Leitsatz (amtlich)
1. Die Rechtsbeeinträchtigung des anwesenden Schuldners durch den Zuschlag eines im Bruchteilseigentum stehenden Grundstücks in der Zwangsversteigerung ohne die erforderliche Einzelausbietung sämtlicher Miteigentumsanteile entfällt gemäß § 84 Abs. 1 Alt. 1 ZVG nur dann, wenn im Einzelfall aufgrund konkreter Umstände sicher feststeht, dass bei Einzelausgeboten kein höherer Versteigerungserlös erzielt worden wäre als bei der durchgeführten Gesamtausbietung; allein der Umstand, dass einzelne Miteigentumsanteile in der Regel schwerer veräußerlich sind als das Gesamtgrundstück, entbindet nicht von dem gesetzlich vorgesehenen Erfordernis einer Einzelausbietung.
2. Nach dem Schluss der Versteigerung (§ 73 Abs. 2 ZVG) kann ein die Einstellung oder Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens ablehnender Beschluss nicht mehr selbstständig, sondern nur noch mit der sofortigen Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss angefochten werden. Ein bereits anhängiges Rechtsmittel gegen den ablehnenden Beschluss wird mit der Zuschlagserteilung gegenstandslos.
Normenkette
ZVG §§ 33, 63 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, § 73 Abs. 2, § 83 Nrn. 2, 6, § 84 Abs. 1 Alt. 1, § 95; ZPO § 765a
Verfahrensgang
LG Göttingen (Entscheidung vom 27.04.2023; Aktenzeichen 10 T 8/23) |
AG Göttingen (Entscheidung vom 18.01.2023; Aktenzeichen 75 K 3/21) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen den Beschluss des Landgerichts Göttingen - 10. Zivilkammer - vom 27. April 2023 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 1. August 2023 wird, soweit die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen die Zurückweisung seines Antrags auf einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens zurückgewiesen worden ist, mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen wird.
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners werden der genannte Beschluss des Landgerichts Göttingen im Übrigen und der Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts Göttingen vom 18. Januar 2023 aufgehoben.
Der Zuschlag auf das in dem Zwangsversteigerungstermin vom 18. Januar 2023 abgegebene Meistgebot der Beteiligten zu 5 und 6 wird versagt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Beteiligte zu 3 (nachfolgend: Gläubigerin) betreibt aus einer Grundschuld die Zwangsversteigerung des im Eingang dieses Beschlusses näher bezeichneten Grundstücks, das im hälftigen Miteigentum des Beteiligten zu 1 (nachfolgend: Schuldner) und der Beteiligten zu 2 steht. Der Verkehrswert des Grundstücks wurde auf 531.000 € festgesetzt. Am Tag vor dem Versteigerungstermin stellte der Schuldner einen Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO. In dem Versteigerungstermin am 18. Januar 2023 wurden die beiden Miteigentumsanteile des Grundstücks nur gemeinsam ausgeboten und das geringste Gebot mit 9.513,52 € festgestellt.
Rz. 2
Das Amtsgericht hat den Vollstreckungsschutzantrag des Schuldners abgelehnt und den Beteiligten zu 5 und 6 den Zuschlag auf deren Meistgebot über 300.000 € erteilt. Das Landgericht hat die dagegen gerichteten sofortigen Beschwerden des Schuldners zurückgewiesen. Mit den zugelassenen Rechtsbeschwerden möchte der Schuldner die Aufhebung des Zuschlags und die einstweilige Einstellung des Zwangsversteigerungsverfahrens erreichen.
II.
