Entscheidungsstichwort (Thema)
Verkehrsordnungswidrigkeit
Tenor
Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Im Falle des Todes des Betroffenen während eines anhängigen Rechtsbeschwerdeverfahrens ist das Bußgeldverfahren durch Beschluß gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206 a StPO einzustellen.
Der Senat fragt beim 1. und 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs an, ob an entgegenstehender Rechtsprechung festgehalten wird, beim 3. und 5. Strafsenat, ob der beabsichtigten Entscheidung Rechtsprechung dieser Senate entgegensteht und ob gegebenenfalls an ihr festgehalten wird.
Gründe
I.
Dem Senat liegt folgender Vorlegungsfall zur Entscheidung vor:
Das Amtsgericht hatte den Betroffenen am 30. Januar 1997 wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von 225,- DM verurteilt. Nach Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde, aber vor einer Entscheidung darüber ist der Betroffene verstorben. Das Oberlandesgericht Hamm möchte das Verfahren nunmehr gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206 a StPO förmlich einstellen. An der von ihm beabsichtigten Entscheidung sieht es sich durch die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 9. November 1982 - 1 StR 687/81 (NJW 1983, 463 = NStZ 1983, 179) und 3. Oktober 1986 - 2 StR 193/86 (BGHSt 34, 184) sowie des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 31. August 1992 und 11. September 1992 (beide abgedruckt in MDR 1993, 162) gehindert. Es hat deshalb die Sache gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 121 Abs. 2 GVG dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt:
„Ist im Falle des Todes des Betroffenen während des anhängigen Rechtsbeschwerdeverfahrens das Bußgeldverfahren mit einem förmlichen Beschluß gemäß § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m § 206 a StPO einzustellen?”
Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen:
„Stirbt der Betroffene während des Rechtsbeschwerdeverfahrens, ist für einen konstitutiven Einstellungsbeschluß gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 206 a StPO kein Raum”.
Er ist der Ansicht, daß an der Entscheidung BGHSt 34, 184 festzuhalten ist.
II.
Der Senat möchte der Auffassung des vorlegenden Oberlandesgerichts folgen und seine eigene entgegenstehende Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluß vom 5. August 1993 - 4 StR 320/93) aufgeben.
1. Die Vorlegungsvoraussetzungen gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 121 Abs. 2 GVG sind erfüllt.
Die vorgelegte Rechtsfrage ist entscheidungserheblich. Das Oberlandesgericht Hamm kann das Bußgeldverfahren nicht wie beabsichtigt einstellen, ohne von den tragenden Gründen des Beschlusses des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 3. Oktober 1986 abzuweichen; danach ist nach dem Tod des Angeklagten „für eine konstitutive Wirkung einer Einstellungsentscheidung in der Sache … kein Raum” (BGHSt 34, 184, 186). Die Frage, in welcher Verfahrensart, in welchem Verfahrensstadium und auf welchem Rechtsgebiet die entgegenstehende Entscheidung des Bundesgerichtshofs ergangen ist, ist für die Vorlegungspflicht des Oberlandesgerichts unerheblich (Hannich in KK/StPO 4. Aufl. § 121 GVG Rdn. 18); diese besteht auch vor einer Entscheidung nach § 206 a StPO (Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 43. Aufl. § 121 GVG Rdn. 5). § 206 a StPO findet nach § 46 Abs. 1 OWiG im gerichtlichen Verfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz und damit auch im Rechtsbeschwerdeverfahren Anwendung (vgl. BGHSt 23, 365, 367; 24, 208; BayObLG NStZ 1988, 227, 229; Göhler OWiG 12. Aufl. vor § 67 Rdn. 17, 18, § 68 Rdn. 21), so daß die Nämlichkeit der Rechtsfrage nicht zweifelhaft ist (vgl. BGHSt 30, 335, 337).
