Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 15.07.2019; Aktenzeichen 7521 Js 247271/14 5/26 KLs 12/17) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15. Juli 2019, soweit er verurteilt ist, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen vorsätzlicher Marktmanipulation in 152 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 60 EUR verurteilt und ausgesprochen, dass hiervon 180 Tagessätze wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gelten. Es hat ferner die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 4.642.153,34 EUR angeordnet. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, auf die Verfahrensbeanstandungen kommt es daher nicht an.
Rz. 2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 3
a) Der Angeklagte und der rechtskräftig Verurteilte S. gaben an 13 Handelstagen zwischen dem 13. und dem 29. Januar 2010 im bewussten und gewollten Zusammenwirken 152 wechselseitig abgestimmte Kauf- und Verkaufsaufträge ab (prearranged orders) betreffend Aktien der zuvor praktisch nicht gehandelten, seit 13. Januar 2010 im Handelssystem Xetra am Handelsplatz Börse Frankfurt notierten T. AG. Diese führten zu 208, im Einzelnen in einer Tabelle mit Uhrzeit und Handelsvolumen gelisteten Geschäftsabschlüssen zwischen den beiden. Sie schufen so ein künstliches Handelsvolumen und beeinflussten so den Börsenkurs der Aktie. Der Angeklagte nutzte hierzu teils sein eigenes Depot, teils ein weiteres Depot, für das er Vollmacht hatte. Der Zeuge S. wickelte die Geschäfte über das Depot seiner privaten Vermögensgesellschaft ab.
Rz. 4
b) Die Strafkammer hat jeden Kauf- oder Verkaufsauftrag des Angeklagten als „eigenständige Tat” gewertet, auch wenn dieser (wie im Fall sog. Iceberg-Orders) zu mehreren Geschäftsabschlüssen führte. Entgegen der Darstellung in der Anklage komme eine tateinheitliche Zusammenfassung aller Kauf- und Verkaufsaufträge an einem Handelstag nicht in Betracht. Die Strafkammer hat angenommen, der Angeklagte und S. hätten telefonisch die den Geschäftsabschlüssen jeweils vorausgegangenen Absprachen getroffen. Der Angeklagte habe absprachegemäß mehrfach täglich Aufträge eingestellt, die jeweils zu Geschäftsabschlüssen geführt hätten, durch die jeweils auf den Börsenpreis eingewirkt worden sei und hinsichtlich jeder Order habe der Angeklagte den Entschluss gefasst, (weiterhin) Handelsvolumen zu generieren. Lediglich in einem Fall hätten zwei Kaufaufträge lediglich zu einem Geschäftsabschluss und damit nur zu einer manipulierten Preisfeststellung geführt; dies hat die Strafkammer als eine Tat gewertet.
Rz. 5
2. Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 6
a) Allerdings waren nach den getroffenen Feststellungen die vom Angeklagten erteilten Verkaufs- bzw. Kaufaufträge und die auf dieser Grundlage abgeschlossenen Geschäfte nicht nur geeignet, irreführende Signale für den Börsenpreis eines Finanzinstruments im Sinne von § 39 Abs. 1 Nr.1, § 20a Abs. 1 Nr. 2 WpHG in der hier maßgeblichen Tatzeitfassung (vgl. Senat, Beschluss vom 8. August 2018 – 2 StR 210/16) zu geben; dass sich sonstige Marktteilnehmer tatsächlich geirrt haben, ist nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2013 – 3 StR 5/13, Rn. 15). Hinreichend belegt ist auch, dass der Angeklagte, wie es der Straftatbestand des § 38 Abs. 2 WpHG aF zusätzlich zu den Voraussetzungen einer Ordnungswidrigkeit nach § 39 Abs. 1 Nr. 1 WpHG aF erfordert, auf den inländischen Börsenpreis der Aktien der T. AG tatsächlich einwirkte, indem er einen bereits existierenden Börsenpreis der im Xetra-Handel notierten Aktien durch die Manipulation künstlich, d.h. gegen die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse am Markt, erhöhte oder auch nur stabilisierte (zu den notwendigen Feststellungen vgl. Senat, Beschluss vom 25. Juli 2018 – 2 StR 353/16, Rn. 17 ff.). Rechtsfehlerfrei konnte die Strafkammer als Bezugspunkt auf den am 13. Januar 2010 kurz vor den abgeurteilten Taten an der Börse festgesetzten Kurs abstellen, auch wenn dieser auf einen zwischen dem Angeklagten