Verfahrensgang
LG Leipzig (Urteil vom 12.01.2007) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 12. Januar 2007 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch der Nebenklägerin entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen mehrerer Fälle der Vergewaltigung und des sexuellen Missbrauchs seiner Stieftochter B. … u. a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Dies gilt auch für die auf die Vereidigung der als Zeugin vernommenen Nebenklägerin gestützte Verfahrensrüge.
Rz. 2
1. Allerdings beanstandet der Beschwerdeführer mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge zu Recht, dass das Landgericht die Nebenklägerin als Zeugin vereidigt hat, ohne sie zuvor über das ihr als Stieftochter des Angeklagten zustehende Eidesverweigerungsrecht gemäß § 61 i.V.m. § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO belehrt zu haben. Die Belehrung ist unterblieben, wie das Protokoll beweist (§ 274 Satz 1 StPO). Über das Recht zur Verweigerung der Eidesleistung ist ein Zeuge auch dann zu belehren, wenn er über sein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 52 Abs. 1 StPO belehrt worden ist (BGHSt 4, 217, 218).
Rz. 3
2. Der Verfahrensfehler gefährdet indes den Bestand des Urteils nicht. Ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht des § 61 2. Halbsatz StPO ist kein absoluter Revisionsgrund; er führt nur dann zur Aufhebung des Urteils, wenn dieses auf der Rechtsverletzung beruht (vgl. BGHSt 4, 217, 218; BGHR StPO § 63 Verletzung 2; Dahs in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 63 Rdn. 9). Das ist hier nicht der Fall.
Rz. 4
a) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts kann der Senat allerdings nicht ausschließen, dass das Landgericht die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin zu den sich über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren erstreckenden Tatvorwürfen des sexuellen Missbrauchs und der Vergewaltigung anders beurteilt hätte, wenn die Nebenklägerin nach der vorgeschriebenen Belehrung über ihr Eidesverweigerungsrecht die Eidesleistung verweigert hätte. Zwar teilt der Senat die Befürchtung der Verteidigung nicht, dass die Beurteilung der Schuldfrage angesichts der langen Beweisaufnahme und der Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens „auch aus Sicht der Strafkammer” nicht so zweifelsfrei gewesen sein könnte, „wie das nach den Urteilsgründen scheinen mag”. Das Landgericht hat den Aussagen der Nebenklägerin im Einklang mit der Bewertung der aussagepsychologischen Sachverständigen (UA S. 257) „ohne Einschränkungen Glauben geschenkt” und hatte „keinen Zweifel” daran, „dass die tatbezogenen Angaben dieser Zeugin eigenes Erleben wiedergeben” (UA S. 82). Gleichwohl lässt sich nicht ausschließen, dass die Strafkammer zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, wenn die Nebenklägerin nach der vorgeschriebenen Belehrung erklärt hätte, sie wolle ihre Aussage nicht beschwören (vgl. BGH StV 2002, 465; NStZ 2001, 604), und damit einen bis dahin nicht vorhandenen, überraschenden Unsicherheitsfaktor für die Beurteilung ihres Aussageverhaltens geschaffen hätte. Zudem hat das Landgericht die Vereidigung der Nebenklägerin für notwendig gehalten, obwohl es gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 StPO hiervon absehen konnte. Die Vereidigung eines Verletzten stellt aber – zumal vor dem Hintergrund der Abschaffung des Grundsatzes der Regelvereidigung durch den Gesetzgeber – einen ganz ungewöhnlichen Ausnahmefall dar. Die Vereidigung der Nebenklägerin war auch weder von der Staatsanwaltschaft noch von der Verteidigung beantragt worden. Namentlich im Blick auf die rechtsfehlerfreie Aussageanalyse im Urteil im Einklang mit einem Glaubhaftigkeitsgutachten ist ein nachvollziehbarer Grund für die Anordnung der Vereidigung hier kaum erkennbar.
Rz. 5
b) Für die Frage, ob die Verurteilung auf dem Verfahrensfehler beruht, ist es ohne Bedeutung, ob das Gericht – was hier besonders naheliegt – der Aussage der Zeugin auch geglaubt hätte, wenn es von der Vereidigung abgesehen hätte (vgl. BGHR StPO § 63 Verletzung 1; BGH StV 1991, 498; NStE Nr. 3 zu § 63 StPO). Das Landgericht hat die Aussage der Nebenklägerin auch nicht nachträglich als uneidliche gewertet (vgl. BGHR StPO § 63 Belehrung, fehlende 1).
Rz. 6
c) Allerdings kann ein Beruhen des Urteils auf dem Unterbleiben der gebotenen Belehrung eines zur Verweigerung der Eidesleistung berechtigten Zeugen auch dann ausgeschlossen werden, wenn mit Sicherheit davon auszugehen ist, dass der Zeuge auch nach Belehrung über sein Eidesverweigerungsrecht den Eid geleistet hätte. Insoweit müssen dieselben Maßstäbe gelten, die der Bundesgerichtshof für das Unterbleiben der Belehrung über ein Zeugnisverweigerungsrecht aufgestellt hat (vgl. BGH StV 2002, 3). Danach kann sich solches nicht nur aus früheren Belehrungen oder sonstiger Kenntniserlangung von dem Weigerungsrecht (BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verletzung 5) ergeben, sondern auch aus dem bisherigen Prozessverhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 1993 – 5 StR 569/93) oder dem ersichtlichen Interesse des Zeugen am Ausgang des Verfahrens (vgl. BGH NJW 1986, 2121, 2122). Bei alledem kann außer auf das angefochtene Urteil auch auf den Akteninhalt zurückgegriffen werden (BGHR StPO § 52 Abs. 3 Satz 1 Verletzung 3 und 5; BGH NJW aaO). Ausgehend von diesen Grundsätzen schließt der Senat im Hinblick auf das bisherige Prozessverhalten der B. und ihr ersichtliches Interesse an einer Verfahrensförderung mit dem Ziel einer strengen Bestrafung des Angeklagten aus, dass die erwachsene und anwaltlich beratene Nebenklägerin nach ordnungsgemäßer Belehrung über ihr Eidesverweigerungsrecht die Eidesleistung verweigert hätte. Dies wird durch zahlreiche sich aus dem Akteninhalt ergebende Einzelheiten belegt. Hierauf und auf die gegenüber der Antragsschrift des Generalbundesanwalts abweichende Bewertung ist der Revisionsführer hingewiesen worden. Der Senat schließt angesichts der Feststellungen des Landgerichts zur Persönlichkeit und inneren Einstellung der Nebenklägerin sowie zur Konstanz ihrer Aussagen vom Beginn des Ermittlungsverfahrens an auch aus, dass allein die Kenntnis um die gegenüber einer uneidlichen Falschaussage (§ 153 StGB) höhere Strafdrohung eines Meineides (§ 154 StGB) und um die Strafbarkeit eines fahrlässigen Falscheides (§§ 154, 163 StGB) ein Grund gewesen wäre, der die Nebenklägerin bei ordnungsgemäßer Belehrung über ihr Eidesverweigerungsrecht von der Eidesleistung abgehalten hätte.
Unterschriften
Basdorf, Gerhardt, Raum, Brause, Jäger
Fundstellen
Haufe-Index 2565257 |
NStZ 2008, 171 |
StV 2008, 563 |