Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachehelicher Unterhalt. Anwaltshaftpflichtprozess
Leitsatz (redaktionell)
Für einen Anspruch auf nachehelichen Unterhalt ist es nicht erforderlich, dass die Erwerbsunfähigkeit des Ehegatten durch die Ehe bedingt ist.
Normenkette
BGB § 1572
Verfahrensgang
OLG Hamm (Urteil vom 26.06.2002) |
Tenor
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des 33. Zivilsenats des OLG Hamm v. 26.6.2002 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 31.578,05 EUR festgesetzt (siehe Senatsbeschl. v. 7.6.2001 - IX ZR 19/99).
Gründe
Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegt nicht vor.
I.
Die beklagten Rechtsanwälte vertraten den Kläger in dessen Scheidungsverfahren, in welchem als Folgesache auch um Geschiedenenunterhalt der Ehefrau gestritten wurde. Mit Versäumnisurteil des AG Brilon - FamG - v. 19.12.1994 - Geschäftsnummer 4 F - wurde der Kläger zu monatlichen Unterhaltszahlungen von 1.000 DM an seine geschiedene Ehefrau verurteilt, nachdem verspätetes Vorbringen - fehlerhaft - nach § 296 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen worden war und der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten im Folgenden nicht mehr verhandelt hatte.
Das Versäumnisurteil wurde wegen Versäumung der Einspruchsfrist rechtskräftig.
Der Senat hat durch Urteil v. 25.10.2001 (BGH, Urt. v. 25.10.2001 - IX ZR 19/99, MDR 2002, 230 = BGHReport 2002, 106 = NJW 2002, 290) die abweisenden Instanzentscheidungen im Anwaltshaftpflichtprozess aufgehoben, weil nach "Flucht in die Säumnis" der Anwalt grundsätzlich verpflichtet sei, auch ohne ausdrückliche Weisung des Mandanten Einspruch gegen das Versäumnisurteil einzulegen. Die haftungsbegründende Pflichtverletzung des Beklagten stand damit für den Tatrichter bindend fest, an den der Rechtsstreit zur Prüfung des Schadens und der haftungsausfüllenden Kausalität zurückverwiesen worden ist.
In der wiedereröffneten Berufungsinstanz war danach nur noch zu prüfen, ob ein rechtzeitiger und ausreichend begründeter Einspruch das FamG hätte veranlassen müssen, die Unterhaltsklage unter Aufhebung seines Versäumnisurteils abzuweisen, weil die Ehefrau den Anspruch verwirkt hatte oder der Kläger nicht leistungsfähig war, oder ansonsten die ausgesprochene Unterhaltspflicht des Klägers zu ermäßigen. So hat es zutreffend auch das Berufungsgericht gesehen und danach die Klage erneut abgewiesen.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde erstrebt die Überprüfung des zweiten Berufungsurteils zunächst unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeitssicherung, sodann unter dem Gesichtspunkt der Grundsatzbedeutung.
1. Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht sei von der ständigen Rechtsprechung abgewichen, dass im Anwaltshaftpflichtprozess darauf abzustellen sei, wie in einer pflichtwidrig geführten Rechtssache richtig hätte entschieden werden müssen, nicht wie das im Vorprozess erkennende Gericht mutmaßlich entschieden hätte (zur st. Rspr. vgl. BGH BGHZ 46, 221 [228]; v. 13.6.1996 - IX ZR 233/95, BGHZ 133, 110 [111] = MDR 1996, 1186; Urt. v. 21.11.2001 - IX ZR 389/98, BGHReport 2002, 516 = MDR 2002, 627 = NJW 2002, 1417 [1418] m. w. N.). Das geht fehl. Das Berufungsgericht hat sich vielmehr der ständigen Rechtsprechung des BGH unter Bezug auf das in dieser Reihe stehende Urteil v. 28.6.1990 (BGH v. 28.6.1990 - IX ZR 209/89, MDR 1991, 240 = NJW-RR 1990, 1241 = WM 1990, 1917 [1922]) ausdrücklich angeschlossen.
Das Berufungsgericht hat lediglich angezweifelt, von welchem Beurteilungszeitpunkt der Regressrichter bei dieser Prüfung auszugehen habe, wenn sich zwischen anwaltlicher Pflichtverletzung und Regressurteil die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Fragen des Ausgangsrechtsverhältnisses (hier des Geschiedenenunterhalts) ändere. Diese Frage ist i. S. d. "Neigungsrichtung" des Berufungsgerichtes bereits geklärt (BGH v. 28.9.2000 - XI ZR 6/99, BGHZ 145 [256]), so dass insoweit keine Veranlassung zur Zulassung der Revision bestehen kann.
Die Nichtzulassungsbeschwerde stützt sich allerdings in diesem Zusammenhang auch darauf, dass das Berufungsgericht in den Tatfragen des Unterhaltsprozesses eine Beweisprognose des FamG zu Grunde gelegt habe. Das ist unschädlich, soweit es auf die Beweislast ankommt, weil ihre Verteilung im Ausgangsprozess und im Regressprozess gleichen Regeln folgt (vgl. BGH v. 13.6.1996 - IX ZR 233/95, BGHZ 133, 110 [115 f.] = MDR 1996, 1186; Urt. v. 18.11.1999 - IX ZR 420/97, MDR 2000, 297 = WM 2000, 189 [192]; st. Rspr.).
Die Anwendung eines unrichtigen Beweismaßes (richtig § 287 ZPO) ist dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen.
