Verfahrensgang
LG Bückeburg (Urteil vom 10.04.2013) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bückeburg vom 10. April 2013 aufgehoben. Die Feststellungen mit Ausnahme derjenigen zum Wirkstoffgehalt der eingeführten Betäubungsmittel bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen zu zwei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sie hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
Rz. 2
1. Der Schuldspruch wird von den Feststellungen nicht getragen. Danach veranlasste der Angeklagten einen anderen jeweils dazu, in die Niederlande zu fahren, dort „mindestens 500 Gramm Marihuana” mit einem Wirkstoffgehalt von jeweils „mindestens 1,5%” THC (Wirkstoff demnach mindestens 7,5 g THC) zu erwerben und nach Deutschland einzuführen. Hier entnahmen beide der Einfuhrmenge jeweils Marihuana zum Eigenverbrauch. Der Rest wurde auf Weisung des Angeklagten von dem anderen gewinnbringend verkauft. Damit ist eine Anstiftung zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nicht belegt, da der zum Eigenverbrauch verwendete Anteil nicht zum gewinnbringenden Verkauf dienen sollte und die zum Handeltreiben bestimmte Menge deshalb unter dem Grenzwert von 7,5 g THC (BGH, Urteil vom 18. Juli 1984 – 3 StR 183/84, BGHSt 33, 8) lag.
Rz. 3
2. Eine Schuldspruchänderung durch den Senat kommt nicht in Betracht. Es liegt vielmehr nahe, dass in einer erneuten Hauptverhandlung weitere, den bisherigen Schuldspruch tragende Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des Marihuanas getroffen werden können, die das Landgericht bislang rechtsfehlerhaft nicht getroffen hat.
Rz. 4
Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge des Rauschgifts bestimmt. Hierzu bedarf es deshalb konkreter Feststellungen. Stehen die tatgegenständlichen Betäubungsmittel für eine Untersuchung nicht mehr zur Verfügung, muss das Tatgericht unter Berücksichtigung der anderen ausreichend sicher festgestellten Umstände (Herkunft, Preis, Handelsstufe, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Begutachtungen in Parallelverfahren etc.) die Wirkstoffkonzentration – notfalls unter Anwendung des Zweifelssatzes – durch eine „Schätzung” festlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2011 – 4 StR 517/11, NStZ 2012, 339 mwN). Hierauf darf auch dann nicht verzichtet werden, wenn das Urteil – wie hier – auf einer Verständigung beruht. Auch in diesen Fällen gilt die aus dem verfassungsrechtlich verankerten Schuldprinzip folgende Verpflichtung des Gerichts, von Amts wegen den wahren Sachverhalt – die materielle Wahrheit – zu erforschen (§ 244 Abs. 2 StPO, vgl. zuletzt BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/11, NJW 2013, 1058; BGH, Beschluss vom 15. April 2013 – 3 StR 35/13, juris). Es ist daher unzulässig, dem Urteil einen Sachverhalt zu Grunde zu legen, der nicht auf einer Überzeugungsbildung unter vollständiger Ausschöpfung des Beweismaterials beruht. Dies gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte – unter Umständen aufgrund einer Verständigung – geständig gezeigt hat. Zwar unterfällt auch die Bewertung eines Geständnisses dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung. Das Tatgericht muss aber, will es die Verurteilung des Angeklagten auf dessen Einlassung stützen, von deren Richtigkeit überzeugt sein. Es ist deshalb stets zu untersuchen, ob das abgelegte Geständnis mit dem Ermittlungsergebnis zu vereinbaren ist, ob es in sich stimmig ist und ob es die getroffenen Feststellungen trägt (BGH aaO Rn. 7 mwN).
Rz. 5
Dem genügt das angefochtene Urteil nicht. Das Landgericht nimmt ohne weitere Erörterungen einen Mindestwirkstoffgehalt an, der mit 1,5% THC gerade noch ausreicht, um die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG zu erfüllen. Er entfernt sich indes weit von den üblicherweise festzustellenden Wirkstoffgehalten (vgl. dazu Weber, BtMG, 4. Aufl., Einleitung Rn. 146), ohne dass der Sachverhalt dazu einen Anhaltspunkt geben würde. Vielmehr sind die Betäubungsmittel in ihrer Qualität von den Konsumenten erkennbar niemals beanstandet worden.
Rz. 6
Die sonstigen Urteilsfeststellungen sind von diesem Aufklärungsmangel nicht betroffen und können daher – mit Ausnahme derjenigen zum Wirkstoffgehalt – aufrechterhalten bleiben. Über die Qualität der Betäubungsmittel muss dagegen erneut verhandelt und entschieden werden.
Rz. 7
3. Rechtsfehlerhaft ist das Urteil auch insoweit, als es das Landgericht unterlassen hat zu prüfen, ob gegen den Angeklagten die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anzuordnen ist, obwohl die Feststellungen dazu drängten. Danach wollte der Angeklagte mit den Taten „seinen eigenen Betäubungsmittelkonsum finanzieren” (UA S. 10) und „seine Betäubungsmittelabhängigkeit befriedigen” (UA S. 15). Der Angeklagte ist erst in jüngster Zeit – erkennbar für eine Tat während der Verbüßung einer seiner Vorstrafen – wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln bestraft worden. Er ist jetzt „gewillt, eine Drogentherapie zu absolvieren” (UA S. 17). Danach hätte es der Erörterung bedurft, ob bei dem Angeklagten ein Hang zum Konsum berauschender Mittel im Übermaß vorliegt und die anderen Voraussetzungen für eine Unterbringung gegeben sind. Auch dies wird der neue Tatrichter nachzuholen haben.
Rz. 8
4. Zuletzt gibt das Urteil Anlass zu folgendem Hinweis:
Rz. 9
Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Verurteilung des Angeklagten zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe durch das Amtsgericht Rinteln am 11. Mai 2010 eine Zäsur darstellt. Es hat deshalb – wie sich allerdings erst aus den Urteilsgründen ergibt – wegen drei der hier verfahrensgegenständlichen, vor der Zäsur liegenden Taten unter Einbeziehung der Vorstrafe eine Gesamtstrafe und hinsichtlich der anderen sechs Taten eine weitere Gesamtstrafe gebildet. Der neue Tatrichter wird bereits in der Entscheidungsformel die Anzahl der Taten zum Ausdruck bringen müssen, aus deren Einzelstrafen jeweils die Gesamtstrafen gebildet worden sind.
Unterschriften
Becker, Pfister, Mayer, Gericke, Spaniol
Fundstellen
Haufe-Index 5144943 |
StV 2013, 703 |