Tenor
I.
Der Senat beabsichtigt zu entscheiden:
Bei Metamfetamin beginnt die nicht geringe Menge bei fünf Gramm Metamfetamin-Base.
- Der Senat fragt beim 1. und beim 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs an, ob an den entgegenstehenden Entscheidungen vom 7. Juli 2001 – 5 StR 183/01 (NStZ 2002, 267), 23. August 2001 – 5 StR 334/01 (NStZ-RR 2001, 379) und 18. Dezember 2002 – 1 StR 340/02 (StV 2003, 281) festgehalten wird, bei den übrigen Strafsenaten, ob der beabsichtigten Entscheidung dortige Rechtsprechung entgegensteht und ob gegebenenfalls an dieser festgehalten wird.
II. Die Verhandlung wird ausgesetzt.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Der Revisionssache liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:
Rz. 2
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in zwei Fällen als Mitglied einer Bande handelnd, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte Kontakt zu einem Philippino namens „T.”, über den er Metamfetaminhydrochlorid/”Shabu” von einem Labor auf den Philippinen zum gewinnbringenden Weiterverkauf in Deutschland bezog. Der Angeklagte erhielt im Jahre 2006 vier Lieferungen mit jeweils mindestens 20 g Metamfetaminhydrochlorid per Luftfracht zugesandt, die fünfte mit 21,775 g Metamfetaminhydrochlorid wurde auf dem Frankfurter Flughafen beschlagnahmt. Der Angeklagte konsumierte von den ersten vier Lieferungen jeweils zwei Gramm selbst, den Rest veräußerte er. Ab der vierten Lieferung setzte er den gesondert Verfolgten „J.” als Läufer ein. Das Landgericht hat gestützt auf die Ausführungen einer Sachverständigen die nicht geringe Menge Metamfetamin abweichend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die dreißig Gramm Metamfetamin-Base festgelegt hat, mit fünf Gramm Metamfetaminhydrochlorid angesetzt. Metamfetaminhydrochlorid sei ein Derivat des Amfetamins, das in der Wirkung relativ lange anhalte und schon nach wenigen Konsumeinheiten süchtig mache. Es sei doppelt so stark wie Amfetamin, habe vielmehr das Potential von Crack. Die Wirksamkeit pro Einheit liege zwischen 7,5 mg und 15 mg, bei Erstkonsumenten sei von einer wirksamen Dosis von 10 mg auszugehen, 30 mg seien todesursächlich.
Rz. 3
Gegen das Urteil haben der Angeklagte und zu seinen Ungunsten die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt. Der Angeklagte beanstandet die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abweichende Annahme der nicht geringen Menge von fünf Gramm Metamfetaminhydrochlorid. Die Staatsanwaltschaft erstrebt eine Verurteilung wegen bandenmäßiger Begehung in allen Fällen. Sie rügt, dass das Landgericht in den beiden Fällen der Verurteilung wegen bandenmäßiger Begehung nicht den Verbrechenstatbestand des § 30 a BtMG mit einer erheblich höheren Mindeststrafe, sondern den des § 30 BtMG zu Grunde gelegt hat. Ferner beanstandet sie, dass das Landgericht die nicht geringe Menge fehlerhaft in Hydrochlorid und nicht in Base berechnet habe. Zwar habe es wegen der hohen Gefährlichkeit des Metamfetamins zutreffend die nicht geringe Menge niedriger festgesetzt als die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dies aber nur unzureichend begründet, so dass die Umstände, die eine solche Entscheidung rechtfertigen können, nicht hinreichend deutlich würden.
Rz. 4
Für die Entscheidung über beide Revisionen ist vorgreiflich und maßgeblich die Frage, ob das Landgericht zu Recht von nicht geringen Mengen Metamfetamin ausgegangen ist und die nicht geringe Menge mit fünf Gramm Metamfetaminhydrochlorid zutreffend bestimmt hat.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
Der Senat beabsichtigt, auf das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft das angefochtene Urteil in allen Fällen aufzuheben und die Revision des Angeklagten zu verwerfen. Der Senat hält angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Toxizität des Metamfetamins in den letzten zehn Jahren einen gegenüber der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs deutlich niedrigeren Grenzwert der nicht geringen Menge für erforderlich. Er will aber, anders als das Landgericht, den Grenzwert der nicht geringen Menge im Sinne von §§ 29 a Abs. 1 Nr. 2, 30 Abs. 1 Nr. 4, 30 a Abs. 1 BtMG für Metamfetamin nicht auf fünf Gramm Metamfetaminhydrochlorid, sondern auf fünf Gramm Metamfetamin-Base festsetzen. Fünf Gramm Metamfetamin-Base entsprechen nach Maßgabe des Umrechnungsfaktors von 1,2446 (gerundet 1,245) 6,223 Gramm Metamfetaminhydrochlorid.
