Verfahrensgang
LG Konstanz (Urteil vom 16.04.2019) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 16. April 2019 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Sachbeschädigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte im Rahmen einer Auseinandersetzung mit einem Tretroller in Richtung des Oberkörpers des Geschädigten. Dabei hielt er für möglich, dass er diesen am Kopf treffen und ihn töten könnte, und nahm dies „zumindest” billigend in Kauf. Er traf den Geschädigten an der linken Schulter; dieser erlitt hierdurch ein großflächiges und schmerzhaftes Hämatom. Anschließend führte der Angeklagte „weitere Schläge in der vorbeschriebenen Art und Weise” aus. Dabei traf der erste der insgesamt neun weiteren Schläge die Wand des Flures, in dem sich der Angeklagte und der Geschädigte befanden; anschließend floh der Geschädigte in ein Zimmer und schloss die Türe; die weiteren Schläge „schlugen daher in die verschlossene Zimmertür ein”. Hierdurch entstanden mehrere tiefe Kerben; die Beschädigung der Türe nahm der Angeklagte billigend in Kauf. Der Angeklagte holte nunmehr zu einer weiteren Schlagbewegung aus; bevor er den Schlag ausführen konnte, griff ein Zeuge in das Geschehen ein und nahm dem Angeklagten den Tretroller ab.
Rz. 3
2. Das Schwurgericht hat angenommen, dass der Angeklagte mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte. Es ist von einem Fehlschlag des Versuchs ausgegangen und hat zur Begründung ausgeführt, dass der Geschädigte sich nach dem zweiten Schlag in sein Zimmer zurückgezogen und die Zimmertür geschlossen habe; dem Angeklagten sei es durch die weiteren, gegen die geschlossene Tür geführten Schläge nicht gelungen, in das Zimmer einzudringen. „Spätestens” nachdem ihm der „Cityroller” abgenommen worden sei, habe er erkannt, dass er mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht in das Zimmer eindringen und den Geschädigten töten könne.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
Der Schuldspruch wegen versuchten Totschlags (§§ 212, 22 StGB) hat keinen Bestand. Die Annahme eines fehlgeschlagenen Versuchs des Totschlags ist nicht tragfähig begründet.
Rz. 5
1. Ein fehlgeschlagener Versuch liegt vor, wenn die Tat nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung nicht mehr für möglich hält, wobei es auf die Tätersicht nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung ankommt. Erkennt der Täter zu diesem Zeitpunkt, dass es zur Herbeiführung des Erfolges eines erneuten Ansetzens bedürfte, liegt ein Fehlschlag vor (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. September 2014 – 4 StR 367/14, NStZ 2015, 26).
Rz. 6
Nimmt der Täter im Rahmen eines mehraktigen Geschehens verschiedene Handlungen vor, steht der Fehlschlag eines oder mehrerer der Einzelakte nicht notwendig und von vornherein einem Rücktritt vom Versuch im Sinne des § 24 Abs. 1 StGB entgegen. Bilden die Einzelakte untereinander und mit der letzten Tathandlung ein durch die subjektive Zielsetzung des Täters verbundenes, örtlich und zeitlich einheitliches Geschehen, so ist für die Beurteilung der Frage, ob der Versuch fehlgeschlagen ist oder ein strafbefreiender Rücktritt durch das Unterlassen weiterer Tathandlungen (unbeendeter Versuch) oder durch Verhinderung der Tatvollendung (beendeter Versuch) erreicht werden kann, allein die subjektive Sicht des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung maßgeblich (BGH, Beschlüsse vom 9. September 2014 – 4 StR 367/14, NStZ 2015, 26; vom 17. Februar 2016 – 2 StR 213/15, NStZ 2017, 149, 151 und vom 15. Januar 2019 – 4 StR 470/18, NStZ-RR 2019, 137; Urteil vom 8. Februar 2007 – 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399; siehe auch BGH, Beschluss vom 23. November 2016 – 4 StR 471/16 mit Anm. Hecker JuS 2017, 696). Erforderlich ist jedoch, dass die tatgerichtlichen Feststellungen und die sie tragenden Beweiserwägungen einen Vorsatzwechsel ausschließen und belegen, dass ein durch die subjektive Zielsetzung des Täters verbundenes, einheitliches Geschehen vorliegt.
