Verfahrensgang
LG Leipzig (Urteil vom 10.09.2010) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 10. September 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren und neun Monaten Freiheitsstrafe verurteilt und gegen ihn die Sicherungsverwahrung angeordnet. Nach den Urteilsfeststellungen verfolgte der 25-jährige Angeklagte weniger als fünf Monate nach Vollverbüßung einer sechsjährigen Jugendstrafe u.a. wegen dreier Vergewaltigungen und einer sexuellen Nötigung nachts eine ihm unbekannte angetrunkene junge Frau auf deren Heimweg von einem Lokalbesuch, „um sie zum Sex zu animieren” (UA S. 21/13), nahm sie vor ihrer Haustür – eingestandenermaßen – von hinten in einen Würgegriff, zwang sie in die Ecke des Hinterhofs ihres Wohnhauses und berührte sie dort gegen ihren Willen an ihren entblößten Brüsten. Seiner Einlassung, diese Sexualhandlung mit Einverständnis der Nebenklägerin vorgenommen zu haben, ist die Strafkammer aufgrund der Aussage der Nebenklägerin nicht gefolgt. Sie hat indes den weitergehenden Anklagevorwurf einer anschließenden Vergewaltigung in der Wohnung der Nebenklägerin für widerlegt erachtet, sich vielmehr entsprechend der Einlassung des Angeklagten von dort einverständlich vorgenommenen intensiven Sexualhandlungen überzeugt; insoweit habe die Nebenklägerin „aus Scham darüber, mit einem fremden Mann, der sie zuvor überfallen hat(te), den Geschlechtsverkehr freiwillig ausgeübt zu haben”, Erinnerungslücken vorgetäuscht (UA S. 68).
Rz. 2
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Der Beschwerdeführer und – ihm insoweit folgend – der Generalbundesanwalt beanstanden zutreffend die Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung zum Schuldspruch wegen sexueller Nötigung. Diese genügt nicht den besonderen Anforderungen, welche die Rechtsprechung für Fälle erhebt, in denen „Aussage gegen Aussage” steht und zudem bei einem wesentlichen Teil der Aussage des einzigen Belastungszeugen eine bewusste Falschangabe vorliegt (vgl. BGH, Urteile vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 158 f.; vom 17. November 1998 – 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256; vom 12. November 2003 – 2 StR 354/03, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 29; dazu Sander, StV 2000, 45, 46; Brause, NStZ 2007, 505, 510 f.; Schmandt, StraFo 2010, 446, 447). Die Strafkammer hat der unerlässlichen besonders kritischen Gesamtwürdigung der Aussage der Nebenklägerin schon im Ansatz ihres Urteilsaufbaus nicht genügt, indem sie die Beweiswürdigung zu dem festgestellten, als strafbar erachteten Geschehensablauf weitgehend getrennt vor der tatsächlichen Bewertung des Folgegeschehens abgehandelt und somit dem Problem der festgestellten Falschaussage der Nebenklägerin nicht die gebotene zentrale Aufmerksamkeit gewidmet hat. Angesichts der späteren vorgetäuschten Erinnerungslücken äußert der Generalbundesanwalt zu Recht durchgreifende Bedenken dagegen, in den Angaben der Nebenklägerin zu einer sicheren Erinnerung an das Geschehen auf dem Hinterhof eine tragfähige Stütze für die Richtigkeit ihrer belastenden Aussage zu finden. Allein auf die situative Unstimmigkeit zwischen der eingestandenermaßen anfänglich im Hinterhof verübten Gewalt des Angeklagten gegen die Nebenklägerin und dem von ihm behaupteten Streben nach einverständlichen Sexualhandlungen – was das Landgericht im Ansatz nachvollziehbar als „lebensfremd” wertet (UA S. 36) – konnte aber vor dem Hintergrund des sicher festgestellten Einverständnisses bei dem anschließenden intensiven Sexualverkehr in der Wohnung der Nebenklägerin eine Überführung des Angeklagten hier nicht gestützt werden.
Rz. 3
Das gesamte angeklagte Tatgeschehen bedarf – angesichts schon länger andauernder Untersuchungshaft des Angeklagten alsbaldiger – umfassender neuer tatgerichtlicher Prüfung. Wie der Generalbundesanwalt ausgeführt hat, unterläge der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung für sich keinen durchgreifenden Bedenken. Vorsorglich weist der Senat für den Fall gleicher oder ähnlicher tatsächlicher Feststellungen und eines erneuten Schuldspruchs wegen eines allein in der Anfangsphase auf dem Hof verübten Sexualdelikts darauf hin, dass bei der Strafrahmenwahl und Strafzumessung wie bei der Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB das außergewöhnliche einverständliche Anschlussgeschehen zugunsten des Angeklagten zu bewerten wäre.
Unterschriften
Basdorf, Schaal, Schneider, König, Bellay
Fundstellen