Rz. 6
An dieser Entscheidung sieht er sich jedoch durch die Beschlüsse des 5. Strafsenats vom 25. Juli 2001 – 5 StR 183/01 (NStZ 2002, 267) und vom 23. August 2001 – 5 StR 334/01 (NStZ-RR 2001, 379) und das Urteil des 1. Strafsenats vom 18. Dezember 2002 – 1 StR 340/02 (StV 2003, 281) gehindert. Der 1. und der 5. Strafsenat haben dort die nicht geringe Menge bei Metamfetamin auf 30 Gramm Metamfetamin-Base (= 35 Gramm Metamfetaminhydrochlorid) festgelegt und zur Begründung ausgeführt, wegen der ähnlichen chemischen Struktur mit den Amfetaminderivaten MDA, MDMA und MDE, der Wirkungsähnlichkeiten und aus Gründen der praktischen Handhabbarkeit sei der dortige Grenzwert auf Metamfetamin zu übertragen.
Rz. 7
1. Zur Wirkung und zur Gefährlichkeit von Metamfetamin hat der Senat Gutachten des Leiters des Instituts für Forensische Toxikologie der Universität F., Prof. Dr. Dr. K., sowie des Apothekers für experimentelle Pharmakologie und Toxikologie Dr. D. vom Bundeskriminalamt eingeholt, die ihre Gutachten in der Verhandlung vor dem Senat auch mündlich erläutert haben. Danach ergibt sich Folgendes:
Rz. 8
a) Metamfetamin wurde Mitte der 30er Jahre in Deutschland für die medizinische Anwendung als sogenanntes Weckamin bzw. Psychostimulans entwickelt. 1937 wurde es patentiert und 1938 als Medikament unter dem Namen Pervitin auf den Markt gebracht. Im Zweiten Weltkrieg diente es als Wachhaltemittel innerhalb der Wehrmacht und wurde besonders von Piloten gebraucht. Nach dem Krieg setzten es u. a. Sportler und Fernfahrer zur Leistungssteigerung ein, aber auch zahlreiche Appetitzügler enthielten Metamfetamin. Pervitin wurde in Deutschland therapeutisch in Ampullen- oder Tablettenform als Analepticum (kreislaufwirksames Mittel bei Kräfteverfall) und psychomotorisches Stimulanz u. a. bei psychischen Depressionen oder Vergiftungen eingesetzt. 1988 wurde das Medikament vom Markt genommen. In Japan kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zu weit verbreitetem Missbrauch, der bis in die Gegenwart andauert. Von Japan aus verbreitete sich der Konsum über den ost- und südostasiatischen Raum. So wird etwa in Thailand hochkonzentriertes Metamfetamin als „Yaba”-Tabletten konsumiert, wobei immer wieder über Suizide und amokartige Gewaltausbrüche berichtet wurde. Aus dem philippinischen Raum stammt „Shabu”, welches aus hochreinen farblosen Kristallen besteht. In den USA eskalierte der Metamfetaminmissbrauch Anfang der 80er Jahre. Bis Anfang der 90er Jahre kam Metamfetamin als illegale Droge in Europa nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Zwischenzeitlich hat sich Metamfetamin unter den Synonymen „Crystal” oder „Ice” auch hier etabliert. Im europäischen Raum wird es heute hauptsächlich in Laboren in Osteuropa hergestellt. Die Herstellung ist aus gängigen Grundstoffen ohne großen technischen Aufwand in kleinen Laboren möglich. Ende der 90er Jahre erfolgten erste größere Sicherstellungen in Sachsen. Beim Bundeskriminalamt wird Metamfetamin erst seit 2006 gesondert erfasst. Im Jahr 2006 kam es laut Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität 2007 zu 416 Sicherstellungsfällen mit insgesamt 10,7 kg „Crystal”, im Jahr 2007 zu 454 Sicherstellungsfällen mit 10 kg „Crystal”. Der zunehmende Missbrauch von Metamfetamin hat zur Umstufung des Stoffes aus der Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes in die Anlage II (verkehrs-, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel) durch die 21. BtMÄndVO vom 18. Februar 2008 (BGBl. I 246) geführt (BR-Drucks. 48/08 S. 9). Von einer Umstufung in die Anlage I hat der Gesetzgeber abgesehen, weil der Stoff als Ausgangsstoff für die Arzneimittelherstellung dient und deshalb verkehrsfähig bleiben soll.