Das Berufungsgericht hat zu der in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bezeichneten Position 12 (Pflegegeldanteil der Ehefrau) - wie geboten - auch eine eigene Beweiswürdigung vorgenommen. Dasselbe gilt für die dort gleichfalls angegriffene Position 14 (Versorgung des Bekannten W.). In beiden Punkten ist daher die Beweisprognose des Berufungsgerichtes mit Bezug auf das FamG ein überflüssiger, aber unschädlicher Zusatz, der das Berufungsurteil nicht trägt. Deshalb kann auch die Nichtzulassungsbeschwerde jedenfalls aus diesem Grunde nicht durchdringen.
2. Grundsatzbedeutung will die Nichtzulassungsbeschwerde im Weiteren nur in Auslegungsfragen des § 1572 BGB erkennen.
a) Dies wird zum einen aus folgenden Erwägungen hergeleitet: Das Berufungsgericht habe dem Grunde nach einen Anspruch der geschiedenen Ehefrau des Klägers auf nachehelichen Unterhalt bejaht, der sich aus § 1572 Nr. 1 BGB ergebe. Es sei aber fragwürdig, ob die Anspruchsgrundlage im vorliegenden Fall überhaupt anwendbar sei, und zwar wegen fehlender Ehebedingtheit der Erwerbsunfähigkeit. Die Vorschrift des § 1572 BGB beruhe auf dem Gedanken der nachehelichen Solidarität für krankheitsbedingte Erwerbseinschränkungen. Es stelle sich aber die Frage, ob die Loslösung der nachehelichen Mitverantwortung von der Ehebedingtheit der Bedürftigkeit sozial gerechtfertigt sei oder ob die Vorschrift - auch aus verfassungsrechtlichen Gründen - nicht einschränkend dahin auszulegen sei, dass die Ehebedingtheit der Bedürftigkeit gefordert werden müsse, die Vorschrift also nicht eingreife, wenn die Erwerbsunfähigkeit auf einer bei Eheschließung schon vorhandenen Erkrankung beruhe (vgl. hierzu etwa Johannsen/Henrich/Büttner, Eherecht, 4. Aufl., § 1572 Rz. 1). Zu der Ehebedingtheit der Erwerbsunfähigkeit der geschiedenen Ehefrau fänden sich in den Akten keine Anhaltspunkte; das Berufungsurteil enthalte dazu keine Feststellungen.
Dieses Vorbringen gibt keinen Anlass, die betreffende Rechtsfrage einer - erneuten - Beurteilung zu unterziehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist für einen Anspruch aus § 1572 BGB - wie auch die Beschwerde nicht verkennt - nicht erforderlich, dass die Erwerbsunfähigkeit des Ehegatten durch die Ehe bedingt ist (vgl. BGH, Urt. v. 27.4.1988 - IVb ZR 58/87, FamRZ 1988, 930 [931]; v. 9.2.1994 - XII ZR 183/92, MDR 1994, 804 = FamRZ 1994, 566; und v. 10.7.1996 - XII ZR 121/95, MDR 1994, 804 = FamRZ 1996, 1272 [1273]). Demgemäß hatte die Ehefrau zu den anspruchsbegründenden Voraussetzungen ihres Unterhaltsbegehrens schlüssig vorgetragen, indem sie ausführte, zum Zeitpunkt der Scheidung durch verschiedene Erkrankungen an einer Erwerbstätigkeit gehindert zu sein. Es wäre Sache des (jetzigen) Klägers gewesen, eine rechtliche Notwendigkeit der Ehebedingtheit der Bedürftigkeit geltend zu machen sowie die Ehebedingtheit in Abrede zu stellen. Dass dementsprechender Vortrag übergangen worden wäre, macht die Beschwerde indessen nicht geltend. Sie geht vielmehr selbst davon aus, dass sich in den Akten hierzu nichts finde. Kann danach aber nicht unterstellt werden, dass die Erwerbsunfähigkeit der Ehefrau nicht ehebedingt ist, so besteht kein Anlass, erneut zu prüfen, ob abweichend von der bisherigen Rechtsprechung nunmehr die Ehebedingtheit der Bedürftigkeit zu verlangen ist. Einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Unterhaltsrecht bedarf es hierzu nicht.
b) Darüber hinaus soll der vorliegende Rechtsstreit die grundsätzliche Frage aufwerfen, ob die völlige Erwerbsunfähigkeit wegen Krankheit eines insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Gläubigers nicht - zumindest indiziell - auszuschließen sei, wenn er für eine erheblich pflegebedürftige Person die Pflegedienstleistungen der Pflegestufe I i. S. v. § 15 SGB XI erbringe.
Auch diese Frage ist nach den getroffenen Feststellungen nicht entscheidungserheblich. Die geschiedene Ehefrau des Klägers pflegt ihre Mutter danach nicht allein, sondern wird hierbei von ihrem Bruder unterstützt, der die Mutter regelmäßig viermal monatlich, gelegentlich auch für längere Zeiträume, zu sich holt. Im Übrigen ist davon auszugehen, dass die von der geschiedenen Ehefrau des Klägers für die mit ihr in Haushaltsgemeinschaft lebende Mutter erbrachten Leistungen nicht mit Pflegeleistungen für einen Dritten verglichen werden können. Einer Prüfung, ob die Übernahme der vollen Pflegeleistungen für einen "Außenstehenden" der Annahme der Erwerbsunfähigkeit entgegensteht, bedarf es deshalb nicht. Wie die weiteren Ausführungen der Beschwerde zeigen, geht es ihr auch letztlich nicht um die aufgeworfene angebliche Grundsatzfrage, sondern um die tatrichterliche Beurteilung des Einzelfalls.
Fundstellen
Haufe-Index 1128785 |
FamRZ 2004, 779 |
FPR 2004, 390 |