2. Die Frage, ob im Falle des Todes des Betroffenen (bzw. Angeklagten) das Bußgeld(Straf-)verfahren außerhalb der Hauptverhandlung durch einen konstitutiven Beschluß gemäß § 206 a StPO (i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) förmlich einzustellen ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
a) Für eine solche Einstellung haben sich u.a. ausgesprochen: RGSt 18, 14, 22; BGH, Beschluß vom 19. Dezember 1972 - 5 StR 527/72; OLG Frankfurt/M. NStZ 1982, 480 mit Anm. Kühl; LG Köln MDR 1992, 598; LG Frankfurt MDR 1994, 400; Meier in AK/StPO § 467 Rdn. 3; Schmehl in KK/OWiG § 105 Rdn. 27; Sax in KMR 8. Aufl. Einl. IX Rdn. 7; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 206 a Rdn. 8, § 464 Rdn. 14, § 465 Rdn. 12; Meyer-Goßner in Löwe/Rosenberg StPO 23. Aufl. § 206 a Rdn. 28 ff.; Rieß in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 206 a Rdn. 53 ff.; Hilger in Löwe/ Rosenberg StPO 24. Aufl. § 467 Rdn. 17; Gössel in Löwe/ Rosenberg StPO 25. Aufl. vor § 359 Rdn. 63; Pfeiffer StPO 2. Aufl. § 206 a Rdn. 4; Paeffgen in SK/StPO Anhang zu § 206 a Rdn. 7; Lampe NJW 1974, 1856 f.; H. Schmidt in Festschrift für K. Schäfer S. 239; Laubenthal/Mitsch NStZ 1988, 108, 109; Pflüger, Der Tod des Beschuldigten im Strafverfahren Diss. Tübingen 1987, S. 100 ff.; ders. NJW 1983, 1894; 1988, 675, 677; GA 1992, 20, 30, 35 f.; Volk, Prozeßvoraussetzungen im Strafrecht 1978 S. 152 Fn. 248; Peters, Strafprozeß 4. Aufl. S. 685; Ranft, Strafprozeßrecht 2. Aufl. Rdn. 1132; Rüping, Das Strafverfahren 3. Aufl. Rdn. 704; Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen 6. Aufl. Rdn. 1127; vgl. auch RG HRR 1926 Nr. 993: formeller Abschluß erforderlich.
b) Die Auffassung, daß das Verfahren ohne förmliche Einstellung von selbst beendet ist, vertreten etwa: BGHSt 34, 184 (2. Strafsenat) mit ablehnender Anm. Kühl NStZ 1987, 338 und zustimmender Anm. Bloy JR 1987, 348; BGH NStZ 1983, 179 (1. Strafsenat) mit Anm. Schätzler; BGHSt 12, 273, 277 (1. Strafsenat); OLG Hamburg NJW 1983, 464, 465; OLG Karlsruhe Die Justiz 1983, 132; OLG Köln, Beschluß vom 30. März 1984 - 2 Ws 128/84; OLG Stuttgart Die Justiz 1985, 176; OLG Düsseldorf MDR 1993, 162; VRS 86, 122, 123; KG, Beschluß vom 13. Januar 1998 - 5 Ws 803/97; Brandenburg. OLG StraFo 1998, 212; Tolksdorf in KK/StPO 4. Aufl. § 206 a Rdn. 9; Franke in KK/StPO 4. Aufl. § 465 Rdn. 6; Paulus in KMR 8. Aufl. § 206 a Rdn. 63 ff., § 464 Rdn. 27; K. Schäfer in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. Einl. Kap. 12 Rdn. 105 b; Göhler aaO vor § 67 Rdn. 21, vor § 105 Rdn. 20; Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. § 105 Rdn. 21; D. Meyer, Strafrechtsentschädigung und Auslagenerstattung 4. Aufl. vor §§ 1 bis 6 Rdn. 24 ff., § 6 Rdn. 33; Kleinknecht MDR 1972, 1051; Bloy GA 1980, 161, 167 ff.; G. Schäfer, Die Praxis des Strafverfahrens 5. Aufl. Rdn. 112; Fezer, Strafprozeßrecht 2. Aufl. Fall 9 Rdn. 139.
c) Das Bundesverfassungsgericht hat lediglich geäußert, daß der „generelle Ausschluß der Auslagenerstattung im Falle des Todes des Beschuldigten vor rechtskräftigem Verfahrensabschluß” verfassungsrechtlich unbedenklich und eine Frage des einfachen Rechts ist (Beschluß des Vorprüfungsausschusses vom 23. Oktober 1975 - 2 BvR 722/75).
