Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 15.10.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 15. Oktober 2002 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Kammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Seine hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Die Verfahrensrügen sind, soweit sie zulässig erhoben sind, aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge ergibt zum Schuldspruch und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten. Dagegen hält der Maßregelausspruch der rechtlichen Prüfung nicht stand.
2. Nach den Feststellungen des Landgerichts legte der Angeklagte, der sich im Zustand mit Sicherheit erheblicher Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit befand, mit Hilfe von Brandbeschleuniger auf dem Dachboden des Hauses, in welchem die betreute Außenwohngruppe untergebracht war, welcher der Angeklagte angehörte, einen Brand, der alsbald von ihm selbst sowie von der durch ihn herbeigerufenen Feuerwehr gelöscht wurde; der Gesamtschaden betrug 5.000 DM. Zu dem die Maßregelanordnung rechtfertigenden Zustand des Angeklagten hat das Landgericht im Anschluß an das Gutachten des Sachverständigen festgestellt, es liege beim Angeklagten, der einen Gesamtintelligenzquotienten von 56 aufweist, „entweder Schwachsinn oder eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne einer Pseudodebilität auf dem Hintergrund seiner extrem schlechten Sozialisationsbedingungen” vor (UA S. 9); dies bedürfe keiner näheren Aufklärung, da es für die rechtliche Bewertung hierauf nicht ankomme (UA S. 10).
a) Die Unterbringungsanordnung hat das Landgericht darauf gestützt, es sei nach Einschätzung des Sachverständigen in der forensischen Praxis „gar nicht selten”, daß ein Zusammenhang zwischen sexueller Devianz und Brandstiftungshandlungen bestehe. Der Angeklagte weise eine „krankheitswertige Störung im Sinne einer Pädophilie” auf, die in den Jahren 1981 und 1995 zu Verurteilungen geführt habe. Die im letztgenannten Urteil zur Bewährung ausgesetzte Strafe sowie die gleichfalls zur Bewährung ausgesetzte Unterbringung gemäß § 63 StGB seien zwar mit Wirkung vom 27. Juni 2000 erlassen worden bzw. erledigt gewesen. Der Angeklagte sei jedoch in letzter Zeit bestrebt, die Medikation mit Androcur zu reduzieren; er habe entgegen einem Verbot der Heimleitung wiederholt Kontakt zu Kindern gesucht. Nach Einschätzung des Sachverständigen, der sich das Landgericht angeschlossen hat, können sich, da beim Angeklagten Einsicht in die Problematik jedenfalls aktuell nicht vorhanden sei, „entsprechende Vorfälle jederzeit wiederholen” (UA S. 13).
b) Damit sind die Voraussetzungen einer Unterbringung gemäß § 63 StGB nicht hinreichend dargelegt. Diese setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen länger dauernden Zustand der Beeinträchtigung der geistigen oder seelischen Gesundheit voraus, dessen Ursache – schon im Hinblick auf die Feststellung des Symptomcharakters der Anlaßtat und die erforderliche Gefährlichkeitsprognose – nur ausnahmsweise offen bleiben kann (BGHSt 42, 385, 388; BGH NJW 1998, 2986, 2987; vgl. Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 63 Rdn. 11 f. m.w.N.). Wenn hier aufgrund der die Schuldfähigkeit gleichermaßen beeinträchtigenden Auswirkungen der beiden möglichen Störungen auf eine zweifelsfreie Aufklärung verzichtet werden konnte, so war die symptomatische Bedeutung der Anlaßtat für die von § 63 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeit aus dem Blickwinkel jeder der möglichen Störungsursachen gesondert zu untersuchen. Hieran fehlt es im angefochtenen Urteil.
Nicht hinreichend dargelegt ist in diesem Zusammenhang namentlich der Zusammenhang zwischen der beim Angeklagten vorliegenden psychischen Störung, der abgeurteilten Tat und der vom Landgericht festgestellten Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten in der Zukunft. Zur Tatmotivation hat das Landgericht festgestellt, der Angeklagte sei beunruhigt über den am nächsten Tag bevorstehenden Umzug der Wohngruppe sowie über einen „Herrenbesuch” bei seiner ebenfalls zur Wohngruppe gehörenden Lebensgefährtin gewesen; möglicherweise habe er auch als angeblicher Entdecker und Löscher des Brandes Aufmerksamkeit gewinnen wollen (UA S. 9). Ein Bezug dieser für möglich gehaltenen Tatmotive zu der festgestellten sexuellen Devianz des Angeklagten ist nicht erörtert und auch nicht ohne weiteres ersichtlich. Auf diese Persönlichkeitsstörung ist auch die Feststellung erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit im Kern nicht gestützt; die Urteilsgründe führen insoweit nur aus, sie „komme hinzu” (UA S. 10). Die Erörterung der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr beschränkt sich dem gegenüber allein auf die vom Sachverständigen dargelegte Wahrscheinlichkeit zukünftiger Sexualstraftaten mit pädophiler Motivation. Daß ein Zusammenhang zwischen Brandstiftung und gestörter Sexualität „gar nicht selten” oder „häufig zu beobachten” sei, belegt nicht das Vorliegen eines solchen Zusammenhangs gerade bei dem Angeklagten. Dieser ist in der Vergangenheit weder durch Brandstiftungs- noch durch andere Gewalthandlungen auffällig geworden; die Erwägungen des Landgerichts zur möglichen Tatmotivation legen einen Zusammenhang der genannten Art nicht nahe. Die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts stützt sich daher im Ergebnis auf eine Kette von – eher therapeutisch begründeten – Vermutungen, welche die Anordnung einer Unterbringung gemäß § 63 StGB nicht trägt.
3. Sollte der neue Tatrichter auf der Grundlage von Feststellungen zum konkreten Zusammenhang zwischen psychischer Störung, abgeurteilter Tat und der Gefahr zukünftiger Straftaten wiederum zur Maßregelanordnung gelangen, so wird er Gelegenheit haben, sich genauer mit der Möglichkeit einer Aussetzung gemäß § 67 b Abs. 1 StGB auseinander zu setzen.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Otten, Rothfuß, Fischer, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2558839 |
NStZ-RR 2003, 168 |
StraFo 2003, 208 |