und dem anderweitig Verfolgten S. getätigten, ebenfalls abgestimmten Geschäft beruhte. Gerade auch bei der Preisfindung in elektronischen Handelssystemen gebieten es Sinn und Zweck der § 38 Abs. 2, § 39 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 20a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 WpHG aF, nicht darauf abzustellen, ob das Geschäft, auf dem der Börsenpreis beruht, den inhaltlichen Anforderungen des § 24 Abs. 1 Satz 1 BörsG genügt, sondern auch vollständig oder teilweise manipulierte Börsenpreise zu erfassen (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2013 – 3 StR 5/13 Rn. 17 ff.). Der notwenige Einwirkungserfolg im Sinne des § 38 Abs. 2 WpHG aF setzt auch bei sog. „fiktiven Geschäften” (zu denen matched bzw. prearranged orders rechnen) nicht voraus, dass nach den der Verurteilung zugrundeliegenden Aufträgen bzw. Geschäftsabschlüssen durch Dritte weitere Geschäfte getätigt wurden, bei denen die Preise kausal gerade auf dem durch die manipulativen Geschäfte hervorgerufenen Kursniveau beruhen (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2013, aaO, Rn. 17 ff.; Böse/Jansen in Schwark/Zimmer, Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Aufl., § 119 WpHG, Rn. 26; Saliger in Park, Kapitalmarktstrafrecht, 5. Aufl., Kap. 6.1. Rn. 255; Diversy/ Köpferl in Graf/Jäger/Wittig, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, 2. Aufl., § 38 WpHG, Rn. 103 f. mwN; aA Hohn in Momsen/Grützner, HdB Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl., § 21 Rn. 162). Ohnedies haben nach den bislang getroffenen Feststellungen „dritte Personen” die Aktien der T. AG im Tatzeitraum gehandelt.
Rz. 7
b) Indes hält die konkurrenzrechtliche Bewertung rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar hat die Strafkammer zutreffend erkannt, dass mehrere Handlungen, die auf denselben tatbestandlichen Erfolg gerichtet sind und diesen herbeiführen (hier: ein Geschäftsabschluss, der auf den Börsenpreis einwirkt), eine Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB bilden können (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2011 – 4 StR 22/11, Rn. 9; SSW-StGB/Eschelbach, 5. Aufl., § 52 Rn. 32, 49 mwN). Sie hat aber nicht erkennbar in den Blick genommen und erörtert, dass eine Tat im sachlich-rechtlichen Sinne auch dann vorliegen kann, wenn mehrere, im Wesentlichen gleichartige Handlungen von einem einheitlichen Willen getragen werden und aufgrund ihres engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs so miteinander verbunden sind, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise objektiv auch für einen Dritten als ein einheitliches Geschehen darstellt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2009 – 3 StR 87/09, Rn. 16; LK-StGB/Rissing-van Saan, 13. Aufl., Vor §§ 52 ff. Rn. 10 ff. je mwN). Dies näher zu erörtern – und gegebenenfalls weitere Feststellungen zu treffen – musste sich der Strafkammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme aber schon deswegen aufdrängen, weil ausweislich der in den Urteilsgründen wiedergegebenen Tabelle die börsenpreisbeeinflussenden Geschäfte teilweise in zeitlich sehr engem Zusammenhang abgeschlossen wurden. So erfolgten beispielsweise am 13. Januar 2010 zwischen 9:16:10 Uhr und 9:17:04 Uhr drei Abschlüsse, bis 9:27:37 Uhr weitere vier und zwischen 17:15:21 Uhr und 17:24:07 Uhr 15 Geschäftsabschlüsse. Diese Chronologie lässt es wenig naheliegend erscheinen, dass der Angeklagte jede Verkaufsorder zuvor (im Sinne eines neuen Tatenschlusses) telefonisch mit dem anderweitig Verfolgten S. abgestimmt hatte. Eine solche Annahme hätte jedenfalls näherer Erörterung bedurft, zumal zum einen (wie die Zeugin K. bekundet hat) die Möglichkeit bestand, die Kauf- und Verkaufsaufträge des jeweils anderen im Orderbuch einzusehen, zum anderen der durch die in der Tabelle wiedergegebenen Geschäftsabschlüsse belegte und festgestellte Tatplan ein ausgeglichenes Hin- und Herhandeln vorsah, bei dem „am Abend eines jeden Handelstages […] möglichst eine ‚Null’ stehen” sollte.
