Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 22.02.2013) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 22. Februar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit Geiselnahme zur Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die allgemein erhobene Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen der Strafkammer überfiel der Angeklagte die Nachbarin seiner Lebensgefährtin, die Nebenklägerin, in ihrer Wohnung, bedrohte sie mit einem 30 cm langen Küchenmesser und verlangte von ihr die Herausgabe von Geld und ihrer EC-Karte. Dabei kündigte er mehrfach an, er werde sie töten, wenn sie seinen Forderungen nicht nachkomme. Nach Aushändigung ihrer EC-Karte durchsuchte der Angeklagte ihre Handtasche und fand darin ein Kuvert mit ihren Ersparnissen, 2.700 EUR in bar, die er zählte und einsteckte. Im Anschluss daran zerbrach er die SIM-Karte aus dem ihm zuvor übergebenen Mobiltelefon der Nebenklägerin und zerschnitt mit dem mitgeführten Küchenmesser die Telefonkabel im Wohnzimmer. Er forderte die Nebenklägerin auf, sich im Schlafzimmer auf ihr Bett zu legen, wo er sie mit einem abgeschnittenen Telefonkabel fesselte und mit einem Sweatshirt knebelte. Dabei wiederholte er immer wieder, dass sie keinen „Mucks machen” solle, andernfalls werde er sie töten. Schließlich verlangte er, sie solle sich 30 Minuten lang nicht bewegen oder bemerkbar machen und verließ die Wohnung.
Rz. 3
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hält die Verurteilung wegen Geiselnahme sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Voraussetzungen dieses Tatbestands als erfüllt angesehen, weil der Angeklagte durch die Fesselung die bestehende Bemächtigungslage weiter stabilisiert habe. Er habe dabei in der Absicht gehandelt, die Sorge der Nebenklägerin „um ihr Wohl auszunutzen, um sie daran zu hindern, die Polizei zu alarmieren und dadurch seine Verfolgung aufzunehmen”. Dies ist rechtsfehlerhaft.
Rz. 4
Nach § 239b Abs. 1 StGB macht sich – soweit hier in Betracht kommend – strafbar, wer sich eines Menschen bemächtigt, um diesen durch eine qualifizierte Drohung zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu nötigen, oder, wer eine bestehende Bemächtigungslage zu einer derartigen Nötigung ausnutzt. Der Täter muss entweder bereits im Zeitpunkt der Begründung der Herrschaft über das Opfer die Absicht haben, die Bemächtigungslage zu der Nötigung auszunutzen, oder er muss die durch ihn aus anderen Gründen herbeigeführte Bemächtigungslage tatsächlich zu der Nötigung ausnutzen, das heißt, zumindest im Sinne eines Versuchs unmittelbar zu ihr ansetzen. In beiden Fällen ist es zudem erforderlich, dass er einen Nötigungserfolg erstrebt, der über den zur Bemächtigung erforderlichen Zwang hinausgeht (MünchKommStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 239b Rn. 17 mwN). Zudem muss zwischen der Bemächtigungslage und der geplanten bzw. zumindest begonnenen Nötigung ein funktionaler und zeitlicher Zusammenhang in der Form bestehen, dass die abgenötigte Handlung, Duldung oder Unterlassung von dem Opfer vorgenommen werden soll, solange es sich in der Gewalt des Täters befindet (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 1996 – 3 StR 378/96, BGHR StGB § 239b Entführen 4 mwN).
Rz. 5
Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben: In der Drohung, die Nebenklägerin zu töten, lag zwar eine qualifizierte Drohung im Sinne von § 239b Abs. 1 StGB. Indes lässt sich den Urteilsgründen schon nicht eindeutig entnehmen, aufgrund welcher Umstände und ab welchem Zeitpunkt die Strafkammer das Vorliegen einer (stabilisierten) Bemächtigungslage angenommen hat, die in ihrer Zwangswirkung auf die Nebenklägerin über das hinausging, was zur Umsetzung der räuberischen Absichten des Angeklagten erforderlich war. Zwar könnte spätestens mit der Fesselung der Nebenklägerin eine derartige Stabilisierung der Bemächtigungslage eingetreten sein. Indes wird auch vor diesem Hintergrund weder ersichtlich, dass der Angeklagte bereits bei deren Herbeiführung der Nebenklägerin durch qualifizierte Drohung eine Handlung, Duldung oder Unterlassung noch während deren Dauer abzunötigen beabsichtigte, die über die Duldung der Bemächtigung hinausging, noch belegen die Feststellungen, dass der Angeklagte nach Begründung der möglichen Bemächtigungslage während deren Dauer zu einer qualifizierten Nötigung im dargestellten Sinne angesetzt hätte. Wie das Landgericht insoweit zutreffend dargelegt hat, führten die Tathandlungen des Angeklagten, mit denen er die Nebenklägerin unter Todesdrohungen zwang, sich auf ihrem Bett fesseln und knebeln zu lassen, allenfalls zu einer („weiteren”) Stabilisierung der Bemächtigungslage. Als selbständiger, darüber hinausgehender Nötigungserfolg – auch im Sinne einer eigenständig bedeutsamen Vorstufe des erstrebten Enderfolgs (vgl. BGH, Urteile vom 14. Januar 1997 – 1 StR 507/96, BGHR StGB § 239b Nötigungserfolg 1 und vom 18. Dezember 2007 – 1 StR 86/05, NStZ 2008, 279, 280) – scheidet dieses Erdulden daher aus. Soweit das Landgericht demgegenüber darauf abgestellt hat, der Angeklagte habe die Sorge der Nebenklägerin um ihr Wohl dazu ausnutzen wollen, diese von der Alarmierung der Polizei abzuhalten, verkennt es, dass die Nebenklägerin damit zu einem Unterlassen erst nach Beendigung der Bemächtigungslage genötigt werden sollte und es diesbezüglich daher an dem erforderlichen zeitlichen und funktionalen Zusammenhang zwischen Bemächtigungssituation und erstrebtem Nötigungserfolg fehlt. Denn indem der Angeklagte die Wohnung der Nebenklägerin verließ, hob er die Bemächtigungslage objektiv auf, bevor der von ihm erstrebte Nötigungserfolg eintreten sollte.
Rz. 6
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Geiselnahme nötigt zur Aufhebung der von dem Rechtsfehler nicht betroffenen tateinheitlichen Verurteilung wegen besonders schweren Raubes und Körperverletzung. Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Nötigungshandlungen des Angeklagten hier sowohl zur Herausgabe von Gegenständen durch die Nebenklägerin (Portemonnaie und EC-Karte) als auch zur Duldung der Wegnahme des Bargelds durch den Angeklagten geführt haben. In solchen Fällen kommt eine tateinheitliche Verurteilung wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung und wegen besonders schweren Raubes in Betracht (BGH, Beschluss vom 19. März 1999 – 2 StR 66/99, NStZ-RR 2000, 104). Das neue Tatgericht wird die Tat zudem gegebenenfalls unter dem Gesichtspunkt des § 239a StGB zu würdigen haben.
Unterschriften
Becker, RiBGH Hubert befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker, Mayer, Gericke, Spaniol
Fundstellen
Haufe-Index 5646345 |
NStZ 2013, 6 |
NStZ 2014, 38 |
JZ 2014, 581 |
NStZ-RR 2015, 36 |
StV 2014, 217 |
LL 2014, 273 |