Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 22.01.2009) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Januar 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO im Maßregelausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln in einer Apotheke (in einem besonders schweren Fall) und wegen unerlaubter Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in sechs Fällen, davon in vier Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es gegen den Angeklagten ein Berufsverbot von drei Jahren verhängt. Der Verteidiger ist nach Beratung des Senats informiert worden, dass die Revision zum Schuld- und Strafausspruch absehbar nur in verhältnismäßig geringem Umfang, zudem voraussichtlich nur vorläufig Erfolg verspreche. Daraufhin hat der Verteidiger das Rechtsmittel wirksam auf den Maßregelausspruch beschränkt. Insoweit hat die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge Erfolg.
Rz. 2
1. Der Maßregelausspruch kann keinen Bestand haben.
Rz. 3
a) Das Landgericht führt im Rahmen der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung aus, der Angeklagte sei in der Hauptverhandlung von dem Verfahren sichtlich so beeindruckt gewesen, dass er sich nach Überzeugung der Strafkammer schon die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zur Warnung dienen lassen und zukünftig keine Straftaten mehr begehen werde (UA S. 19). Damit in deutlichem Widerspruch steht die Begründung der Gefahrprognose bei der Festsetzung des – uneingeschränkt verhängten – Berufsverbots, wonach die Strafkammer aufgrund „der Anzahl allein der noch verfahrensgegenständlichen Taten und der sich stetig steigernden Mengen illegal abgegebener Arzneimittel in den einzelnen Taten” davon ausgeht, dass „der Angeklagte auch zukünftig gleiche oder ähnliche Taten begehen” werde (UA S. 19).
Rz. 4
Dies mag seine Erklärung darin finden, dass die Gefahr weiterer Taten bei der Entscheidung nach § 56 Abs. 2 StGB deshalb anders beurteilt wurde, weil sie aufgrund des zusätzlich verhängten Berufsverbots nicht mehr bestehe (vgl. auch BGH NStZ-RR 2004, 54, 55). Gleichwohl hätte es auch bei der nach § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung eines Eingehens auf die bisherige Straffreiheit des Angeklagten, sein Alter und den Umstand bedurft, dass die Taten mittlerweile rund drei Jahre zurückliegen, ohne dass der – nach wie vor seine Apotheke betreibende – Angeklagte erneut in gleicher Weise straffällig geworden ist.
Rz. 5
b) Nicht frei von Bedenken ist die weitere von der Strafkammer angestellte Überlegung, der Angeklagte habe im fraglichen Zeitraum mehr als jede dritte der in Berlin verkauften Packungen Rohypnol ausgegeben, was die Gefahr erkennen lasse, dass er auch zukünftig einen erheblichen Anteil seines Umsatzes durch die gesetzeswidrige Abgabe von Medikamenten erzielen werde. Denn es ist auch in Anbetracht der in diese Richtung bestehenden gravierenden Verdachtsgründe nicht festgestellt, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang diese – nicht verfahrensgegenständlichen – Verkäufe ohne die notwendige Verschreibung erfolgt sind.
Rz. 6
c) Die zum Maßregelausspruch getroffenen Feststellungen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können daher bestehen bleiben. Das neu entscheidende Tatgericht ist nicht gehindert, weitere Feststellungen zu treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
Rz. 7
2. Für die zutreffende Bewertung der die Verurteilung tragenden Fälle im Rahmen der neu zu treffenden Entscheidung über eine Maßregel nach § 70 StGB bemerkt der Senat ergänzend:
Rz. 8
a) In den Fällen 2 bis 5 ist der Angeklagte wegen Inverkehrbringens in der Form der Abgabe (§ 4 Abs. 17 AMG) von Arzneimitteln zu Dopingzwecken im Sport (§ 95 Abs. 1 Nr. 2a, § 6a Abs. 1 AMG) verurteilt. Von dem in § 6a Abs. 1 AMG verwendeten Merkmal „im Sport” wird in Übereinstimmung mit der Wertung des Landgerichts und entsprechend dem Willen des Gesetzgebers (BT-Drucks. 13/9996 S. 13) auch „Bodybuilding” erfasst, ohne dass es darauf ankommt, ob die erstrebte Leistungssteigerung auf Aktivitäten im Wettkampf, im Training oder in der Freizeit gerichtet ist.