Rz. 8
c) Der aufgezeigte Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Der Senat hebt das Urteil mit den Feststellungen insgesamt auf, um dem neuen Tatrichter umfassende eigene, widerspruchsfreie Feststellungen und Wertungen zu ermöglichen.
Rz. 9
d) Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, die für die Frage nach der Höhe des gemäß §§ 73, 73c StGB einzuziehenden Wertersatzes maßgeblichen Umstände näher als bislang geschehen in den Blick zu nehmen. Hierzu weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 10
aa) Zutreffend hat das Landgericht erkannt, dass Aufwendungen des Angeklagten für die Durchführung der Geschäfte dem Abzugsverbot des § 73d Abs. 1 Satz 2 StGB unterliegen und folglich die Einziehung von Wertersatz in voller Höhe des aus jeder Tat Erlangten anzuordnen ist. Werden Aktien zum Zwecke der Marktmanipulation zu einem zuvor abgesprochenen Preis gehandelt, können Aufwendungen zum Erwerb der Aktien nicht in Abzug gebracht werden. An dieser Rechtslage (vgl. BGH, Urteil vom 27. November 2013 – 3 StR 5/13, Rn. 29 f.) hat sich durch das Gesetz zur Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung nichts geändert (BT-Drucks. 18/9525, S. 55; Korte, NZWiSt 2018, 231, 235).
Rz. 11
bb) Allerdings ist das erlangte Etwas, dessen Wert nach § 73c StGB der Einziehung unterliegt, in zwei Schritten zu bestimmen (BT-Drucks. 18/9525, 56, 62). Zunächst ist – in einem den bisherigen Überlegungen des Landgerichts vorangehenden ersten Schritt – das erlangte Etwas rein gegenständlich zu bestimmen. Danach ist etwas im Sinne des § 73 StGB „erlangt”, wenn es in irgendeiner Phase des Tatablaufs in die Verfügungsgewalt des Täters übergegangen ist und ihm so zur tatsächlichen Verfügung steht, dass es wirtschaftlich genutzt werden kann; erlangt ist ein Vermögenswert nur dann, wenn der Täter oder Teilnehmer zumindest die faktische Verfügungsgewalt über den entsprechenden Vermögensgegenstand erlangt hat (vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. März 2016 – 1 StR 628/15, Rn. 12 mwN; auch BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008 – 3 StR 50/08, NStZ 2008, 623 zu § 73 StGB aF). Die Einziehung knüpft an einen durch die Tat tatsächlich beim Täter eingetretenen Vermögensvorteil an (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – 1 StR 555/19, Rn. 10 mwN). Dies bedingt, dass der neue Tatrichter die tatsächliche Durchführung der Aktiengeschäfte unter Nutzung der jeweiligen Depots und gegebenenfalls (wie von der Revision behauptet und nicht völlig fernliegend) einer Clearingstelle als zentralem Kontrahenten näher als bislang geschehen in den Blick zu nehmen haben wird.
Unterschriften
Franke, Eschelbach, Meyberg, Grube, Schmidt
Fundstellen
Haufe-Index 14255105 |
wistra 2021, 158 |
StV 2021, 709 |