Entscheidungsstichwort (Thema)
Organisationsverschulden des Anwalts, wenn die Möglichkeit offen geblieben ist, dass mehrere Büroangestellte und unzulässigerweise auch eine Ausbildungskraft für die Fristenüberwachung zuständig gewesen sind
Leitsatz (amtlich)
Ein anwaltliches Organisationsverschulden liegt vor, wenn nicht nur eine bestimmte qualifizierte Fachkraft der Anwaltskanzlei für die Fristennotierung im Kalender und die Fristenüberwachung verantwortlich ist, sondern es vielmehr möglich ist, dass mehrere Büroangestellte hierfür zuständig sind. Dasselbe gilt, wenn Fristennotierung und -überwachung einer noch in der Ausbildung befindlichen Kraft übertragen werden.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Beschluss vom 26.11.2004; Aktenzeichen 12 U 1092/04) |
LG Koblenz (Urteil vom 23.07.2004; Aktenzeichen 10 O 67/00) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des OLG Koblenz vom 26.11.2004 wird auf Kosten des Klägers verworfen.
Streitwert: 106.956,42 EUR
Gründe
I. Die Parteien betrieben vom 1.6.1985 bis 31.12.1999 in Gesellschaft bürgerlichen Rechts einen Handwerksbetrieb. Der Kläger nimmt den Beklagten auf Zahlung eines Anteils i.H.v. 106.956,42 EUR am Gewinn der Gesellschaft in Anspruch. Das LG hat die Klage durch Schlussurteil vom 23.7.2004 abgewiesen. Gegen die ihm am 26.7.2004 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 27.8.2004 Berufung eingelegt und wegen der Versäumung der Berufungsfrist um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebeten. Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt. Mit seiner - vom Berufungsgericht nicht zugelassenen - Rechtsbeschwerde will der Kläger gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erreichen.
II. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 577 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Entgegen der Annahme des Klägers erfordert die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts in dieser Sache nicht, weil der angefochtene Beschluss des Berufungsgerichts mit der Rechtsprechung des BGH in Einklang steht.
1. Nach Darstellung des Klägers beruht die Versäumung der Frist für die Berufungseinlegung darauf, dass die ordnungsgemäß im Fristenkalender der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten notierte Frist am Abend des 25.8.2004 bereits gestrichen war, als der Anwalt den Kalender gemeinsam mit seiner Sekretärin auf die am folgenden Tage anstehenden Termine und ablaufenden Fristen überprüfte. Wer die Streichung der Frist vorgenommen hat, kann nach dem Vortrag des Klägers nicht mehr geklärt werden; in Betracht hierfür kommen nach seinem Vorbringen sowohl die Sekretärin des Anwalts als auch eine Auszubildende im dritten Lehrjahr.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn die Möglichkeit offen geblieben ist, dass die Einhaltung der Frist schuldhaft versäumt worden ist (BGH, Beschl. v. 14.1.1993 - VII ZB 18/92, VersR 1993, 772 [773]). Um einen solchen Fall handelt es sich hier.
a) Von einem für die Fristversäumung ursächlichen anwaltlichen Organisationsverschulden ist nach der Rechtsprechung des BGH auszugehen, wenn nach dem Wiedereinsetzungsvorbringen nicht festgestellt werden kann, dass nur eine bestimmte qualifizierte Fachkraft für die Fristennotierung im Kalender und die Fristenüberwachung verantwortlich ist, sondern es möglich ist, dass mehrere Büroangestellte und unzulässigerweise sogar eine noch auszubildende Kraft (BGH, Beschl. v. 20.6.1978 - VI ZB 7/78, VersR 1978, 959 [960]) hierfür zuständig sind (BGH, Beschl. v. 8.7.1992 - XII ZB 55/92, NJW 1992, 3176, m.w.N.). So liegt es hier.
b) In der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags heißt es, eine Kontrolle der Fristen erfolge in der Form, dass der Anwalt bei Büroschluss mit seinen Mitarbeitern, vor allem mit seiner Sekretärin, Frau K., den darauf folgenden Tag hinsichtlich Termine, Besprechungen und Fristen überprüfe. Aus dieser Formulierung ergibt sich nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit, dass allein Frau K. für die Fristenüberwachung zuständig war. Daran ändert es nichts, dass es im nächsten Absatz heißt, Frau K. nehme jeweils den Terminkalender zur Hand und teile dem Rechtsanwalt mit, welche Fristen anstünden. Auch der Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 21.10.2004, wonach Fristen normalerweise nur von der Mitarbeiterin K. des Prozessbevollmächtigten gestrichen werden, lässt nicht mit der notwendigen Klarheit erkennen, dass nach den Anweisungen seines Prozessbevollmächtigten allein Frau K. zur Fristenstreichung berechtigt war. Vielmehr lässt die Verwendung des Wortes "normalerweise" darauf schließen, dass Ausnahmen von der behaupteten Regel möglich sind.
c) Da das Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers nicht daran scheitert, dass im Nachhinein nicht mehr aufgeklärt werden konnte, welches die Ursache der versehentlichen Friststreichung war, kommt es entgegen der Ansicht der Beschwerde auf die Entscheidung des BGH vom 16.11.2004 (BGH v. 16.11.2004 - VIII ZB 32/04, BGHReport 2005, 321 = MDR 2005, 469 = NJW-RR 2005, 1006) nicht an, der zufolge es zur Glaubhaftmachung eines Versehens der Darlegung von Gründen, die das Versehen erklären könnten, nicht bedarf.
Fundstellen
Haufe-Index 1493467 |
BB 2006, 689 |
HFR 2006, 623 |