Rz. 9
b) Metamfetamin [chemische Bezeichnung: (2S)-N-Methyl-1-phenylpropan-2-amin] ist ein am Stickstoffarm der Seitenkette mit einer Methylgruppe versehenes Derivat des Amfetamins. Chemisch sind die Amfetamine in die Gruppe der Phenylakylamine einzuordnen, deren Struktur eine enge Verwandtschaft mit zahlreichen biologisch-synthetisierten sogenannten „biogenen Aminen” (Botenstoffen des Gehirns) aufweist. Durch Amfetamine wird der sympathische Teil des vegetativen Nervensystems aktiviert, d. h. die Konzentration der Botenstoffe im zentralen Nervensystem wird erhöht, was zu einem Gefühl des körperlichen Wohlbefindens, einer Antriebssteigerung, einer Hebung der Stimmung (Euphorie), Unterdrückung von Hungergefühl und von körperlicher Erschöpfung führt. Nach dem Abklingen der Wirkung treten Effekte wie Verstimmung und Abgeschlagenheit auf. Bei wiederholter Zufuhr gewöhnt sich der Körper an diese Stoffe, so dass die Dosis sehr schnell gesteigert werden muss. Bei rasch aufeinander folgendem Konsum von Metamfetamin-Zubereitungen kommt es innerhalb weniger Stunden zu einer Toleranzentwicklung (Tachyphylaxie), wie sie vom LSD bekannt ist. Metamfetamin überwindet auf Grund seiner chemischen Eigenschaften die Blut-Hirn-Schranke schneller als Amfetamin und führt somit zu einer stärkeren Aufputschwirkung, während sein Abbau andererseits verlangsamt ist, wobei wiederum Amfetamin als Abbauprodukt entsteht. Nebenwirkungen und toxische Effekte treten bereits nach Konsum üblicher Dosen und verstärkt nach Inhalation, hoher Dosierung, Dauergebrauch und Mischkonsum auf.
Rz. 10
c) Die bekannten akut toxischen Effekte sind einerseits zentrale Erregung mit psychiatrischen und neurologischen Komplikationen wie von Todesangst, Schwindel und Übelkeit begleitete Panikattacken, halluzinatorische Zustände mit räumlicher Desorientierung, paranoide und/oder affektive Psychosen, akute depressive Episoden, bei polytoxikomanen Konsumenten Intoxikationspsychosen mit Beziehungs- und Verfolgungswahn, bei Überdosierung u. a. cerebrale Krampfanfälle, Hirninfarkte und generalisierte Angststörungen. Außerdem gibt es toxische Effekte auf verschiedene Organsysteme wie das Herz-Kreislauf-System, Leber und Niere, das Gerinnungssystem und das hämatopoetische System (Blutkörperchen bildendes System). Eine der am häufigsten beobachteten schwerwiegenden, akut lebensbedrohlichen Wirkungen ist die Entwicklung der Hyperthermie (starke Erhöhung der Körpertemperatur bis auf Werte um 42 bis 43° C) durch Beeinträchtigung der zentralen Thermoregulation im Gehirn, verbunden mit Dehydratation (Entwässerung), die nicht von der eingenommenen Dosis abhängt. Die Wirkung wird verstärkt durch hohe Raumtemperaturen in Diskotheken und starke körperliche Belastung durch Tanzen. Als Folge kann es zum Kreislaufzusammenbruch und zum Hitzschlag kommen. Als Komplikationen sind weiterhin belegt Störungen des Elektrolyt- und Wasserhaushaltes (z. B. Hyponatriämien, die zu Koma, Desorientierung und dystonen Bewegungsstörungen führen können), „Herzjagen” (Tachykardie) bis hin zu tödlichen Herzrhythmusstörungen, Blutdrucksteigerungen mit der Folge fokaler Hirnblutungen, akutes Nierenversagen und/oder toxische Leberschädigungen, Lungenödem, Magen- und Darmgeschwüre, Gefäßspasmen und Auslösen von Migräneanfällen. Nach inhalativem und nasalem Konsum kommt es wesentlich häufiger zur Ausbildung depressiver Verstimmungen mit Wahnvorstellungen, Anzeichen paranoider Schizophrenie und/oder Halluzinationen. Besonders gefährlich wird der Konsum durch den Umstand, dass sich die noch einigermaßen sichere Dosierung für den Einzelnen nicht vorhersagen lässt, weil die aktuelle Verfassung des Einzelnen („Set”) und die jeweiligen Umgebungsbedingungen („Setting”) den Grad der Wirkungen beeinflussen. Japanische Studien belegen zudem, dass der chronische Missbrauch zur Manifestation einer Metamfetamin-induzierten Psychose mit Halluzinationen und Wahnvorstellungen führt, die sich vom Erscheinungsbild her kaum von endogenen Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis unterscheidet. Das Risiko der Ausbildung dieses Krankheitsbildes ist bei Metamfetamin wesentlich höher als bei Amfetamin.
