. Lebensjahr Cannabis. Aufgrund von Schmerzen vor einer etwa zwei bis drei Jahre zurückliegenden Bandscheibenoperation steigerte er seinen Konsum, den er nach der Operation wieder auf zuletzt etwa vier bis fünf Joints pro Tag reduzierte. An den Wochenenden konsumierte er seit Mitte/Ende 2015 auch Kokain. Im Januar 2013 wurde er wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Geldstrafe verurteilt. Bei der Tat Fall 1 der Anklageschrift kaufte der Angeklagte vor dem 16. Juli 2018 bei zwei Gelegenheiten je 200 Gramm Marihuana, wovon er jeweils 100 Gramm für den Eigenkonsum verwendete. Schließlich hat die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung bei allen abgeurteilten Taten jeweils strafmildernd berücksichtigt, dass der Angeklagte in nicht unerheblichem Umfang selbst Betäubungsmittel konsumierte.
Rz. 9
b) Vor dem Hintergrund dieser Urteilsausführungen erscheint es in tatsächlicher Hinsicht naheliegend, dass die Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB in Betracht kommt. Die Strafkammer hätte sich daher aus Gründen sachlichen Rechts (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11 Rn. 24; Beschluss vom 2. Oktober 2019 – 3 StR 406/19 Rn. 3) veranlasst sehen müssen, die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB zu prüfen und in den Urteilsgründen näher zu erörtern. Dies ist nicht geschehen.
Rz. 10
Der Erörterungsmangel führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs, soweit eine Entscheidung über die Maßregel nach § 64 StGB unterblieben ist. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanordnung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Rz. 11
3. Die Schuldspruchänderung hat den Wegfall der für die Tat Fall 9 der Anklageschrift verhängten Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten zur Folge. Die von der Strafkammer für die Tat Fall 10 der Anklageschrift festgesetzte Einzelfreiheitsstrafe von sechs Jahren kann in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO als alleinige Einzelstrafe für die beiden tateinheitlich verwirklichten Verbrechen des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln bestehen bleiben.
Rz. 12
Auch im Übrigen hat der Strafausspruch des angefochtenen Urteils Bestand. Die von der Strafkammer bei der Bemessung der Einzelstrafen zum Nachteil des Angeklagten angestellten Erwägungen zur kriminellen Energie des planmäßig handelnden Angeklagten beinhalten letztlich eine tatrichterliche Bewertung des konkreten Tatbildes und sind unter dem Gesichtspunkt des § 46 Abs. 3 StGB nicht durchgreifend bedenklich. Ungeachtet des Wegfalls der für die Tat Fall 9 der Anklageschrift verhängten Einzelfreiheitsstrafe kann der Gesamtstrafenausspruch bestehen bleiben. Der Senat schließt angesichts der verbleibenden Einzelstrafen von sechs Jahren, zwei Jahren und drei Monaten, zwei Jahren, zwei Mal einem Jahr und sechs Monaten sowie einem Jahr aus, dass das Landgericht ohne die entfallene Einzelstrafe auf eine niedrigere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte. Da zwischen Strafausspruch und Maßregelanordnung grundsätzlich keine Wechselwirkung besteht (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 365; Beschluss vom 6. September 2016 – 3 StR 283/16, insoweit nicht abgedruckt in StV 2018, 358) und ein innerer Zusammenhang zwischen beiden Entscheidungsteilen auch nicht ausnahmsweise in den Ausführungen der Strafkammer im angefochtenen Urteil hergestellt worden ist, wird der Strafausspruch entgegen der Ansicht der Verteidigung schließlich auch durch die Aufhebung der Maßregelentscheidung zu § 64 StGB nicht berührt.
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Bender, Feilcke, Paul
Fundstellen
Haufe-Index 13594797 |
NStZ-RR 2020, 48 |