Rz. 3
Das Beschwerdegericht meint, den Beteiligten zu 5 und 6 sei zu Recht der Zuschlag erteilt worden. Es liege zwar ein Versagungsgrund im Sinne von § 83 Nr. 2 ZVG vor, weil das Amtsgericht die Miteigentumsanteile entgegen § 63 Abs. 1, Abs. 4 ZVG nicht einzeln ausgeboten habe. Gleichwohl sei der Zuschlag nicht zu versagen, weil der Schuldner durch den Zuschlag nicht beeinträchtigt werde (§ 84 Abs. 1 ZVG). Aufgrund des Verhältnisses zwischen dem festgestellten geringsten Gebot (9.513,52 €), dem Verkehrswert des Grundstücks (531.000 €) und dem Meistgebot (300.000 €) könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass bei einer Einzelausbietung der Miteigentumsanteile in der Summe kein höheres Gebot abgegeben worden wäre. Daneben sei zwar grundsätzlich auch ein Versagungsgrund im Sinne von § 83 Nr. 1 ZVG gegeben, weil das Amtsgericht für die erforderlichen Einzelausgebote kein gesondertes geringstes Gebot festgestellt habe. Dieser Mangel sei jedoch ebenfalls mangels Rechtsbeeinträchtigung des Schuldners gemäß § 84 Abs. 1 ZVG geheilt. Der auf § 765a ZPO gestützte Vollstreckungsschutzantrag des Schuldners sei unbegründet, da kein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens festzustellen sei.
III.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerden sind nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO). Begründet ist jedoch nur die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen die Zurückweisung seiner Zuschlagsbeschwerde. Soweit sich der Schuldner gegen die Ablehnung seines Vollstreckungsschutzantrags wendet, bleibt sein Rechtsmittel ohne Erfolg.
Rz. 5
1. Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 5 und 6 zu Unrecht den Zuschlag erteilt. Die Rechtsbeschwerde führt zur Versagung des Zuschlags (§ 100 Abs. 1 i.V.m. § 83 Nr. 2 ZVG).
Rz. 6
a) Im Ausgangspunkt rechtsfehlerfrei bejaht das Beschwerdegericht einen Zuschlagsversagungsgrund im Sinne von § 83 Nr. 2 ZVG. Nach dieser Bestimmung ist der Zuschlag unter anderem dann zu versagen, wenn bei der Versteigerung mehrerer Grundstücke das Einzelausgebot den Vorschriften des § 63 Abs. 1, Abs. 4 ZVG zuwider unterblieben ist. Ein solcher Verfahrensfehler ist dem Amtsgericht unterlaufen. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 ZVG sind mehrere in demselben Verfahren zu versteigernde Grundstücke einzeln auszubieten. Entsprechendes gilt für die Zwangsversteigerung der Miteigentumsanteile, wenn ein Grundstück - wie hier - im Bruchteilseigentum steht (vgl. Senat, Beschluss vom 29. Oktober 2020 - V ZB 13/20, NJW-RR 2021, 467 Rn. 12; Beschluss vom 30. Oktober 2008 - V ZB 41/08, NJW-RR 2009, 158 Rn. 6). Abweichend hiervon hat das Amtsgericht im Versteigerungstermin von Einzelausgeboten Abstand genommen, ohne dass die Voraussetzungen des § 63 Abs. 4 Satz 1 ZVG vorlagen. Danach unterbleibt das Einzelausgebot, wenn die in § 63 Abs. 4 Satz 1 ZVG genannten Beteiligten hierauf verzichtet haben. An dem danach erforderlichen Verzicht des anwesenden Schuldners fehlt es nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts.
Rz. 7
b) Rechtsfehlerhaft ist aber die Annahme des Beschwerdegerichts, dass der Versagungsgrund des § 83 Nr. 2 ZVG der Erteilung des Zuschlags nicht entgegensteht, weil der Verfahrensmangel nach § 84 Abs. 1 Alt. 1 ZVG geheilt ist.