Rz. 11
Metamfetamin kann zu psychischer Abhängigkeit führen. Die Gefahr einer schweren psychischen Abhängigkeitsentwicklung besteht insbesondere bei der Konsumform des Rauchens. Weil die ungewöhnlich starke und lang anhaltende Wirkung des Metamfetamins (durchschnittlich zwölf Stunden) beim Rauchen bereits bei wenigen Wiederholungen abflacht, muss der Konsument die Dosis stetig erhöhen. Nach dem Rausch folgt eine stark depressive Phase, die neues Verlangen auslöst. Auch leiden die Konsumenten unter starker Schlaflosigkeit. Das für den Metamfetaminmissbrauch typische Konsummuster der Stimulierung durch Metamfetamin und Herbeiführung von Entspannung zur Befriedigung des Schlafbedarfs durch Konsum von Haschisch oder Benzodiazepinen, die bei chronischem Missbrauch auch durch stärker sedierende Stoffe wie Heroin ersetzt werden, kann schließlich zur Polytoxikomanie führen.
Rz. 12
Schon 3 mg Metamfetamin genügen, um auf die meisten Menschen anregend zu wirken. Zu der üblichen Dosierung von Metamfetamin im Rahmen von therapeutischen Maßnahmen hat der Sachverständige Dr. D. ausgeführt, dass die empfohlene Einzeldosis bei 3 bis 6 mg Metamfetaminhydrochlorid lag, als maximale Tagesdosis wurden 15 mg Metamfetaminhydrochlorid genannt. Orale Dosierungen über 20 mg können bei Nicht-Gewöhnten bereits erhebliche Nebenwirkungen psychischer und vegetativer Art auslösen. Von Landeskriminalämtern in den letzten Jahren sichergestellte Metamfetamintabletten enthielten zwischen 25 und 60 mg Metamfetaminhydrochlorid (20 bis 48 mg Metamfetamin-Base) pro Tablette, durchschnittlich 26 bis 30 mg Metamfetaminhydrochlorid (21 bis 24 mg Metamfetamin-Base). Während bei der oralen Aufnahme nur ein Teil der aufgenommenen Dosis das Gehirn erreicht, kommt es bei venöser Injektion und noch mehr bei Inhalation/Rauchen zur schnellen Aufnahme hoher Drogenanteile ins Gehirn, so dass eine ungewöhnlich starke Rauschwirkung erzielt wird. Bei Aufnahme durch Inhalation oder Rauchen haben beide Gutachter übereinstimmend eine mit Crack vergleichbare Wirkung bestätigt. Hinzu kommt Folgendes: Wegen seines geringen Molekulargewichts hat Metamfetamin einen deutlich niedrigeren Schmelz- und Verdampfungspunkt als Kokain. Beim Rauchen von Crack sind somit wesentlich höhere Temperaturen erforderlich, bei denen ein nicht unerheblicher Teil des Kokains durch Pyrolyse zersetzt wird und keine Rauschwirkung mehr hat. Demgegenüber geht Metamfetamin bereits bei leichtem Erwärmen ohne Zersetzung in die Gasphase über, so dass die „Bioverfügbarkeit” noch höher ist als bei Crack. Diese besondere Gefährlichkeit besteht beim Amfetamin nicht, weil dessen Moleküle beim Erhitzen zerfallen. Amfetamin ist daher für diese Konsumform nicht geeignet.