Rz. 9
Jedoch beschränkt § 6a Abs. 2 AMG in der zur Tatzeit geltenden Fassung (entspricht § 6a Abs. 2 Satz 1 AMG heutiger Fassung) den Anwendungsbereich des in § 6a Abs. 1 AMG enthaltenen Verbots, soweit hier relevant, auf Arzneimittel, die Stoffe der im Anhang des Europäischen Übereinkommens gegen Doping (Gesetz vom 2. März 1994 zu dem Übereinkommen vom 16. November 1989 gegen Doping, BGBl 1994 II S. 334) aufgeführten Gruppen von verbotenen Wirkstoffen enthalten. Für den Tatzeitraum galt die gemäß Art. 11 Abs. 1 lit. b des Übereinkommens von der Beobachtenden Begleitgruppe beschlossene und in BGBl 2006 II S. 421 veröffentlichte Verbotsliste 2006 der Welt-Anti-Doping-Agentur. Der Großteil der durch den Angeklagten abgegebenen Arzneimittel enthält Wirkstoffe, die in der Verbotsliste aufgeführt sind. Dies gilt indessen nicht für die Arzneimittel mit Wirkstoffen aus der Gruppe der Benzodiazepine (Fall 3: Diazepam; Fall 5: Tetrazepam, Oxazepam, Diazepam) sowie mit den Wirkstoffen Tadalafil und Sildenafil Citrat (Fall 5: Arzneimittel Cialis bzw. Viagra). Hinsichtlich der letztgenannten beiden Arzneimittel (-wirkstoffe) fehlt es auch am notwendigen Zusammenhang mit Dopingzwecken gerade im Sport. Dies lässt unberührt, dass – entsprechend dem vom Landgericht getroffenen Schuldspruch – eine Strafbarkeit nach § 95 Abs. 1 Nr. 2a, § 6a Abs. 1 AMG sowie nach § 96 Nr. 13, § 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, 2 AMG in Verbindung mit § 1 AMVV in allen vier Fällen gegeben ist.
Rz. 10
b) Im Fall 7 der Urteilsgründe hat der Angeklagte 21 Packungen Rohypnol (Wirkstoffgehalt 420 mg Flunitrazepam) an einen erkennbar Drogensüchtigen abgegeben. Es handelt sich um eine gewichtige Tat, die ungeachtet des vom Landgericht angenommenen besonders schweren Falls nach § 29 Abs. 3 BtMG die verhängte Einzelfreiheitsstrafe ohne Weiteres rechtfertigt. Zu § 29 Abs. 3 BtMG gilt indes Folgendes:
Rz. 11
aa) § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BtMG erfordert die Gesundheitsgefährdung mehrerer Personen. Allein die Möglichkeit einer durch die Aufnahme des Rauschmittels verursachten Intoxikationspsychose und die Befürchtung eines durch den Konsum mitbedingten Verharrens in der Sucht bei einem bereits schwer von Heroin und Benzodiazepinen Abhängigen reichen für die Anwendung des Regelbeispiels nicht aus. Erforderlich sind Gefährdungen, die über die mit der Rauschmitteleinnahme typischerweise verbundenen hinausreichen (siehe etwa die Beispiele bei Körner, BtMG 6. Aufl. § 29 Rdn. 2015), andernfalls jede oder nahezu jede Abgabe von Betäubungsmitteln an mindestens zwei Personen zur Anwendung des § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BtMG führen müsste. Die konkrete Gefahr, über die genannten Folgen hinaus geschädigt zu werden, bedarf tatgerichtlicher Feststellung.
Rz. 12
bb) Die Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls erfordert eine umfassende Gesamtwürdigung (BGHSt 2, 181, 182; 28, 318, 319; 29, 319, 322; BGH NJW 1990, 1489). Das alleinige – im Übrigen nicht näher begründete (vgl. etwa den Vorschlag von Körner aaO AMG Anhang D I Rdn. 46: nicht geringe Menge ab 1,2 g Flunitrazepam) – Abstellen auf das Überschreiten einer im Rahmen des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BtMG „erwartbaren” Menge Rohypnol wird den Erfordernissen schon deswegen nicht gerecht.
Unterschriften
Basdorf, Brause, Schaal, Dölp, König
Fundstellen
Haufe-Index 2562622 |
NStZ 2010, 170 |
A&R 2009, 234 |
StoffR 2010, 103 |