Verfahrensgang
LG Detmold (Urteil vom 08.01.2016) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 8. Januar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf eine Verfahrensbeschwerde und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Der Maßregelausspruch kann nicht bestehen bleiben, weil die Urteilsausführungen das Vorliegen eines die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigenden Dauerzustands beim Angeklagten nicht hinreichend belegen.
Rz. 3
a) Nach den Feststellungen wurde bei dem zur Tatzeit 17 Jahre und 11 Monate alten Angeklagten im Sommer 2014 eine akute möglicherweise drogenindizierte psychotische Entwicklung diagnostiziert, die sich in akustischen Halluzinationen in Gestalt kommentierender Stimmen zeigte und in der Folgezeit zu „stark beschleunigten psychopathologischen Symptomen” führte. Sowohl im häuslichen Umfeld als auch in der Öffentlichkeit reagierte der Angeklagte zunehmend aggressiv. Bei Begehung der Tat war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der eine Blutalkoholkonzentration von maximal 0,87 Promille aufwies, infolge der affektiven Aufladung und hohen emotionalen Erregung im Zusammenspiel mit der alkoholbedingten Senkung der Hemmschwelle erheblich beeinträchtigt.
Rz. 4
Die Strafkammer hat – dem psychiatrischen Sachverständigen folgend – als Eingangsmerkmal des § 20 StGB neben einer krankhaften seelischen Störung auch eine affektbedingte tiefgreifende Bewusstseinsstörung bejaht. Die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit hat sie damit begründet, dass aufgrund der drogenassoziierten primär psychotischen Störung die psychische Verfassung des Angeklagten zur Tatzeit durch eine hohe affektive Aufladung, Expansivität und fehlendes Krankheitsgefühl geprägt gewesen sei. Des Weiteren hätte ein psychotisches Erleben in Form von akustischen Halluzinationen sowie Beeinflussungserleben und Gedankenentzug bestanden.
Rz. 5
b) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 – 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44; Beschlüsse vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141; vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, insoweit in NStZ 2013, 424 nicht abgedruckt). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).
Rz. 6
c) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines die Unterbringung rechtfertigenden Dauerzustands beim Angeklagten nicht gerecht. Nach den Feststellungen beruhte die erheblich beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit auf der affektiven Aufladung und hohen emotionalen Erregung im Zusammenspiel mit einer alkoholbedingten Senkung der Hemmschwelle, mithin nicht auf einem dauerhaften Zustand des Angeklagten. Vor dem Hintergrund der von der Strafkammer neben einer krankhaften seelischen Störung als Eingangsmerkmal des § 20 StGB angenommenen affektbedingten tiefgreifenden Bewusstseinsstörung sind auch die Ausführungen im Rahmen der Beweiswürdigung zu der auf die psychotische Störung zurückzuführenden affektiven Anspannung des Angeklagten zur Tatzeit nicht geeignet, tragfähig darzutun, dass die verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB allein durch die psychotische Störung des Angeklagten bewirkt wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs reicht für die Bejahung eines die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigenden Dauerzustands zwar aus, dass der Täter an einer länger dauernden, unter § 20 StGB zu subsumierenden psychischen Störung leidet, bei der bereits alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1999 – 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 374 f.; Beschlüsse vom 23. Januar 2008 – 2 StR 426/07, NStZ-RR 2008, 141; vom 6. Oktober 2009 – 3 StR 376/09, NStZ-RR 2010, 42; vom 23. September 2015 – 4 StR 371/15 Rn. 9; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 63 Rn. 6a; Kaspar in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 2. Aufl., § 63 Rn. 29). Zu diesen Voraussetzungen verhalten sich die Urteilsgründe indes nicht. Soweit das Landgericht schließlich ergänzend auf das psychotische Erleben des Angeklagten verweist, lassen die Urteilsausführungen schon nicht erkennen, ob und in welcher Weise sich diese psychotische Symptomatik auf die konkrete Tatbegehung ausgewirkt hat.
Rz. 7
2. Wegen des engen Zusammenhangs zwischen den nicht tragfähigen Erwägungen zur Unterbringungsanordnung und der von der Strafkammer vorgenommenen Beurteilung der Schuldfähigkeit hebt der Senat auch den Schuldspruch auf. Ein Fall, in welchem eine vollständige Aufhebung der Schuldfähigkeit durch das Revisionsgericht sicher ausgeschlossen werden kann, ist nicht gegeben. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen können bestehen bleiben; neue ergänzende Feststellungen dürfen den bisherigen nicht widersprechen.
Unterschriften
Sost-Scheible, Cierniak, Mutzbauer, Bender, Paul
Fundstellen