Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen einer Kanzleiaufgabe. Widerruf der Rechtsanwaltszulassung wegen unerlaubter Kanzleiaufgabe. Antrag auf Aufhebung eines Widerrufs der Rechtsanwaltszulassung. Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Verletzung der Pflicht zur Mitteilung einer neuen Kanzleianschrift
Normenkette
BRAO § 14 Abs. 3, § 27 Abs. 1, § 36a Abs. 2
Verfahrensgang
AGH Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 26.09.2008; Aktenzeichen 1 AGH 54/08) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluss des 1. Senats des AGH des Landes Nordrhein-Westfalen vom 26.9.2008 und der Widerrufsbescheid der Antragsgegnerin vom 26.3.2008 aufgehoben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Auslagen werden nicht erstattet.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Der Antragsteller ist seit dem 8.8.1990 im Bezirk der Antragsgegnerin zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er unterhielt seine Kanzlei zunächst unter der Anschrift "T weg 5, H.". Mit Schreiben vom 16.10.2007 teilte er der Antragsgegnerin einen "Anschriftenwechsel" mit. Die neue Anschrift laute: "A. Pfädchen 7, H.". Nach Hinweisen auf eine Aufgabe der Kanzlei forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller mit Schreiben vom 15. und 30.1.2008 auf, seine neue Kanzleianschrift mitzuteilen. Das veranlasste den Antragsteller zu der telefonischen Mitteilung, er sei unter der Kanzleianschrift "A. Pfädchen 7, H." erreichbar. Danach veranlasste Postzustellungen ließen sich jedoch nicht durchführen.
[2] Mit Bescheid vom 26.3.2008 hat die Antragsgegnerin die Zulassung des Antragstellers wegen unerlaubter Aufgabe der Kanzlei widerrufen. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der AGH zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, mit welcher er die Aufhebung dieses Widerrufs erreichen möchte. Die Antragsgegnerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
[3] Die Antragsgegnerin hat die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft mit Bescheid vom 22.8.2007 wegen Vermögensverfalls und vom 7.11.2008 wegen Fortfalls der Berufshaftpflichtversicherung widerrufen. Beide Bescheide sind Gegenstand von Anträgen auf gerichtliche Entscheidung, über die noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist.
II.
[4] Das Rechtsmittel ist begründet.
[5] 1. Nach § 14 Abs. 3 Nr. 4 BRAO kann die Rechtsanwaltskammer die Zulassung des Rechtsanwalts zur Rechtsanwaltschaft widerrufen, wenn dieser seine Kanzlei aufgibt, ohne von der Kanzleipflicht nach § 27 Abs. 1 BRAO befreit zu sein. Eine Aufgabe der Kanzlei liegt nicht schon dann vor, wenn der Rechtsanwalt einzelne mit der Pflicht zur Einrichtung einer Kanzlei nach § 27 Abs. 1 BRAO verbundene Verpflichtungen, etwa die Pflicht zur Mitteilung einer neuen Kanzleianschrift, verletzt. Seine Kanzlei gibt der Rechtsanwalt vielmehr erst, aber auch schon dann auf, wenn er den Mindestanforderungen an die Einrichtung einer Kanzlei nicht mehr genügt (BGH, Beschl. v. 27.6.1983 - AnwZ (B) 8/83, BRAK 1983, 190; Beschl. v. 3.10.1983 - AnwZ (B) 17/83, BRAK 1984, 36; Beschl. v. 13.9.1993 - AnwZ (B) 33/93, unveröff.; Beschl. v. 2.12.2004 - AnwZ (B) 72/02, NJW 2005, 1420) und damit für das rechtsuchende Publikum nicht mehr erreichbar ist (Senat, Beschl. v. 13.9.1993, a.a.O.). Zu diesen Mindestanforderungen gehören organisatorische Maßnahmen, um der Öffentlichkeit den Willen des Rechtsanwalts zu offenbaren, bestimmte Räume zu verwenden, um dem rechtsuchenden Publikum dort anwaltliche Dienste bereitzustellen; ferner muss der Rechtsanwalt ein Praxisschild anbringen, einen Telefonanschluss unterhalten und zu angemessenen Zeiten dem rechtsuchenden Publikum in den Praxisräumen für anwaltliche Dienste zur Verfügung stehen (st.Rspr.; BGH BGHZ 38, 6, 11; Beschl. v. 13.9.1993 - AnwZ (B) 33/93; Beschl. v. 25.11.2002 - AnwZ (B) 7/02, juris; Beschl. v. 2.12.2004 - AnwZ (B) 72/02, NJW 2005, 1420; Feuerich/Weyland, BRAO, 7. Aufl., § 27 Rz. 6 m.w.N.).
[6] 2. Dass der Antragsteller diesen Mindestanforderungen nicht mehr genügt, ist nicht festzustellen.
