Verfahrensgang
LG Regensburg (Urteil vom 16.12.2020; Aktenzeichen 5 KLs 110 Js 29444/18) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. Dezember 2020 wird das Verfahren in Bezug auf die unter B II 4 der Urteilsgründe festgestellte Tat vom 3. September 2019 eingestellt. Im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten der Staatskasse zur Last.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Dessen hiergegen gerichtete Revision führt mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang zur Einstellung des Verfahrens (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
Rz. 3
Die Staatsanwaltschaft beantragte mit einer Antrags- und einer Anklageschrift, jeweils vom 22. Juli 2020, die Eröffnung des Sicherungs- sowie des Strafverfahrens gegen den Beschuldigten. Diesem wurden in der Anklageschrift eine am 17. September 2018 begangene Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung (Fall B II 1 der Urteilsgründe) und am 3. September 2019 begangene versuchte Nötigungen in Tateinheit mit Beleidigungen (Fall B II 4 der Urteilsgründe) zur Last gelegt. Die Antragsschrift betraf sieben weitere Delikte, darunter Widerstand und tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte in mehreren Fällen und mehrere vorsätzliche Körperverletzungen.
Rz. 4
Das Landgericht hat die Antragsschrift unverändert zur Hauptverhandlung im Sicherungsverfahren zugelassen. Die Anklage hat es nur bezüglich des Vorwurfs betreffend die Tat vom 17. September 2018 zur Hauptverhandlung im Strafverfahren zugelassen. Betreffend den Vorwurf der Tat vom 3. September 2019 hat es die Hauptverhandlung im Sicherungsverfahren eröffnet.
Rz. 5
Durch Verfügung des Vorsitzenden wurden die Akten erneut der Staatsanwaltschaft zugeleitet, verbunden mit dem Hinweis: „Es ist eine neue Antrags- und Anklageschrift entsprechend dem Eröffnungsbeschluss einzureichen”. Die Staatsanwaltschaft übersandte danach eine „an den Verfahrensstand angepasste Antrags- und Anklageschrift” unter dem Datum vom 22. Juli 2020. Die Anklageschrift enthielt nur noch den Vorwurf betreffend die Tat vom 17. September 2018, während der Vorwurf betreffend die Tat vom 3. September 2019 Bestandteil der Antragsschrift war. Von dem Anklagevorwurf ist der Beschuldigte aufgrund auch insoweit nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit freigesprochen worden.
Rz. 6
2. Das Verfahren war hinsichtlich des Vorwurfs betreffend die Tat vom 3. September 2019 gemäß § 354 Abs. 1, § 206a StPO einzustellen, weil es insoweit an der Verfahrensvoraussetzung einer Antragsschrift nach § 414 Abs. 2 StPO und eines wirksamen Eröffnungsbeschlusses im Sinne von § 207 StPO fehlt.
Rz. 7
Das Landgericht durfte das Sicherungsverfahren in Bezug auf die genannte Tat mangels diesbezüglichen Antrags der Staatsanwaltschaft nicht eröffnen. Im Sicherungsverfahren tritt an die Stelle einer Anklageschrift die Antragsschrift nach § 414 Abs. 2 StPO. Sie ist Prozessvoraussetzung, die nicht durch eine Anklageschrift ersetzt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 2001 – 2 StR 136/01, BGHSt 47, 52, 53 mwN; Beschluss vom 21. Juni 2016 – 5 StR 266/16, NStZ 2016, 693; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 414 Rn. 3). Auf eine die Durchführung des Strafverfahrens bezweckende Anklageschrift darf das Hauptverfahren im Sicherungsverfahren nicht eröffnet werden, weil das Eröffnungsgericht damit in unzulässiger Weise in das hinsichtlich der Durchführung des selbständigen Sicherungsverfahrens bestehende Ermessen der Staatsanwaltschaft eingreift (vgl. RGSt 72, 143; BGH, Urteil vom 6. Juni 2001 – 2 StR 136/01, aaO).
Rz. 8
Die Eröffnung des Sicherungsverfahrens durch das Landgericht war mangels eines dahingehenden Antrags der Staatsanwaltschaft damit unwirksam (vgl. BGH, Urteil vom 6. Juni 2001 – 2 StR 136/01, NJW 2001, 3560, 3561 ?insoweit in BGHSt 47, 52 nicht abgedruckt?), woran die an den Eröffnungsbeschluss „angepasste” Antragsschrift nichts zu ändern vermag. Diese ist überdies im Wege der als zwingend angesehenen deklaratorischen Antragsschrift nach § 207 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 414 Abs. 1 StPO erfolgt und hat den Eingriff in das Ermessen der Staatsanwaltschaft demzufolge nicht beseitigt.
Rz. 9
3. Die Maßregelentscheidung hat gleichwohl Bestand. Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) ohne Rechtsfehler maßgebend auf von diesem begangene und künftig mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende erhebliche Körperverletzungstaten auch zum Nachteil unbeteiligter Dritter gestützt. Den vom Beschuldigten ferner begangenen zahlreichen geringer wiegenden Straftaten wie Beleidigungen und Bedrohungen hat es dabei nur untergeordnete Bedeutung beigemessen (UA S. 37).
Unterschriften
Sander, Schneider, König, Fritsche, von Schmettau
Fundstellen
Haufe-Index 14484666 |
NStZ-RR 2021, 221 |
StV 2022, 278 |