BMJ: Reform der Ersatzfreiheitsstrafe

Am 22.6.2023 hat der Bundestag die vom Bundeskabinett eingebrachte Reform des strafrechtlichen Sanktionenrechts beschlossen. Ersatzfreiheitsstrafen werden halbiert, Möglichkeiten zur Erbringung gemeinnütziger Arbeit erweitert und der Katalog der Strafzumessungsgründe um geschlechtsspezifische Tatmotive ergänzt.

Der Bundesjustizminister hatte sich mit seinen Plänen zur Reform des strafrechtlichen Sanktionenrechts bereits Ende 2022 durchgesetzt. Die Reform sieht vor, die Haftdauer für Täter, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, zu halbieren und die Zahl derer, die die Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit tilgen, zu erhöhen. Zudem werden geschlechtsspezifische und gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Motive bei der Strafzumessung künftig strafschärfend berücksichtigt. Darüber hinaus enthält die Reform Änderungen im Maßregelrecht.

Die Änderungen im Einzelnen

Konkret sieht das nun beschlossene Gesetzfolgende Änderungen der bisherigen rechtlichen Regelungen vor:

Halbierung des Umrechnungsmaßstabs für die Ersatzfreiheitsstrafe

Mit der Reform dürfte die Verbüßung von Gefängnishaft als Ersatz für nicht beglichene Geldstrafen deutlich zurückgedrängt werden.

  • Gemäß § 43 StGB-E wird der Umrechnungsmaßstab von Geldstrafen in eine Ersatzfreiheitsstrafe halbiert, sodass künftig 2 Tagessätze einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen.
  • Durch eine Erweiterung von § 459e Abs. 2 StPO um eine neue Hinweispflicht wird die Strafvollstreckungsbehörde verpflichtet, die zu einer Geldstrafe verurteilte Person auf mögliche Zahlungserleichterungen gemäß § 459a StPO sowie
  • auf die Möglichkeit aufmerksam zu machen, die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freiwillige Arbeitsstunden abzuwenden.
  • Flankierend soll die Gerichtshilfe und gegebenenfalls die Straffälligenhilfe zur Förderung dieser Optionen eingeschaltet werden.

Deutliche Reduzierung der Haftkosten

Die Halbierung der Haftstrafen kommt nicht nur den Betroffenen, sondern auch dem Staat zugute, denn eine Halbierung der Haft bedeutet auch eine Halbierung der nicht geringen Haftkosten. Am preiswertesten wird es für den Staat, wenn der Betroffene statt der Ersatzfreiheitsstrafe die Option der Ableistung gemeinnütziger Arbeit wählt. Auch hier lautet der Umrechnungsmodus 1/2, d.h. für einen Tagessatz ist ein halber Tag gemeinnütziger Arbeit zu leisten.

Reduzierung der Geldstrafen für Einkommensschwache

Eine weitere Neuerung betrifft die Bemessung von Geldstrafen. Durch eine Änderung des § 40 Abs. 2 StGB sollen Gerichte bei der Verhängung von Geldstrafen künftig beachten, dass dem Verurteilten das zum Leben unerlässliche Minimum seines Einkommens bei Begleichung der Geldstrafe verbleibt. Dies bedeutet in der Praxis, dass bei Empfängern von Sozialleistungen die Berechnung nicht mehr allein nach dem Nettoeinkommensprinzip erfolgt, sondern seine konkrete Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden muss.

Strafverschärfung bei queerfeindlichen Tatmotiven

Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 2 StGB-E werden die bisherigen Strafzumessungsgründe um „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe ergänzt. Damit wird die bereits bisher geltende Rechtsprechung, wonach sich Frauenhass und Hass gegen LSBTIQ+ als Tatmotive strafschärfend auswirken, durch ausdrückliche Kodifizierung gesetzlich festgeschrieben. Die Neuregelung soll auch Fälle erfassen, in denen sich der Täter von Vorstellungen geschlechtsspezifischer Ungleichwertigkeit leiten lässt.

Erweiterte Strafbarkeit von Auslandsdaten

Auf Vorschlag des Bundesrates wurde der ursprüngliche Gesetzentwurf durch eine Ergänzung in § 5 StGB modifiziert. Für bestimmte im Ausland begangene Straftaten, u.a. für Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sollen künftig nicht nur Deutsche, sondern auch Personen belangt werden können, die ihre Lebensgrundlage in Deutschland haben.

Modifikationen des Auflagen- und Weisungsrechts

In den Katalog der Weisungen im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56c Abs. 2 StGB, im Rahmen einer Verwarnung mit Strafvorbehalt gemäß § 59 a Abs. 2 StGB sowie bei vorläufigem Absehen von der Strafverfolgung gemäß § 153 a Abs. 1 Satz 2 StPO (Geringfügigkeit)  wird nun ausdrücklich die Möglichkeit einer Therapieweisung dahingehend aufgenommen, dass der Betroffene sich psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat. Die Verwarnung mit Strafvorbehalt gemäß § 59a StGB wird um die Möglichkeit der Weisung zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen erweitert.

Die Unterbringung in Entziehungsanstalten wird enger gefasst

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB wird auf Personen beschränkt, bei denen aufgrund ihres übermäßigen Rauschmittelkonsums die Gefahr der Begehung erheblicher Straftaten besteht. Flankierend wird die zeitnahe Rücküberstellung von Personen in den Strafvollzug gestärkt, bei denen feststeht, dass die Behandlung erfolglos war oder ist. Mit diesen Modifikationen soll die seit Jahren erheblich ansteigende Zahl der Unterbringungen in Entziehungsanstalten reduziert werden. Künftig werden nur noch diejenigen Personen eingewiesen, bei denen eine positive Behandlungsprognose besteht.

Reform des Straftatbestandes der Leistungserschleichung soll später folgen

Die Ampelkoalition hat die bereits seit längerem in Aussicht gestellte Überarbeitung des Straftatbestandes der Leistungserschleichung, § 265a StGB, auf später verschoben. Eine der diskutierten Optionen ist die Herabstufung u,a. des Schwarzfahrenszu einer Ordnungswidrigkeit. Damit könnten Bußgelder verhängt werden, die in der Regel deutlich geringer als Strafzahlungen ausfallen und auch von finanziell schlechter gestellten Menschen leichter aufzubringen wären.

Kritik des DAV

Dem DAV gehen die Reformen insgesamt nicht weit genug. Er kritisiert vor allem die Ersatzfreiheitsstrafe als nicht mehr zeitgemäß. In der Praxis führe die Ersatzfreiheitsstrafe regelmäßig zur Inhaftierung von Menschen mit psychischen Problemen, mit Suchtkonflikten sowie von Menschen in finanzieller Not. Das Strafrecht dürfe nicht dazu dienen, Armut und soziale Ausgrenzung zu vertiefen. Die Ersatzfreiheitsstrafe gehöre deshalb abgeschafft. Die Justiz befürchtet demgegenüber bei einer vollständigen Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe einen deutlichen Bedeutungs- und Wirkungsverlust von Geldstrafen. Die nun beschlossene Reform beschreitet einen Mittelweg.


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