Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 11.02.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 11. Februar 2002 aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist. Dieser Maßregelausspruch entfällt.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Jedoch werden die Gebühr für das Revisionsverfahren um ein Drittel ermäßigt und der Staatskasse ein Drittel der in der Rechtsmittelinstanz entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten auferlegt. Der Angeklagte hat die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in 41 Fällen, wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in 14 Fällen sowie wegen sexuellen Mißbrauchs eines Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung angeordnet und bestimmt, daß die Unterbringung in der Entziehungsanstalt vor der Strafe und der dieser nachfolgenden Sicherungsverwahrung zu vollziehen ist. Mit seiner auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision wendet sich der Angeklagte nur gegen die Anordnungen der freiheitsentziehenden Maßregeln. Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
Während die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 25. Juni 2002 dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist (§ 349 Abs. 2 StPO), begegnet die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Die Jugendkammer hat die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet, obwohl nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen auszuschließen ist, daß durch eine erfolgreiche Suchtbehandlung eine Verringerung der Tätergefährlichkeit erreicht werden kann.
Zwar kann die Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB grundsätzlich nicht allein deswegen verneint werden, weil außer der Sucht noch weitere Persönlichkeitsmängel eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1 und 2). Gleichwohl darf die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht ausschließlich zur Besserung des Täters, also ohne gleichzeitige günstige Auswirkungen auf die Interessen der öffentlichen Sicherheit im Sinne einer Verminderung der vom alkoholabhängigen Täter ausgehenden Gefährlichkeit erfolgen. Vielmehr ist erforderlich, daß bei erfolgreichem Verlauf der Behandlung jedenfalls das Ausmaß der Gefährlichkeit des Täters nach Frequenz und krimineller Intensität der von ihm zu befürchtenden Straftaten deutlich herabgesetzt wird (vgl. BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 2).
Hieran gemessen, hält die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Jugendkammer hat beim Angeklagten zwar eine Alkoholabhängigkeit im Sinne eines Hanges nach § 64 Abs. 1 StGB bejaht und festgestellt, daß der Hang zu übermäßigem Alkoholgenuß die Taten des pädophil veranlagten, einschlägig vorbestraften und erheblich rückfallgefährdeten Angeklagten durch eine „zusätzliche” Herabsetzung der Kontrollmechanismen und Hemmschwellen begünstigt habe. Sie ist jedoch sachverständig beraten zu dem Ergebnis gelangt, daß selbst im Falle einer erfolgreichen Alkoholtherapie die Rückfallgefahr beim Angeklagten „keineswegs wesentlich” vermindert werden könne (UA 27), da auch ohne Alkoholeinfluß in Anbetracht der pädophilen Neigung des Angeklagten einschlägige Rückfälle zu erwarten seien (UA 30). Damit sind günstige Auswirkungen einer erfolgreich verlaufenden Entziehungsbehandlung auf die Interessen der öffentlichen Sicherheit nicht dargetan. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist deshalb mit dem Sinn und der inneren Rechtfertigung dieser Anordnung nicht zu vereinbaren (vgl. BGHR StGB aaO).
Da weitere Feststellungen hierzu nicht zu erwarten sind, muß die Maßregelanordnung nach § 64 StGB entfallen. Die vom Landgericht gemäß § 72 Abs. 3 Satz 1 StGB bestimmte Vollstreckungsreihenfolge wird dadurch gegenstandslos.
Das Rechtsmittel hat somit teilweise Erfolg. Entsprechend diesem Erfolg sind die Revisionsgebühr um ein Drittel zu ermäßigen und der Staatskasse ein Drittel der im Revisionszuge entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen (§ 473 Abs. 4 StPO). Der Senat sieht aber keinen Anlaß,
den Angeklagten von einem Teil der notwendigen Auslagen der Nebenkläger im Revisionsverfahren zu entlasten (BGHR StPO § 473 Abs. 4 Quotelung 7).
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Solin-Stojanović, RiBGH Dr. Ernemann befindet sich in Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben, Tepperwien, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2559923 |
NStZ 2003, 86 |
DAR 2003, 292 |