Leitsatz (amtlich)

Die in dem Verfahren der Abschiebungshaft erforderliche Dokumentation der Belehrung eines anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen über die Folgen eines Rechtsmittelverzichts kann nur bis zum Abschluss der Instanz erfolgen; eine auf Anforderung des Rechtsmittelgerichts gefertigte dienstliche Stellungnahme des die Haft anordnenden Richters ist nicht ausreichend (Fortführung des Senatsbeschlusses v. 1.12.2011 - V ZB 73/11, NVwZ 2012, 319 f.).

 

Normenkette

AufenthG § 62; FamFG § 67 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Traunstein (Beschluss vom 22.04.2014; Aktenzeichen 4 T 1421/14)

AG Mühldorf a. Inn (Beschluss vom 10.04.2014; Aktenzeichen 1 XIV 51/14 (L))

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Traunstein vom 22.4.2014 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene wurde im Jahr 2009 unter Androhung der Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Ab dem 24.9.2013 befand er sich in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 1.10.2013 ordnete das AG auf Antrag der beteiligten Behörde Abschiebungshaft für die Dauer von längstens drei Monaten an, wobei diese im Anschluss an die Untersuchungs- bzw. Strafhaft vollstreckt werden sollte. Die Abschiebungshaft wurde ab dem Ende der Untersuchungshaft am 13.1.2014 vollzogen und mit Beschluss vom 10.4.2014 bis zum 30.4.2014 verlängert. Das LG hat die gegen den Beschluss vom 10.4.2014 gerichtete Beschwerde als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene feststellen lassen, dass er durch den angefochtenen Beschluss in seinen Rechten verletzt worden ist.

II.

Rz. 2

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Zu Unrecht sieht das Beschwerdegericht die Beschwerde als unzulässig an, weil der Betroffene einen wirksamen Rechtsmittelverzicht erklärt habe.

Rz. 3

1. Nach der Rechtsprechung des Senats muss das Gericht in dem Verfahren der Abschiebungshaft einem anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen, der von sich aus einen Rechtsmittelverzicht i.S.v. § 67 Abs. 1 FamFG abgeben will, eine von der Rechtsmittelbelehrung unabhängige Belehrung über die Folgen des Verzichts erteilen und diese für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar dokumentieren (Beschl. v. 1.12.2011 - V ZB 73/11, NVwZ 2012, 319 f.). Die Dokumentation kann in dem Vermerk über die Anhörung enthalten sein oder im Anschluss gefertigt werden, da die Formstrenge des Verfahrens nach der Zivilprozessordnung in § 28 Abs. 4 FamFG nicht übernommen worden ist. Nach Abschluss der Instanz kann sie jedoch nicht mehr nachgeholt werden. Andernfalls verfehlte sie ihren Zweck, den tatsächlichen Geschehensablauf zeitnah in den Akten festzuhalten.

Rz. 4

2. Daran gemessen ist der Rechtsmittelverzicht unwirksam. Der Anwalt des Betroffenen war in der Anhörung nicht anwesend. Dass die aus diesem Grund erforderliche Belehrung erfolgt ist, lässt sich nicht feststellen, weil es an der Dokumentation fehlt. Die erst auf Anforderung des Rechtsmittelgerichts gefertigte dienstliche Stellungnahme des die Haft anordnenden Richters ist nicht ausreichend.

Rz. 5

3. Dieser Fehler hat sich auch ausgewirkt. Nach der neueren Rechtsprechung des Senats führt eine Verletzung von Verteidigungsrechten (insb. des Anspruchs auf rechtliches Gehör) zwar nicht automatisch, sondern nur dann zur Beendigung der Haft, wenn das Verfahren auch zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (näher Senat, Beschl. v. 16.7.2014 - V ZB 80/13, InfAuslR 2014, 384 Rz. 11, im Anschluss an EuGH, BayVBl. 2014, 140 ff.). Davon ist hier aber schon deshalb auszugehen, weil die ordnungsmäßige Belehrung die Entschließung des Betroffenen, einen Rechtsmittelverzicht abzugeben oder hiervon abzusehen, unmittelbar beeinflusst.

III.

Rz. 6

Der Senat kann in der Sache nicht entscheiden (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung ergibt sich nicht ohne Weiteres daraus, dass der Senat die Inhaftierung aufgrund des Beschlusses vom 1.10.2013 für die Zeit ab dem 5.2.2014 in dem Parallelverfahren als rechtswidrig angesehen hat; nach dieser Entscheidung beginnt der Lauf der in § 62 Abs. 3 Satz 4 und Abs. 4 Satz 1 und 2 AufenthG geregelten Fristen allerdings bereits mit der Haftanordnung (Senat, Beschl. v. 4.12.2014 - V ZB 77/14, zur Veröffentlichung bestimmt). Weil die Abschiebungshaft gerechnet ab dem 1.10.2013 am 10.4.2014 schon mehr als sechs Monate andauerte, könnte sich die Verlängerung nur dann als rechtmäßig erweisen, wenn der Betroffene die Abschiebung i.S.v. § 62 Abs. 4 Satz 2 AufenthG verhindert hätte. Feststellungen hierzu und zu der Einhaltung des Beschleunigungsgebots hat das Beschwerdegericht, das sich nur mit der Zulässigkeit des Rechtsmittels beschäftigt hat, nicht getroffen. Dies wird es - auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Rechtsbeschwerdebegründung - nachzuholen haben.

IV.

Rz. 7

Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 7594121

EBE/BGH 2015

FGPrax 2015, 132

InfAuslR 2015, 146

JZ 2015, 131

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