Rz. 7
2. Gemessen hieran ist das Landgericht im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend davon ausgegangen, dass ein fehlgeschlagener Versuch vorliegt, wenn die ausgeführten Einzelakte – ein oder zwei gezielte Schläge gegen den Geschädigten sowie weitere Schläge gegen die Türe des Zimmers, in das der Geschädigte geflohen war – durch die subjektive Zielsetzung des Angeklagten, den Geschädigten zu töten, miteinander verbunden wären. Eine solche subjektive, die Einzelakte miteinander verbindende Zielsetzung ist jedoch weder festgestellt noch mit konkreten Tatsachen belegt.
Rz. 8
a) Nach den Feststellungen und den sie tragenden Beweiserwägungen führte der Angeklagte „einen zielgerichteten kraftvollen Schlag mit einem ‚Cityroller’ gegen den Oberkörper” des Geschädigten aus. Feststellungen zu seinem Vorstellungsbild bei Ausführung der weiteren Schläge fehlen. Dass der Angeklagte die Schläge gegen die Wand und die – geschlossene oder verschlossene – Zimmertüre noch mit Tötungsvorsatz ausführte, ist weder festgestellt und belegt, noch liegt dies angesichts der Besonderheiten des Einzelfalls nahe. Das Landgericht ist von bedingt vorsätzlichem Handeln sowie einer „nicht besonders” vorbereiteten Tat des verärgerten und erregten Angeklagten ausgegangen. Die weiteren Tathandlungen – insbesondere Schläge mit dem Schlagwerkzeug gegen die Zimmertüre, hinter die sich der Geschädigte geflüchtet hatte – unterscheiden sich erheblich in ihrer Gefährlichkeit für das geschützte Rechtsgut; die Annahme eines Vorsatzwechsels lag bei dieser Sachlage nicht fern. Die Annahme fortbestehenden bedingten Tötungsvorsatzes bis zur „Entwaffnung” des Angeklagten hätte daher besonderer Feststellung und Erörterung bedurft. Hieran fehlt es.
Rz. 9
b) Darüber hinaus bleibt angesichts widersprüchlicher Feststellungen dazu, ob der Geschädigte die Zimmertüre geschlossen oder verschlossen hatte, unklar, ob ihm zum Zeitpunkt der Ausführung der weiteren Schläge Handlungsalternativen zur Verfügung standen, er also etwa – trotz erkannter Möglichkeit – davon abgesehen hat, die Zimmertüre zu öffnen, den Geschädigten zu verfolgen und ihn unmittelbar anzugreifen. Der Verzicht auf eine solche Handlungsalternative könnte Rückschlüsse auf das Vorstellungsbild des Angeklagten und die subjektive Tatseite zulassen und hätte daher der Feststellung und Erörterung bedurft.
Rz. 10
3. Die hierin liegenden Darlegungs- und Erörterungsmängel führen zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Totschlags und entziehen dem Schuldspruch insgesamt die Grundlage. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
Rz. 11
Das neu zur Entscheidung berufene Schwurgericht wird Gelegenheit haben, genauere Feststellungen zu Form, Beschaffenheit und Gewicht des konkret eingesetzten Schlagwerkzeugs sowie zur subjektiven Tatseite zu treffen. Die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes bedarf einer sorgfältigen und umfassenden Abwägung aller für und gegen bedingten Tötungsvorsatz sprechenden Umstände.
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Quentin, Feilcke, Bartel
Fundstellen
Haufe-Index 13542456 |
NJW 2020, 487 |
NStZ 2020, 82 |
NStZ-RR 2020, 5 |
StV 2020, 74 |