3. Als Argumente für die Auffassung, daß mit dem Tod des Angeklagten (Betroffenen) das Strafverfahren (Bußgeldverfahren) endet, ohne daß es einer förmlichen Einstellung bedarf, werden im wesentlichen drei Gründe vorgebracht (vgl. BGHSt 34, 184 ff.; BGH NStZ 1983, 179):
a) Ziel eines Strafverfahrens sei die Entscheidung über Bestrafung oder Nichtbestrafung eines Angeklagten. Mit dem Tod des Angeklagten entfalle eine unerläßliche Voraussetzung für die Durchführung des Verfahrens; ein nicht rechtskräftiges Urteil sei mit dem Tod des Angeklagten gegenstandslos, eine weitere Sachentscheidung mit dem Ziel der Verurteilung oder des Freispruchs sei damit unmöglich geworden. Das Strafverfahren ende in diesem Falle „ohne weiteres von selbst”.
b) Die formale Erwägung, daß ein einmal eingeleitetes Verfahren auch formell zum Abschluß gebracht werden müsse, habe gegenüber der Tatsache, daß bereits mit dem Tod des Angeklagten das Prozeßsubjekt weggefallen sei und eine Fortführung in der Sache keinen Sinn haben könne, kein Gewicht. Für eine konstitutive Wirkung einer Einstellungsentscheidung in der Sache sei kein Raum. Das gelte auch für die Fälle, in denen der Tod des Angeklagten zweifelhaft ist. Es sei nicht ersichtlich, was ein Einstellungsbeschluß in der Sache in Bezug auf den für die Hauptverhandlung ohnehin nicht verfügbaren Angeklagten mehr bewirken könne als z.B. ein – ebenfalls nur deklaratorischer – Vermerk.
c) Daraus, daß der Gesetzgeber in § 361 StPO eine Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten eines Verstorbenen zugelassen habe, ergebe sich nichts anderes. Dort gehe es darum, einen rechtskräftigen Schuldspruch im Interesse der Angehörigen zu beseitigen. Für den Fall, daß es wegen des Todes des Angeklagten nicht zu einem rechtskräftigen Schuldspruch kommen könne, habe der Gesetzgeber kein weiteres Verfahren vorgesehen.
4. Diese Argumente vermögen nicht zu überzeugen:
zu a) Der 2. Strafsenat weist zwar zutreffend darauf hin, daß das Verfahren nach dem Tod des Angeklagten nicht mit dem Ziel einer Sachentscheidung – Verurteilung oder Freispruch – fortgesetzt werden kann. Dies betrifft aber nur die materielle Rechtslage. Für den Schluß von der Unmöglichkeit einer Sachentscheidung auf die Unmöglichkeit sonstiger gerichtlicher Entscheidungen zur Prozeßbeendigung gibt es keine verfahrensrechtliche Grundlage (vgl. OLG Hamm NJW 1978, 177, 178; Lampe NJW 1974, 1856; Laubenthal/ Mitsch NStZ 1988, 108, 109). Die Strafprozeßordnung sieht als Verfahrensbeendigung die Verurteilung, den Freispruch oder die Einstellung vor. Die Beendigung eines bei Gericht anhängigen Verfahrens „ohne weiteres von selbst” (BGH NStZ 1983, 179; ebenso BGHSt 34, 184) ist ihr fremd (Kühl NStZ 1987, 338, 339 f.; Pflüger NJW 1988, 675, 676). Ein einmal eingeleitetes Verfahren muß vielmehr formell zum Abschluß gebracht werden (Meyer-Goßner in Löwe/Rosenberg 23. Aufl. § 206 a Rdn. 31; zust. Laubenthal/Mitsch aaO). Dazu bedarf es stets der Willensentscheidung des zuständigen Strafverfolgungsorgans. Mit dieser findet der für die Einleitung des Verfahrens gegen eine bestimmte Person erforderliche Willensakt seine Entsprechung in der Verfahrensbeendigung.