Rz. 13
d) Danach ist die bisherige Gleichstellung des Metamfetamins mit den Amfetaminderivaten Methylendioxyamfetamin (MDA), Methylendioxymetamfetamin (MDMA) und Methylendioxyethylamfetamin (MDE) nach den Erfahrungen der letzten Jahre nicht gerechtfertigt. Zwar handelt es sich auch beim Metamfetamin um ein Amfetaminderivat, jedoch unterscheiden sich die chemische Zusammensetzung der Moleküle von Metamfetamin einerseits und von MDA, MDMA und MDE andererseits und auch die Wirkungsweise grundlegend. Bei MDA, MDMA und MDE ist chemisch der Kern durch ein zweites Ringsystem stark verändert, was auch pharmakologisch eine deutliche Veränderung der Wirkart zur Folge hat. Bei diesen Amfetaminderivaten steht nicht die aufputschende Wirkung im Vordergrund, sondern eine affektive Zustandsänderung im Sinne einer anregenden, soziokontaktsteigernden, enthemmenden Stimmungslage bei gleichzeitiger Erhöhung der motorischen Aktivität („Entaktogene”). Bei hohen Dosen kommt es anders als bei Amfetamin und Metamfetamin zu einer stark halluzinogenen Wirkung. Am schwächsten ausgeprägt sind die Wirkungen bei MDE, das milder und kürzer wirkt. Die effektive Einzeldosis liegt bei diesen Drogen deutlich höher als bei Metamfetamin, etwa bei MDE bei 120 mg Base, bei MDMA bei 80 mg Base (vgl. ergänzend Cassardt NStZ 1995, 257, 260; NStZ 1997, 135).
Rz. 14
2. Ausgehend von diesen von beiden Gutachtern übereinstimmend dargelegten chemisch-toxikologischen Ausgangswerten ist der Grenzwert der „nicht geringen Menge” im Sinne des Betäubungsmittelstrafrechts nach Auffassung des Senats bei Metamfetamin auf 5 Gramm Metamfetamin-Base festzusetzen, um dessen Gefährdungspotential im Vergleich zu anderen Betäubungsmitteln hinreichend gerecht zu werden. Wie insbesondere der Sachverständige Prof. Dr. Dr. K. ausgeführt hat, empfiehlt sich eine Festlegung der nicht geringen Menge bei den Amfetaminderivaten bezogen auf die wirkungsbestimmende Base. Da die basischen Rauschmittel mit Säuren (Salzsäure, Schwefelsäure u. a.) Salze (Hydrochloride, Sulfate u. a.) mit unterschiedlichen Molekulargewichten bilden, ist der Anteil der wirksamen Base je nach Art des Salzes anders zu berechnen.
Rz. 15
a) Bei der Festlegung der nach seiner Ansicht im Hinblick auf Gefährlichkeit und Toxizität des Metamfetamins realistischen nicht geringen Menge stützt sich der Senat auf die inzwischen in ständiger Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof angewandte Methode (BGHSt 41, 1, 10; 49, 306, 312 f.; 51, 318, 321). Danach kann die nicht geringe Menge eines Betäubungsmittels wegen der in illegalen Betäubungsmitteln sehr unterschiedlichen Wirkstoffgehalte grundsätzlich nicht anders festgesetzt werden als durch ein Vielfaches des zum Erreichen eines stofftypischen Rauschzustandes erforderlichen jeweiligen Wirkstoffs (Konsumeinheit). Dabei müssen die Grenzwerte für die verschiedenen Betäubungsmittel gerade wegen ihrer qualitativ unterschiedlichen Wirkung aufeinander abgestimmt sein. Ausschlaggebend ist deshalb zunächst die pharmakodynamische Wirkung von Metamfetamin im Verhältnis namentlich zu Amfetamin. Insoweit entnimmt der Senat den Gutachten beider Sachverständiger, dass bei oraler Aufnahme Metamfetamin etwa anderthalb- bis zweimal so stark wirkt wie Amfetamin. In der – beim Amfetamin nicht möglichen – Konsumform Rauchen wirkt Metamfetamin mindestens doppelt so stark wie Amfetamin und vor allem erheblich schneller, weil wegen der höheren Lipophilie (Fettlöslichkeit) des Metamfetamins die Blut-Hirn-Schranke schneller überwunden wird. Auch gelangt beim Rauchen das gesamte aufgenommene Rauschgift unmittelbar zum Gehirn, während beim oralen Konsum mehrere Stunden bis zur vollständigen Resorption im Körper vergehen können. Für die Konsumform des Rauchens ist daher eine Gleichsetzung in der Wirkung mit Crack (Kokain-Base) gerechtfertigt. Diese gefährlichste Konsumform fällt für die Festlegung des Grenzwerts erheblich ins Gewicht, denn Drogenkonsumenten wollen naturgemäß eine möglichst schnelle und starke Wirkung erzielen. Das Rauchen ist demgemäß heute die gängigste Methode des Metamfetaminkonsums.
