Verfahrensgang
LG Bremen (Urteil vom 29.11.2007) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 29. November 2007 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg. Sie rügt zu Recht, dass die Hauptverhandlung in einer gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG reduzierten Besetzung durchgeführt wurde (§ 338 Nr. 1 StPO).
Rz. 2
1. Folgender Verfahrensablauf liegt zu Grunde:
Rz. 3
Durch Eröffnungsbeschluss vom 11. September 2006 hat die Strafkammer das Hauptverfahren eröffnet, ohne dabei einen Beschluss gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG zu fassen. Am 9. Oktober 2007 hat sie den Eröffnungsbeschluss „durch die Feststellung ergänzt, dass die Hauptverhandlung in der Besetzung mit zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen” stattfindet. Dieser Beschluss ist bis zur Hauptverhandlung der Verteidigung weder zugestellt worden noch sonst bekannt geworden. Auch eine Mitteilung der Gerichtsbesetzung nach § 222a Abs. 1 Satz 2 StPO ist bis zum Beginn der Hauptverhandlung nicht erfolgt. In der Hauptverhandlung hat der Vorsitzende die Gerichtsbesetzung mitgeteilt, ohne auf den Beschluss vom 9. Oktober 2007 hinzuweisen. Der Antrag der Verteidigung, die Hauptverhandlung wegen der erst jetzt mitgeteilten Besetzung zu unterbrechen, wurde nach einer Unterbrechung von fünf Minuten durch Gerichtsbeschluss mit der Begründung zurückgewiesen, dass das Gericht ordnungsgemäß besetzt sei.
Rz. 4
2. Der zulässig erhobenen Besetzungsrüge, die nicht präkludiert ist, kann der Erfolg nicht versagt werden. Mit nur zwei Berufsrichtern war das erkennende Gericht fehlerhaft besetzt.
Rz. 5
a) Die Rüge ist zulässig, weil – wie die Revision vollständig mitgeteilt hat – die große Strafkammer die Hauptverhandlung nach § 222a Abs. 2 StPO zur Prüfung der Besetzung gar nicht unterbrochen hat (§ 338 Nr. 1 lit. c StPO; vgl. zudem im Anschluss an den Antrag des Generalbundesanwalts zur Unterbrechungsdauer Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 222a Rdn. 22).
Rz. 6
b) Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Landgericht in der Besetzung mit zwei – anstatt mit drei – Berufsrichtern (und zwei Schöffen) entschieden hat, obwohl es bei Eröffnung des Hauptverfahrens einen dahin gehenden Beschluss nach § 76 Abs. 2 GVG nicht gefasst hatte.
Rz. 7
aa) Die Entscheidung über die Anzahl der an der Hauptverhandlung mitwirkenden Richter ist bei der Eröffnung des Hauptverfahrens zu treffen (vgl. BGHR GVG § 76 Abs. 2 Besetzungsbeschluss 1; Meyer-Goßner aaO § 76 GVG Rdn. 4). „Bei der Eröffnung” bedeutet zugleich mit der Eröffnungsentscheidung; eine spätere Beschlussfassung ist nicht möglich, weil mit der Eröffnung des Hauptverfahrens feststehen muss, mit wie vielen Richtern das erkennende Gericht in diesem Verfahrensabschnitt besetzt ist (vgl. Begründung RegE des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993 in BT-Drucks. 12/1217, S. 48; BGHSt 44, 328, 332; Siolek in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 76 GVG Rdn. 4). Die Entscheidung kann regelmäßig auch nicht mehr geändert werden (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 214; Meyer-Goßner aaO m.w.N.). Hiernach ist der („Feststellungs”-)Beschluss des Landgerichts vom 9. Oktober 2007 ohne rechtliche Relevanz.
Rz. 8
bb) Ist bei Eröffnung des Hauptverfahrens nicht nach § 76 Abs. 2 GVG beschlossen worden, dass die große Strafkammer in der Hauptverhandlung nur mit zwei Richtern einschließlich des Vorsitzenden und zwei Schöffen besetzt ist, so muss die Strafkammer in der Hauptverhandlung mit drei Richtern tätig werden, und zwar auch dann, wenn der Ausspruch versehentlich unterblieben ist (vgl. BGHSt 44, 361, 362; BGH NStZ-RR 2006, 214; LG Bremen StV 2004, 251; Siegismund/Wickern wistra 1993, 139; Siolek aaO m.w.N.; Meyer-Goßner aaO; Diemer in KK 5. Aufl. § 76 GVG Rdn. 2; Kissel/Mayer, GVG 5. Aufl. § 76 Rdn. 8; vgl. differenzierend – nicht tragend – zum Regel-Ausnahme-Verhältnis BGHSt 44, 328, 331).
Rz. 9
Gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 GVG ist eine große Strafkammer in der Hauptverhandlung grundsätzlich mit drei Berufsrichtern und zwei Schöffen besetzt. Ein Abweichen von dieser gesetzlichen Vorgabe bedarf ausdrücklicher Beschlussfassung (§ 76 Abs. 2 GVG).
Unterschriften
Basdorf, Brause, Schaal, Hubert, Schneider
Fundstellen
Haufe-Index 2565253 |
NStZ 2009, 53 |
StV 2008, 505 |
StraFo 2008, 475 |