Im Vorlegungsfall gebietet § 206 a StPO (i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG) die Einstellung des Verfahrens. Mit dem Tod des Betroffenen während des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat sich – wie auch die unter Nr. 2 b) zitierte Rechtsprechung und Literatur (zum Teil unausgesprochen) im Ergebnis nicht verkennt – ein Verfahrenshindernis herausgestellt. Der Tod ist ein Umstand, der dem Verfahren in seiner Gesamtheit entgegensteht. Die Voraussetzung für die Annahme eines Verfahrenshindernisses, nämlich daß dieses grundsätzlich an Tatsachen anknüpfen muß, ohne daß eine wertende Betrachtung zulässig oder gar erforderlich wäre (BGHSt 32, 345, 351; 41, 72, 75; 43, 53, 56 f.; Rieß JR 1985, 45, 48), ist im Falle des Todes offensichtlich gegeben. Wenn schon die Verhandlungsfähigkeit zur Durchführung des Verfahrens erforderlich ist, muß dies erst recht für den Umstand gelten, daß der Betroffene bzw. Angeklagte überhaupt lebt.
Die Auffassung, der Tod sei ein Verfahrenshindernis, das den Prozeß von selbst beende (vgl. OLG Hamburg NJW 1983, 464, 465; Brandenburg. OLG StraFo 1998, 212; Roxin, Strafverfahrensrecht 25. Aufl. § 21 Rdn. 9; Kleinkecht MDR 1972, 1051) widerspricht dem einheitlichen Begriff des Verfahrenshindernisses und findet im Gesetz (§ 206 a StPO) keine Stütze (Meyer-Goßner in Löwe/Rosenberg 23. Aufl. § 206 a Rdn. 28; Pflüger NJW 1983, 1894 f.).
zu b) Ein Verfahrenshindernis schließt lediglich den Erlaß einer Sachentscheidung aus, es steht aber der Verfahrensfortsetzung zur Klärung seines Vorliegens oder zum Erlaß von Nebenentscheidungen nicht entgegen (Rieß in Löwe/Rosenberg StPO 24. Aufl. § 206 a Rdn. 22, 30; Pflüger, Der Tod des Beschuldigten im Strafverfahren Diss. Tübingen 1987 S. 102); insoweit bleibt das Verfahren anhängig (Sax in KMR 7. Aufl. Einl. IX Rdn. 7). Eine Entscheidung über die – notwendig höchstpersönliche – Bestrafung ist mit einer förmlichen Einstellung nicht verbunden (Kühl NStZ 1982, 481). Die Einstellung beendet vielmehr mit konstitutiver Wirkung die fortbestehende Anhängigkeit des zuvor förmlich eingeleiteten Verfahrens. Dem kann nicht entgegengehalten werden, für eine solche Wirkung bzw. für eine Willensentschließung des Gerichts bleibe kein Raum, weil beim Tod eine Fortführung des Verfahrens von vornherein unmöglich sei (so Paulus in KMR 8. Aufl. § 206 a Rdn. 64; Bloy GA 1980, 161, 168 f., ders. JR 1987, 348); denn es ist ein Wesensmerkmal von Verfahrenshindernissen, daß ihre – der Fortsetzung des Verfahrens regelmäßig entgegenstehenden – Rechtsfolgen unmittelbar eintreten, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen. Vom Erlaß eines Einstellungsbeschlusses hängt dies nicht ab. Etwa in Fällen absoluter Strafunmündigkeit (§ 19 StGB), eingetretener Verjährung, abgelaufener Frist bei echten Antragsdelikten oder endgültiger Verhandlungsunfähigkeit besteht ein zwingendes, jeden gerichtlichen Entscheidungsspielraum ausschließendes Hindernis. Gleichwohl wirkt die Einstellung nach § 206 a StPO konstitutiv, indem sie das Verfahren abschließt.
Gerade weil der Tod einer Sachentscheidung entgegensteht, bedarf es seiner ordnungsgemäßen verfahrensrechtlichen Feststellung. Dies kann im Einzelfall erhebliche Nachforschungen erforderlich machen, etwa wenn der Verbleib des Betroffenen bzw. Angeklagten unbekannt ist oder dieser seinen letzten Wohnsitz im Ausland genommen hat. Solche Erhebungen müssen im Rahmen des anhängigen Verfahrens nach den hierfür geltenden Vorschriften erfolgen. Im Falle einer Selbstbeendigung des Verfahrens fänden die Ermittlungen und verfahrensleitenden Verfügungen – etwa Rechtshilfeersuchen – nicht mehr in einem existenten Verfahren statt, wobei sich dies möglicherweise erst ex post herausstellen würde.
