Normenkette
StGB §§ 46, 56, 63
Verfahrensgang
LG Hannover (Entscheidung vom 16.11.2021; Aktenzeichen 34 KLs 16/21) |
Tenor
Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den Stand vor Ablauf der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 16. November 2021 gewährt.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Rz. 2
1. Dem Angeklagten ist auf seinen zulässigen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision zu gewähren (§ 44 Satz 1 StPO).
Rz. 3
2. Der Schuldspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 4
a) Das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte den achtjährigen Zeugen aufforderte, ihm Geld zu geben. Dabei hielt er „ein nach unten gerichtetes Messer in seiner Hand“ (UA S. 4), welches der Zeuge jedenfalls als spitzen Gegenstand erkannte. Wie von dem Angeklagten beabsichtigt, fühlte sich der Zeuge bedroht. Er flüchtete. Der Angeklagte folgte ihm zunächst, ließ dann aber von ihm ab und entfernte sich.
Rz. 5
b) Das Landgericht hat die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts(§ 24 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 StGB) nicht in Betracht gezogen. Der Umstand, dass der Verletzte dem Herausgabeverlangen des Angeklagten nicht entsprochen hat, begründet für sich genommen noch keinen Fehlschlag des Versuchs. Das Landgericht hätte die insofern allein maßgebliche subjektive Sicht des Angeklagten nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung feststellen müssen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - 6 StR 43/20, NStZ 2020, 618; Beschluss vom 2. November 2021 - 6 StR 485/21).
Rz. 6
3. Der mit der Aufhebung des Schuldspruchs verbundene Wegfall der einzigen Anlasstat entzieht der Maßregelanordnung nach § 63 StGB die Grundlage.
Rz. 7
4. Eine etwaige erneute Maßregelanordnung wird das zur Entscheidung berufene Tatgericht - naheliegend unter Hinzuziehung eines neuen Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) - auf der Grundlage der neu zu treffenden Feststellungen zur Sache und zur Person, namentlich solchen zum Vorleben des Angeklagten, der Krankheitsentwicklung und einer hiermit etwa verbundenen Delinquenz, erneut zu prüfen haben. Im Übrigen weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 8
a) Soweit die Strafkammer ihren Feststellungen zur Sache zugrunde gelegt hat, dass der Angeklagte „in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert“ gewesen sei, liegt mit den weiteren Feststellungen und Wertungen ein unlösbarer Widerspruch vor. Denn das Landgericht hat an anderer Stelle ausgeführt, dass der hinzugezogene Sachverständige einerseits bekundet habe, dass „eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit … nicht ausgeschlossen werden“ könne, andererseits die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten „im Sinne des § 21 StGB sicher erheblich eingeschränkt“ gewesen sei. Diesem „umfassenden, in sich widerspruchsfreien und schlüssigen Gutachten des Sachverständigen“ hat sich die Strafkammer „nach eigener kritischer Würdigung angeschlossen“ (UA S. 9). Im Rahmen ihrer Strafzumessungserwägungen hat sie hierzu ferner ausgeführt, dass „eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen werden“ könne (UA S. 10).
Rz. 9
b) Auch wird der notwendige symptomatische Zusammenhang zwischen der diagnostizierten Erkrankung des Angeklagten und der festgestellten Anlasstat durch die Urteilsgründe nicht belegt. Die Strafkammer hat ihrer Bewertung im Ausgangspunkt einen fehlerhaften rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt. Auf den von ihr dargestellten „symptomatische(n) Zusammenhang zwischen Anlasstat und den zu erwartenden Taten“ (UA S. 12) kommt es für die gesetzlichen Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB nicht an. Möglicherweise auch deshalb ist die gebotene Auseinandersetzung des Landgerichts mit der Tatmotivation des zur Tatzeit obdach- und erwerbslosen Angeklagten unterblieben. Das von der Strafkammer vermutete Tatmotiv der Geldknappheit für die einzige Anlasstat (§§ 253, 255, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) könnte auch normalpsychologisch zu erklären sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 2021 - 2 StR 372/21; vom 5. September 2019 - 4 StR 206/19, NStZ-RR 2019, 372; vom 14. Juli 1999 - 3 StR 160/99, NStZ 1999, 612).
Rz. 10
c) Schließlich begegnet die Begründung der negativen Gefährlichkeitsprognose durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat diese unter anderem damit begründet, dass der Angeklagte „keine Täterverantwortung“ und keine „Opferempathie“ gezeigt habe. Der Umstand, dass der Angeklagte, der von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, keine Verantwortung für die Tat übernommen hat, durfte nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 11. November 2020 - 1 StR 277/20, NStZ 2021, 730 und vom 12. August 2020 - 4 StR 588/19). Dies gilt im Übrigen gleichermaßen für die auf die nämlichen Erwägungen gestützte Bewährungsentscheidung (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. Februar 1992 - 1 StR 61/92, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Umstände, besondere 12; vom 2. Juni 2021 - 6 StR 224/21, StV 2022, 158).
Sander |
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Feilcke |
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Tiemann |
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Wenske |
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von Schmettau |
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Fundstellen
Haufe-Index 15178704 |
NStZ-RR 2022, 171 |
StV 2023, 225 |
RPsych 2022, 554 |