Leitsatz (amtlich)

Wird eine Klage auf Mängelbeseitigung abgewiesen, so bemisst sich die Beschwer des Klägers nach den Kosten der Selbstvornahme.

 

Normenkette

ZPO § 511 Abs. 2 Nr. 1

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Beschluss vom 02.07.2013; Aktenzeichen 17 S 3775/13)

AG Fürth (Bayern) (Entscheidung vom 17.04.2013; Aktenzeichen 380 C 823/11)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der 17. Zivilkammer des LG Nürnberg-Fürth vom 2.7.2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 716,43 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Klägerin hat restlichen Werklohn für Glasbauarbeiten am Anwesen des Beklagten begehrt. Dieser hat Widerklage auf Mangelbeseitigung (Riss in einer Fensterscheibe Wärmeschutz - Sonnenschutz - Isolierglas) durch Austausch der Scheibe erhoben. Das AG hat Klage und Widerklage als unbegründet abgewiesen. Den Streitwert für die Widerklage hat es auf 500 EUR festgesetzt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beklagten hat das LG zurückgewiesen.

Rz. 2

Das LG hat die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses des Berufungsgerichts sowie die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erstrebt.

II.

Rz. 3

1. Die gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Zulässigkeitsvoraussetzung der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erfüllt. Der angefochtene Beschluss beschränkt das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Verfahrensgrundrecht des Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes bezüglich des Zugangs zur Berufungsinstanz in einer nicht zu rechtfertigenden Weise (vgl. BGH, Beschl. v. 25.9.2013 - VII ZB 26/11, WRP 2014, 193 Rz. 4 m.w.N.).

Rz. 4

2. Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Rz. 5

a) Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen, weil der Wert des Beschwerdegegenstands 600 EUR nicht übersteige, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Der Beschwerdewert könne nicht höher sein als der Streitwert erster Instanz, den AG und Berufungsgericht übereinstimmend auf 500 EUR festgesetzt hätten. Der Beklagte könne nicht mit Erfolg einwenden, dass die Klägerin für die vom Mängelbeseitigungsverlangen betroffene Scheibe netto 602,04 EUR in Rechnung gestellt habe. Das Interesse des Widerklägers sei vom Gericht nach freiem Ermessen festzusetzen, § 3 ZPO. Dieses Interesse sei nicht mit dem Bruttorechnungsbetrag von 716,43 EUR (602,04 EUR zzgl. 114,39 EUR Mehrwertsteuer) zu bemessen, sondern an den Eigenkosten der Widerbeklagten auszurichten, da der Widerkläger keinen Vorschuss oder Schadensersatz fordere, sondern Mängelbeseitigung. Die der Widerbeklagten selbst entstehenden Kosten seien deutlich niedriger als der Rechnungsbetrag, der mit weiteren Kalkulationsposten versehen sei.

Rz. 6

Daher könne der Wert der Beschwer insgesamt nur auf einen Höchstwert von 500 EUR festgesetzt werden.

Rz. 7

b) Das hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.

Rz. 8

aa) Gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist die Berufung gegen ein Urteil, in dem das Gericht erster Instanz - wie im Streitfall - die Berufung nicht zugelassen hat, nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 EUR übersteigt. Nach § 2 ZPO i.V.m. § 3 ZPO wird der Wert des Beschwerdegegenstandes vom Gericht nach freiem Ermessen festgesetzt.

Rz. 9

Bei der Bestimmung des Wertes des Beschwerdegegenstands gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist auf das Interesse des Berufungsklägers abzustellen, die durch die Widerklageabweisung entstandene Beschwer zu beseitigen. Seine Beschwer entspricht den (voraussichtlichen) Kosten für die Beseitigung der geltend gemachten Mängel (BGH, Urt. v. 26.9.1985 - VII ZR 332/84, NJW 1986, 1110 - zur Beschwer), bezogen auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Berufungsverhandlung (BGH, Beschl. v. 27.8.2009 - VII ZR 161/08, ZfBR 2010, 64; v. 8.2.2000 - VI ZR 283/99, NJW 2000, 1343).

Rz. 10

bb) Die Erwägung des Berufungsgerichts, maßgebend seien insoweit die niedrigeren Selbstkosten, ist von Rechtsfehlern beeinflusst. Das Interesse des Widerklägers geht dahin, einen Titel über die Verpflichtung der Klägerin zur Mängelbeseitigung zu erlangen. Maßgebend für die Bewertung dieses Interesses ist nicht der Aufwand, den die Klägerin betreiben müsste, um die Mängelbeseitigung durchzuführen, sondern der Wert, den die Mängelbeseitigung für den Widerkläger hat. Dieser drückt sich in den Kosten aus, die er durch eine nach einer eventuellen Mängelbeseitigung überflüssigen Selbstvornahme durch Inanspruchnahme von Drittunternehmern erspart. Diese Kosten sind identisch mit den Kosten, die er durch eine Vollstreckung aus dem Titel gem. § 887 ZPO beanspruchen könnte. Der in der Rechnung der Widerbeklagten angesetzte Betrag von 602,04 EUR netto zzgl. Mehrwertsteuer (= 716,43 EUR), der zwischen den Parteien unstreitig ist, gibt einen für die Glaubhaftmachung der Beschwer hinreichenden Anhalt.

Rz. 11

cc) Soweit das Berufungsgericht die Rechtsansicht vertreten sollte, es sei in der Beurteilung des Wertes des Beschwerdegegenstandes an die Streitwertfestsetzung erster Instanz gebunden, wäre dies nicht mit der Rechtsprechung des BGH zu vereinbaren. Bei der Prüfung, ob der Wert des Beschwerdegegenstands den für eine Wertberufung erforderlichen Betrag von mehr als 600 EUR erreicht, ist das Berufungsgericht nicht an eine Streitwertfestsetzung durch das erstinstanzliche Gericht gebunden (BGH, Beschl. v. 9.7.2004 - V ZB 6/04, NJW-RR 2005, 219; v. 16.12.1987 - IVb ZB 124/87, NJW-RR 1988, 836, 837; v. 25.9.1991 - XII ZB 61/91, FamRZ 1992, 169, 170; Urt. v. 20.10.1997 - II ZR 334/96, NJW-RR 1998, 573; v. 24.4.1998 - V ZR 225/97, NJW 1998, 2368 jeweils m.w.N.). Es stellt den Wert des Beschwerdegegenstandes vielmehr im Rahmen der ihm von Amts wegen obliegenden Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen nach § 522 Abs. 1 Satz 1 ZPO nach eigenem freiem Ermessen fest.

Rz. 12

c) Der die Berufung als unzulässig verwerfende Beschluss kann somit, da sich die Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (vgl. § 577 Abs. 3 ZPO), keinen Bestand haben. Die Sache ist daher zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 6536755

NJW 2014, 6

BauR 2014, 875

EBE/BGH 2014

NJW-RR 2014, 404

JZ 2014, 310

MDR 2014, 856

ZfBR 2014, 359

NZBau 2014, 223

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