Eine förmliche, der Rechtskraft fähige Einstellung trägt schließlich den Erfordernissen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechnung. Auch muß ein Rechtsmittel zulässig sein (§ 206 a Abs. 2 StPO), wenn die am gerichtlichen Verfahren Beteiligten über den Eintritt des Verfahrenshindernisses unterschiedlicher Auffassung sind. Geht man von einer Selbstbeendigung des Verfahrens aus, so stünde dem Staatsanwalt, der im Gegensatz zum Richter Zweifel am Tod des Betroffenen bzw. Angeklagten hat, kein Rechtsmittel gegen dessen Unterlassen zu, das Verfahren weiterzubetreiben; eine reine Untätigkeitsbeschwerde ist der Strafprozeßordnung und dem Ordnungswidrigkeitengesetz fremd (vgl. BGH NJW 1993, 1279, 1280; bei H.W. Schmidt MDR 1994, 240 f.; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 304 Rdn. 3 m.w.N.). Der im Schrifttum (K. Schäfer in Löwe/Rosenberg 24. Aufl. Einl. Kap. 12 Rdn. 105 b; vgl. auch Rieß aaO Rdn. 54 a.E.) erwogene „deklaratorische Einstellungsbescheid”, gegen den eine Beschwerde möglich sein soll, ist bei Annahme der Selbstbeendigung des Verfahrens nicht erforderlich (vgl. BGHSt 34, 184; BGH NStZ 1983, 179). Ein Verfahren, in dem ein solcher erginge, wäre gar nicht mehr anhängig (konsequent daher Paulus aaO Rdn. 66); die „Akten … (würden vielmehr) ohne weitere Entscheidung weggelegt” (G. Schäfer, Die Praxis des Strafverfahrens 5. Aufl. Rdn. 112).
zu c) Der Strafprozeßordnung ist nicht zu entnehmen, daß nach dem Tod des Angeklagten kein Raum mehr für Entscheidungen ist. Das Gegenteil ist der Fall: Nach den §§ 361, 371 Abs. 1 StPO können im Wiederaufnahmeverfahren nach dem Tod des Verurteilten Beweisaufnahmen durchgeführt werden und Entscheidungen ergehen (etwa ein Freispruch). Entgegen der Auffassung des 1. und 2. Strafsenats (BGHSt 34, 184, 185; BGH NStZ 1983, 179) geht es hier nicht nur darum, einen rechtskräftigen Schuldspruch im Interesse der Angehörigen zu beseitigen. Zum einen kann auch die Staatsanwaltschaft das Wiederaufnahmeverfahren (allein) zur Rehabilitierung des verstorbenen Verurteilten betreiben (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 361 Rdn. 2). Zum anderen können die Angehörigen das Verfahren selbst dann mit dem Ziel des Freispruchs fortsetzen – auch um eine „Auslagenentscheidung zugunsten der Antragsteller” und einen „geldlichen Ausgleich” für die vom Verurteilten erlittenen materiellen Schäden zu erlangen –, wenn der Verurteilte nach Anordnung der Wiederaufnahme gemäß § 370 Abs. 2 StPO und damit nach Beseitigung der Urteilsrechtskraft verstorben ist (BGHSt 21, 373, 375 f.).
Wenn der Verurteilte nach Einlegung einer Beschwerde gegen den seinen Wiederaufnahmeantrag als unzulässig verwerfenden Beschluß verstirbt und kein Antragsberechtigter an seine Stelle tritt, so ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Verfahren förmlich einzustellen (BGHSt 43, 169). Es gibt keinen Grund, warum die zutreffende Erwägung des 3. Strafsenats, die Einstellung des Verfahrens sei geboten, „um es endgültig abzuschließen und klarzustellen, daß es nach dem Tode … nicht fortgeführt wird” (BGHSt 43, 169, 170), nicht auch für das Erkenntnisverfahren Geltung beanspruchen kann.