[7] a) Die Antragsgegnerin leitet den Fortfall der Mindestvoraussetzungen daraus ab, dass Zustellungen unter der Anschrift "A. Pfädchen 7, H." nicht durchführbar (gewesen) seien. Das wird zwar durch den Unzustellbarkeitsvermerk vom 27.2.2008 auf einer Sendung der Antragsgegnerin an diese Anschrift belegt. Für das Fehlen einer Kanzlei unter dieser Anschrift spricht auch der Umstand, dass der Postzusteller auf der Urkunde über die Zustellung der Ladung des Antragstellers zu dem Termin vor dem Senat eine Einlegung der Sendung in den Briefkasten der "Wohnung" vermerkt hat.
[8] b) Zweifelhaft ist aber schon, ob sich eine Aufgabe der Kanzlei darauf stützen lässt, dass der Antragsteller den Aufforderungen der Antragsgegnerin nicht Folge geleistet hat. Der Antragsteller ist zwar nach § 36a Abs. 2 Satz 1 BRAO verpflichtet, an der Sachaufklärung mitzuwirken. Seine fehlende Mitwirkung führt auch dazu, dass ihm ein beantragter Rechtsvorteil zu versagen wäre, wenn sich der Sachverhalt nicht hinreichend aufklären lässt. Hier geht es aber nicht um einen Rechtsvorteil, sondern um den Rechtsnachteil des Widerrufs der Zulassung, dessen Voraussetzungen die Antragsgegnerin positiv festzustellen muss.
[9] c) Diese positive Feststellung war bei Erlass des Widerrufsbescheids nicht möglich. Der Antragsteller war zu diesem Zeitpunkt zwar unter der Anschrift "A. Pfädchen 7, H." nicht erreichbar. Damit steht aber nicht zugleich fest, dass der Antragsteller seine Kanzlei in dem oben beschriebenen Sinne aufgegeben hat. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller nämlich unter der Anschrift "T weg 5, H." erfolgreich Schriftstücke zustellen lassen. Sie bezeichnet diese Anschrift zwar als seine Privatanschrift und hatte nach dem Schreiben des Antragstellers vom 16.10.2007 auch einen Anhaltspunkt für diese Annahme. Der Antragsteller hatte aber schon in diesem Schreiben mitgeteilt, der Postzugang unter dieser bisher als Kanzleianschrift dienenden Anschrift bleibe weiterhin möglich. Die Antragsgegnerin hatte im Zeitpunkt des Widerrufs zudem eindeutige Hinweise darauf, dass der Antragsteller seine Absicht, die Kanzleianschrift zu verändern, nicht verwirklicht haben könnte. Zu diesem Zeitpunkt war bei dem AGH der Antrag auf gerichtliche Entscheidung anhängig, die der Antragsteller gegen den Widerrufsbescheid der Antragsgegnerin vom 22.8.2007 beantragt hatte. In diesem bei dem Senat unter dem Aktenzeichen AnwZ (B) 71/08 anhängigen Verfahren ist auch nach dem 16.10.2007 weiterhin die frühere Kanzleianschrift des Antragstellers verwandt worden. Zustellungen an den Antragsteller sind unter dieser Anschrift ordnungsgemäß erfolgt. Für seine Beschwerdeschrift an den AGH vom 24.2.2008 in dieser Sache hat der Antragsteller einen Briefbogen verwandt, der seine frühere als aktuelle Kanzleianschrift ausweist. Das war der Antragsgegnerin auch vor Erlass des Widerrufsbescheids vom 26.3.2008 bekannt, weil sie auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers in jenem Verfahren mit einem Schriftsatz vom 18.3.2008 erwidert hat. Der (erst im April 2008 zur Geschäftsstelle gelangte) Beschluss des AGH vom 25.1.2008 in dieser Sache weist als Anschrift ebenfalls diese Anschrift aus und ist dem Antragsteller dort am 30.6.2008 ohne Schwierigkeiten zugestellt worden. Im vorliegenden Verfahren hat der Antragsteller zwar einen Briefbogen mit der neuen Kanzleianschrift verwandt, aber seine alte Kanzleianschrift angeben, unter der der Schriftverkehr mit ihm auch geführt wurde. Das spricht dafür, dass der Antragsteller trotz der gegenteiligen telefonischen Mitteilung seine Kanzlei gar nicht verlegt hat, sondern weiterhin unter der alten Anschrift betreibt. Feststellungen vor Ort hat die Beschwerdegegnerin offenbar nicht getroffen.
[10] 3. Der Senat konnte mündlich verhandeln und in der Sache entscheiden, weil der Antragsteller ordnungsgemäß geladen war und seine Abwesenheit nicht hinreichend entschuldigt hat.
III.
[11] Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 201 Abs. 2, 42 Abs. 6 Satz 2 BRAO, § 13a Abs. 1 FGG. Anlass, der Antragsgegnerin abweichend von der gesetzlichen Regel die Erstattung der außergerichtlichen Auslagen des Antragstellers aufzugeben, besteht nicht.
Fundstellen
NJW-RR 2009, 1577 |
BRAK-Mitt. 2009, 240 |