Rz. 8
aa) Nach dieser Norm stehen die im § 83 Nr. 1 bis 5 ZVG bezeichneten Versagungsgründe der Erteilung des Zuschlags nicht entgegen, wenn das Recht des Beteiligten durch den Zuschlag nicht beeinträchtigt wird. Eine Heilung des Verfahrensmangels gemäß § 84 Abs. 1 Alt. 1 ZVG erfordert die positive Feststellung, dass das Recht des Beteiligten nicht beeinträchtigt worden ist, weshalb eine Heilung schon bei der Möglichkeit einer Beeinträchtigung ausscheidet (vgl. Senat, Beschluss vom 19. April 2018 - V ZB 93/17, BeckRS 2018, 10517 Rn. 9; Beschluss vom 2. Februar 2012 - V ZB 6/11, BeckRS 2012, 5391 Rn. 11; Beschluss vom 7. Oktober 2010 - V ZB 37/10, NJW-RR 2011, 233, Rn. 18). Die Rechtsbeeinträchtigung des anwesenden Schuldners durch den Zuschlag eines im Bruchteilseigentum stehenden Grundstücks in der Zwangsversteigerung ohne die nach § 63 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 ZVG erforderliche Einzelausbietung sämtlicher Miteigentumsanteile entfällt nach diesen Grundsätzen gemäß § 84 Abs. 1 Alt. 1 ZVG nur dann, wenn im Einzelfall aufgrund konkreter Umstände sicher feststeht, dass bei Einzelausgeboten kein höherer Versteigerungserlös erzielt worden wäre als bei der durchgeführten Gesamtausbietung (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Februar 2012 - V ZB 6/11, BeckRS 2012, 5391 Rn. 11).
Rz. 9
bb) Solche konkreten Umstände sind hier nicht festgestellt. Anders als das Beschwerdegericht meint, lässt sich allein aus dem Verhältnis zwischen dem mit 9.513,52 € festgestellten geringsten Gebot, dem Verkehrswert in Höhe von 531.000 € und dem Meistgebot von 300.000 € keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für das Fehlen einer Beeinträchtigung ableiten. Das Beschwerdegericht legt nicht nachvollziehbar dar, welche konkreten Schlussfolgerungen es aus dem Verhältnis der Werte zueinander für seine Überzeugungsbildung zieht. Bereits deshalb trägt die von dem Beschwerdegericht gegebene Begründung nicht die Feststellung, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei Einzelausgeboten der beiden ideellen Miteigentumsanteile an dem Versteigerungsobjekt kein in Summe höheres Gebot abgegeben worden wäre. Auch sonst ist nicht ersichtlich, dass das Verhältnis der von dem Beschwerdegericht herangezogenen Werte für sich genommen überhaupt einen Rückschluss auf das Ergebnis einer Einzelausbietung zulässt. Gegenteiliges folgt auch nicht aus dem von dem Beschwerdegericht zitierten Beschluss des Senats vom 19. April 2018 (V ZB 93/17, BeckRS 2018, 10517 Rn. 9). In dem dort entschiedenen Fall hatte - anders als hier - eine Einzelausbietung der Miteigentumsanteile stattgefunden, so dass sich der Senat mit einer Heilung eines Zuschlagsversagungsgrundes im Sinne von § 83 Nr. 2 ZVG nicht befassen musste.
Rz. 10
cc) Allein der Umstand, dass einzelne Miteigentumsanteile in der Regel schwerer veräußerlich sind als das Gesamtgrundstück, entbindet nicht von dem gesetzlich vorgesehenen Erfordernis einer Einzelausbietung. Das vorrangige Anliegen aller Versteigerungsmodalitäten besteht darin, ein möglichst hohes Meistgebot zu erreichen. Dabei räumt das Zwangsversteigerungsgesetz der Einzelausbietung insoweit einen Vorrang ein, als es davon ausgeht, bei dieser Art der Versteigerung werde in der Regel das höchste Gebot erzielt. Zwar wird bei einem Gesamtausgebot wirtschaftlich zusammengehörender Einheiten das Bietinteresse zunehmen. Das ändert jedoch nichts daran, dass bei der der Regelung zu Grunde liegenden typisierenden Betrachtung ein bestmöglicher Verwertungserlös regelmäßig nur unter Beibehaltung auch des Einzelausgebots zu erwarten ist (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - V ZB 41/08, NJW-RR 2009, 158 Rn. 7 mwN). Dieses Regelungskonzept des Zwangsversteigerungsgesetzes würde durchkreuzt, wenn man bei der Zwangsversteigerung von Miteigentumsanteilen eines im Bruchteilseigentum stehenden Grundstücks stets den Verzicht auf Einzelausbietungen zuließe.
Rz. 11
dd) Weitere konkrete Feststellungen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Schluss zulassen, dass bei einer Einzelausbietung kein höherer Versteigerungserlös erzielt worden wäre, hat das Beschwerdegericht nicht getroffen. Hierfür ist auch nichts ersichtlich.