5. Im Gegensatz zu einer Beendigung des Verfahrens „ohne weiteres von selbst” ermöglicht die Einstellung nach § 206 a StPO gerechte Nebenentscheidungen gemäß §§ 464 StPO, 8 StrEG (i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG).
a) Eine Überbürdung der notwendigen Auslagen auf die Staatskasse gemäß § 467 Abs. 1 StPO ist insbesondere dann ein Gebot der Gerechtigkeit, wenn der Betroffene bzw. Angeklagte nach Erlaß eines freisprechenden Urteils vor dessen Rechtskraft stirbt (Laubenthal/Mitsch NStZ 1988, 108, 114; vgl. OLG Celle NJW 1971, 2182: Freispruch in beiden Tatsacheninstanzen). Nach dem Willen des Gesetzgebers ist § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nur in Ausnahmefällen anwendbar (vgl. BGH NJW 1995, 1297, 1301; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 467 Rdn. 18). Die Auffassung des Senats entspricht daher zugleich der im Rechtstaatsprinzip wurzelnden und in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerten Unschuldsvermutung, die dem durch das EGOWiG vom 24. Mai 1968 (BGBl I 503) neu gefaßten § 467 StPO zugrundeliegt (Rechtsausschuß des BT 5. Wp. schriftlicher Bericht – Drucksachen V/2600 und V/2601 S. 19, 21; Liemersdorf/ Miebach NJW 1980, 371, 372, 374 f.).
b) Wenn das Verfahren von selbst enden würde, könnte es vom Zufall abhängen, ob eine Kosten-, Auslagen- und Entschädigungsentscheidung ergeht: Ist der Betroffene bzw. Angeklagte infolge einer später zum Tode führenden schweren Erkrankung bereits dauernd verhandlungsunfähig, so bedarf es nämlich (noch) einer – mit Nebenentscheidungen zu versehenden – Einstellung gemäß § 206 a StPO (vgl. BGH NStZ 1996, 242; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO Einl. Rdn. 97, § 205 Rdn. 1, § 206 a Rdn. 3). Da es für die Zeitspanne, innerhalb deren in diesen Fällen die Entscheidung nach § 206 a StPO zu treffen ist, keine exakten Kriterien gibt, ist es ein Gebot der Gerechtigkeit, daß eine Einstellungsentscheidung (mit Nebenentscheidungen) auch dann ergeht, wenn der Tod eingetreten ist (vgl. dazu Meyer-Goßner in Löwe/Rosenberg StPO 23. Aufl. § 206 a Rdn. 32; Lampe NJW 1974, 1856 f.).
c) Das vorlegende Oberlandesgericht weist ferner zu Recht auf den Fall hin, daß ein Beschuldigter, der sich nach Außervollzugsetzung des gegen ihn bestehenden Haftbefehls der Untersuchung entzogen hatte, nach Feststellung des Verfalls der Sicherheit gemäß § 124 Abs. 1 StPO während des laufenden, den – bloß deklaratorischen (OLG Karlsruhe NStZ 1992, 204) – Beschluß betreffenden Beschwerdeverfahrens verstorben ist. Endete das Strafverfahren von selbst, so könnte der nach dem Gesetz bereits eingetretene Verfall nicht mehr, wie in § 124 StPO vorausgesetzt, festgestellt werden (vgl. Brandenburg. OLG StraFo 1998, 212). Entsprechendes würde für den in der Literatur angeführten Fall gelten, daß der Beschuldigte nach seiner Flucht Selbstmord verübt (vgl. Boujong in KK/StPO 4. Aufl. § 123 Rdn. 4, § 124 Rdn. 4; Hilger in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 123 Rdn. 8). Die, soweit ersichtlich, nicht bestrittene Auffassung, im Falle des Todes des Beschuldigten, der selbst Sicherheit geleistet hatte, sei der Erbe zur Erklärung gemäß § 124 Abs. 2 StPO aufzufordern (BayObLGSt 21 [1922], 98; Hilger aaO § 124 Rdn. 32), macht ebenfalls nur Sinn, wenn das Verfahren nicht schon zuvor von selbst endete. Wenn die Sicherheit verfallen ist, muß dies auch verfahrensrechtlich festgestellt werden können.
6. Der Senat fragt daher beim 2. Strafsenat an, ob an der Entscheidung BGHSt 34, 184 festgehalten wird. Er richtet die Anfrage wegen der Entscheidungen in BGHSt 12, 273, 277 und NStZ 1983, 179 zugleich an den 1. Strafse-nat und, weil der Senat eine Übernahme dieser Rechtsprechung durch die übrigen Strafsenate nicht ausschließen kann, auch an den 3. und 5. Strafsenat.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 540680 |
wistra 1999, 230 |
VersR 2000, 508 |