Vorrang für die zweite Chance und „keine unnötige Stigmatisierung von sanierungsfähigen Unternehmern“ waren seit langem Forderungen unter anderem des Bundes der Selbständigen (BDS), denen mit der Insolvenzrechtsreform und dem Gesetz zur Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) Rechnung getragen werden sollte. Das Eröffnen eines Insolvenzverfahrens soll so oft wie möglich kein „Aus“ für ein Unternehmen bedeuten, sondern in ein Rettungsmanöver münden. Für Anwälte und Kanzleien ist das in weiten Teilen nicht umsetzbar.
BRAO lässt wenig Raum für einen Neubeginn
Die Bundesrechtsanwaltsordnung nimmt eine geradezu hysterische Grundhaltung gegenüber schwächelnden Berufsangehörigen ein. Anwälte, die bestehende Schulden nicht in absehbarer Zeit zurückzahlen können, müssen mit dem Widerruf ihrer Zulassung rechnen, selbst wenn sie den Schuldendienst ordentlich bedienen. Das kann in der Praxis zu dem wirtschaftlich widersinnigen Ergebnis führen, dass einem Anwalt, der statt Insolvenz anzumelden, seine Schulden zuverlässig abstottert, dennoch die Zulassung entzogen wird, wodurch er seinen Beruf und damit auch seine Einnahmequelle verliert. Ob der Jurist unverschuldet durch Unfall, Krankheit oder Scheidung in die Misere geschlittert ist, spielt keine Rolle.
Karriereende schon bei geringer Verschuldung
Wie schnell der Widerruf der Anwaltszulassung droht, zeigt ein weiterer Beschluss des BGH v. 17.09.2007 ( AnwZ (B) 75/06). Ein 42-jähriger Anwalt war wegen einer Forderung über 985 EUR und einer weiteren über 41 EUR in das Schuldnerverzeichnis geraten. Das allein genügte, um bei ihm Vermögensverfall nach dem 2. Halbsatz des § 14 Absatz 2 Nr. 7 BRAO zu vermuten. Außerdem bestand neben weiteren Forderungen auch ein Zahlungsanspruch des Rechtsanwaltsversorgungswerks in Höhe von 4.700 EUR, welcher sich während des anschließenden Gerichtsverfahrens auf 12.500 EUR erhöhte. Schließlich wurden dann auch Steuerrückstände über 5.200 EUR bekannt.
Alles in allem immer noch ein überschaubarer Betrag, zumal der Anwalt sich in der Zwischenzeit in einer Kanzlei auf 30-Stunden-Basis pro Woche hatte einstellen lassen. Doch abgesehen davon, dass daraus nur sehr geringe Einkünfte resultierten, monierten die Karlsruher Richter den Inhalt des Anstellungsvertrages: Es sei nicht sichergestellt, dass der Antragsteller keine Mandantengelder persönlich in bar vereinnahme oder ein neues Konto auf seinen eigenen Namen eröffne.
Neuere Urteile der Anwaltsgerichtshöfe der Länder führen diese Rechtsprechung des BGH fort, wonach Eintragungen im Schuldnerverzeichnis auch in äußerst geringer Höhe den Widerruf der Zulassung rechtfertigen, besonders wenn solche Eintragungen über einen längeren Zeitraum bestanden haben (BayAGH, Urteil v. 9.3.2020, I-5-7/19). Dem AGH NRW genügten rückständige Schulden eines Anwalts in Höhe von rund 2.000 Euro für den Widerruf der Zulassung (AGH NRW, Urteil v. 11.9.2020, 1 AGH 44/19).
Verfassungsrechtlich bedenklich
Dass Gesetzgeber und BGH „klammen“ Rechtsanwälten per se unterstellen, sie stellten eine Gefahr für die Mandanten dar, weil sie Mandantengelder für die eigene Schuldentilgung veruntreuen, ist empirisch nicht abgestützt. Klar ist dagegen, dass das mehr oder weniger automatische Berufsverbot mit der verfassungsrechtlichen Berufswahl- und Eigentumsfreiheit nur schwer in Einklang zu bringen ist. Bei Notaren, Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern ist die Situation ganz ähnlich.
Anwalt beantragte Zulassung nur als Strafverteidiger
Auch Rechtsanwälten, die ausschließlich als Strafverteidiger ihr Geld verdienen, räumt der BGH keine Sonderchancen ein. In einer aktuellen Entscheidung hat der Anwaltssenat des BGH klargestellt, dass die strengen Anforderungen an geordnete Vermögensverhältnisse auch für reine Strafverteidiger gelten (BGH, Beschluss v. 11.5.2023, AnwZ 33/22). Ein mehr als 20 Jahre ohne Beanstandungen tätiger Strafverteidiger hatte gegen den Widerruf seiner Zulassung wegen Vermögensverfalls bis zum BGH geklagt. Die Argumentation des Anwalts: Als Strafverteidiger nehme er keine Fremdgelder in Empfang. Zum Schutz seiner Berufsfreiheit und zum Schutz der Rechtssuchenden könne daher seine Zulassung zur Anwaltschaft auf reine Strafverteidigung beschränkt werden. Dies sei im Verhältnis zum Widerruf der kompletten Zulassung das verfassungsrechtlich gebotene mildere Mittel.