Rz. 12
c) Da die Zuschlagsbeschwerde bereits wegen der unterbliebenen Einzelausbietung der Miteigentumsanteile Erfolg hat, kann dahinstehen, ob weitere Versagungsgründe vorliegen.
Rz. 13
2. Die Rechtsbeschwerde des Schuldners gegen die Ablehnung seines Vollstreckungsschutzantrags nach § 765a ZPO hat dagegen keinen Erfolg. Seine sofortige Beschwerde gegen den Vollstreckungsschutz versagenden Beschluss des Amtsgerichts vom 18. Januar 2023 ist bereits unzulässig.
Rz. 14
a) Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht nach § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Eine Entscheidung nach § 765a ZPO ist über den Wortlaut von § 95 ZVG hinaus vor der Zuschlagserteilung selbstständig anfechtbar (vgl. Senat, Urteil vom 13. Juli 1965 - V ZR 269/62, BGHZ 44, 138, 140; Dassler/Schiffhauer/Hintzen, ZVG, 16. Aufl., § 95 Rn. 60).
Rz. 15
b) Nach dem Schluss der Versteigerung (§ 73 Abs. 2 ZVG) kann ein die Einstellung oder Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens ablehnender Beschluss demgegenüber nicht mehr selbstständig, sondern nur noch mit der sofortigen Beschwerde gegen den Zuschlagsbeschluss angefochten werden. Denn gemäß § 33 ZVG darf, wenn ein Grund zur Aufhebung oder einstweiligen Einstellung des Verfahrens vorliegt, die Entscheidung von diesem Zeitpunkt an nur durch Versagung des Zuschlags erfolgen. Ein bereits anhängiges Rechtsmittel gegen den ablehnenden Beschluss wird mit der Zuschlagserteilung gegenstandslos (vgl. Senat, Urteil vom 13. Juli 1965 - V ZR 269/62, BGHZ 44, 138, 140; KG, OLGZ 1966, 566; OLG Schleswig, SchlHA 1968, 122; LG Verden, NdsRpfl. 1967, 60; Böttcher/Böttcher, ZVG, 7. Aufl., § 33 Rn. 14; Jansen, NJW 1955, 427, 428). Gemäß § 100 Abs. 1, Abs. 3 ZVG besteht ein von Amts wegen zu berücksichtigender Versagensgrund unter anderem dann, wenn die Zwangsversteigerung oder die Fortsetzung des Verfahrens aus einem sonstigen Grund unzulässig ist (§ 83 Nr. 6 ZVG). Den behaupteten Einstellungsgrund haben das Vollstreckungsgericht bei der Entscheidung über den Zuschlag und gegebenenfalls das Beschwerdegericht auf die Zuschlagsbeschwerde zu prüfen. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen die Erteilung des Zuschlags kann daher auch auf einen Verstoß gegen § 765a ZPO gestützt werden (vgl. Senat, Urteil vom 13. Juli 1965 - V ZR 269/62, BGHZ 44, 138, 141). Unter diesen Umständen kommt dem Rechtsmittel gegen die Ablehnung des Vollstreckungsschutzantrags nach § 765a ZPO keine selbstständige Bedeutung mehr zu.
IV.
Rz. 16
1. Der angefochtene Beschluss kann somit, soweit er die Zuschlagsbeschwerde betrifft, keinen Bestand haben und ist aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Der Senat entscheidet in der Sache selbst, da die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO). Das führt zur Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses vom 18. Januar 2023 und zur Versagung des Zuschlags auf das in dem Versteigerungstermin am 18. Januar 2023 abgegebene Meistgebot der Beteiligten zu 5 und 6. Im Übrigen ist die Rechtsbeschwerde mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen wird.
Rz. 17
2. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Vorschriften der §§ 91 ff. ZPO sind nicht anwendbar, weil sich die Beteiligten in einem Verfahren, in dem es um die Aufhebung des Zuschlags eines Grundstücks geht, in der Regel, und so auch hier, nicht wie Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung in einem kontradiktorischen Verhältnis gegenüberstehen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Januar 2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rn. 7).
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