Rz. 16
b) Für den Erst- oder Gelegenheitskonsumenten ist nach den Darlegungen beider Sachverständiger eine Konsumeinheit von 20 bis 30 mg Metamfetamin-Base schon sehr hoch angesetzt und schon bei oraler Aufnahme mit der Gefahr erheblicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen verbunden. Ausgehend von den bei der Festlegung des Grenzwertes der nicht geringen Menge bei Amfetamin zu Grunde gelegten 200 Konsumeinheiten (vgl. BGHSt 35, 43, 48; anders, nämlich 250 Konsumeinheiten, BGHSt 42, 255, 267 betr. MDE-Base) ergibt sich bei einer für nicht Metamfetamingewöhnte sehr hohen Einzeldosis von 25 mg Metamfetamin-Base eine Gesamtwirkstoffmenge von 200 × 25 mg = 5 Gramm, d. h. 6,2 Gramm Metamfetaminhydrochlorid als Grenze der nicht geringen Menge. Diese Festlegung entspricht auch in etwa der nicht geringen Menge der beim Rauchen/Inhalieren wirkungsgleichen Droge Crack (Kokain-Base), bei der die nicht geringe Menge bei 5 Gramm Kokainhydrochlorid, d.h. 4,5 Gramm Kokain-Base liegt. Darin liegt gemessen an der bisherigen nicht geringen Menge von 30 Gramm Metamfetamin-Base zwar eine erhebliche Herabsetzung. Diese ist aber nach Ansicht des Senats angesichts der neueren Erkenntnisse über das hohe Suchtpotential des Metamfetamins und die gesundheitlichen Konsequenzen des missbräuchlichen Konsums nicht nur gerechtfertigt, sondern notwendig. Die Erkenntnisse über den zunehmenden Missbrauch von Metamfetamin haben erst in jüngerer Vergangenheit den Gesetzgeber veranlasst, Metamfetamin aus der Anlage III zu § 1 BtMG (verkehrs- und verschreibungsfähige Betäubungsmittel) in die Anlage II (verkehrs-, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel) hochzustufen.
Rz. 17
c) Der Senat verkennt nicht, dass mit der Festsetzung der nicht geringen Menge auf 5 Gramm Metamfetamin-Base zwar eine ungefähr realistische Einordnung des Metamfetamins im Vergleich zu Amfetamin, Kokain und Heroin, nicht aber zu den 3,4-Methylendioxy-Derivaten (MDA, MDMA, MDE), bei denen die nicht geringe Menge 30 Gramm MDA/MDMA/MDE-Base beträgt (BGHSt 42, 255, 267; BGH NStZ 2001, 381), erreicht wird. Nach den neurobiologischen Forschungen der jüngeren Zeit haben alle Amfetamin-Derivate eine mehr oder weniger starke neurotoxische, d. h. Nervenzellen zerstörende Wirkung. Es erschiene dem Senat daher durchaus gerechtfertigt, die nicht geringe Menge bei diesen Amfetamin-Derivaten in Übereinstimmung mit dem Amfetamin auf 10 Gramm Base herabzusetzen. Der vorliegende Fall gibt dafür jedoch keinen Anlass.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Fischer, Roggenbuck Cierniak, RiBGH Prof. Dr. Schmitt ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Rissing-van Saan
Fundstellen
Haufe-Index 2564566 |
NJW-Spezial 2008, 665 |
StRR 2008, 403 |
StRR 2008, 472 |
StraFo 2008, 479 |