Die Anwaltszulassung ist nicht teilbar
Auch hier stellte sich der BGH stur und vertrat den Standpunkt, dass die Zulassung zur Anwaltschaft nicht teilbar ist und nicht auf einzelne Rechtsgebiete beschränkt werden könne. Auch bei einem Strafverteidiger sei der Empfang von Fremdgeld und damit eine Gefährdung der Vermögensinteressen der Rechtsuchenden nicht auszuschließen.
Freiwillige Rückgabe ist auch keine vielversprechende Lösung
In der Praxis kommen Anwälte einem Widerruf der Zulassung häufig dadurch zuvor, dass sie bei drohenden finanziellen Schwierigkeiten ihre Zulassung ohne Begründung freiwillig zurückgeben. Dies kann Vorteile bei der Wiederbeantragung der Zulassung haben, wenn die zuständige Kammer von den finanziellen Schwierigkeiten des Anwalts keine Kenntnis erlangt hat und dadurch der Begründungsaufwand für die erneute Zulassung überschaubar bleibt. Der Haken dabei: Das Comeback gestaltet sich angesichts der Konkurrenzsituation auf dem Anwaltsmarkt auch in diesen Fällen in der Regel als äußerst schwierig.
Nachweis der Konsolidierung misslingt oft
Ein Hoffnungsschimmer bleibt auch für die von einem Widerruf Betroffenen: Wem die Zulassung wegen desolater finanzieller Verhältnisse entzogen wurde, kann diese jederzeit neu beantragen. Dies lässt der BGH sogar bei noch bestehenden Eintragungen in das Schuldnerverzeichnis im Prinzip zu. Allerdings muss der Anwalt auch in diesem Fall zur Widerlegung der Vermutung des Vermögensverfalls ein vollständiges und detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und Verbindlichkeiten vorlegen (BGH, Beschluss v. 30.5.2022, AnwZ 6/22) und konkret darlegen und belegen dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse wieder geordnet sind (BGH, Beschluss v. 17.11.2020, AnwZ 20/20).
Antrag auf Wiederzulassung sollte sorgfältig vorbereitet sein
Erstaunlich ist, dass selbst Jahrzehnte lang zugelassenen Anwälten, die es finanziell erwischt hat, beim Antrag auf Wiederzulassung eklatante Fehler unterlaufen, die zwangläufig in eine Ablehnung münden. Meist finden die Kammern nämlich während des Wiederzulassungsverfahrens noch offene Forderungen, neue Klageforderungen oder misslungene Vollstreckungsbemühungen die verdeutlichen, dass der betreffende Anwalt- anders als im Antrag angegeben-, eben nicht umfassend konsolidiert hat, sondern nur teilweise oder gar nicht. Die hohen Sorgfaltsanforderungen an die Darlegung einer nachhaltigen Konsolidierung dürfen daher nicht unterschätzt werden (BGH, Beschluss v. 11.12.2019, AnwZ 50/19).
Anwälte brauchen Schuldnerberater
Beim Lesen zahlreicher Entscheidungen des BGH (Beschluss v. 21. 7. 2008, AnwZ (B) 12/08; Beschluss v. 9.7.2008, AnwZ (B) 113/06; Beschlüsse v. 25.02.2008, AnwZ (B) 20/07, 21. 7. 2008 51/07 und 53/07) wird man außerdem das Gefühl nicht los, dass viele der in finanziellen Nöten steckenden Anwälte ihre Gesamtsituation generell und in den Details nicht mehr überblicken. Da wird dann beispielsweise mit dem Finanzamt ein Ratenzahlungsabkommen geschlossen, die Gasrechnung und die Mietrückstände werden bezahlt - parallel bleiben aber der Mitgliederbeitrag der Rechtsanwaltskammer aus vergangenen Jahren sowie die oft betragsmäßig noch darüber liegenden Vollstreckungskosten weiter offen.
Deshalb kann man den betroffenen Kolleginnen und Kollegen eigentlich nur wünschen, dass sie einen professionellen Schuldnerberater engagieren, der eine objektive und schonungslose Bestandsaufnahme durchführt und dann einen Finanzplan erstellt, dessen Einhaltung er streng überwacht.
Integres, würdevolles Verhalten als Voraussetzung für die Wiederzulassung
Voraussetzung für die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft ist auch ein Mindestmaß an Integrität und Würde. Der BGH attestierte einem 1975 erstmals zur Rechtsanwaltschaft zugelassenen Ex-Anwalt Uneinsichtigkeit und fehlenden Respekt vor der Rechtsordnung. 1989 war ihm das erste Mal die Zulassung wegen Vermögensverfalls entzogen worden. Es folgten strafrechtliche Verurteilungen wegen Untreue in drei Fällen und ein weiteres Mal in acht Fällen. Dann erreichte er 2002 die erneute Zulassung, die 2004 wegen Vermögensverfalls wiederum einkassiert wurde.
Als der Antragsteller dann 2007 einen neuen Anlauf nahm, als Anwalt zugelassen zu werden, wurde festgestellt, dass er in den zurückliegenden drei Jahren sein Kanzleischild nicht abmontiert hatte. Für die Kammer war das Grund genug, ihm die Wiederzulassung wegen unwürdigen Verhaltens gemäß § 7 Nr. 5 BRAO zu versagen.