Cannabisfreigabe: Widerspruch zu EU-Recht?

Die Ampelkoalition will den Genuss von Cannabis in Deutschland legalisieren. Gleich drei Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags warnen vor rechtlichen Hürden. Die Freigabe könnte u.a. im Widerspruch zu EU-Recht stehen.

Nachdem die bisherige Drogenpolitik in Deutschland nach Meinung des überwiegenden Teils der Fachwelt weitgehend gescheitert ist, hat die Ampel im Koalitionsvertrag die Freigabe von Cannabis in begrenztem Rahmen durch entsprechende Gesetzesänderungen vereinbart. Nun warnen drei Gutachten des Bundestags: Die Umsetzung könnte u.a. wegen entgegenstehenden EU-Rechts schwierig werden.

Ampel will Cannabis-Konsum in einem kontrollierten Rahmen legalisieren

Die Ampelkoalition hat im Koalitionsvertrag vereinbart, eine „kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizensierten Geschäften“ einzuführen. Die Vorlage eines Gesetzentwurfes ist noch bis Ende dieses Jahres geplant. 

Bundestagsgutachten weisen Rechtsprobleme aus

Der CSU-Gesundheitspolitiker Stephan Pilsinger hatte den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags beauftragt, die Rechtmäßigkeit einer Umsetzung der Freigabepläne zur kontrollierten Cannabisfreigabe auch mit Blick auf das internationale Recht zu prüfen. Die hierzu erstellten Gutachten weisen auf rechtliche Probleme insbesondere im Hinblick auf zwei EU-Regelwerke sowie auf eine UN-Vereinbarung hin:

  • So schreibt der EU-Rahmenbeschluss 2004/757/JI den Mitgliedstaaten zwingend vor, das Herstellen, Anbieten und Verkaufen von Drogen unter Strafe zu stellen. Der Beschluss bezieht sich auf die in einem Übereinkommen aus dem Jahr 1971 aufgelisteten psychotropen Stoffe, darunter auch Cannabis.
  • Zweites Hindernis ist das sogenannte Schengenprotokoll zum Vertrag von Amsterdam nebst Durchführungsabkommen, in denen sich die Vertragsländer verpflichtet haben, „die unerlaubte Ausfuhr von Betäubungsmitteln aller Art einschließlich Cannabisprodukte sowie den Verkauf die Verschaffung und die Abgabe dieser Mittel mit verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Mitteln zu unterbinden“.
  • Die vollständige Legalisierung wäre darüber hinaus auch an dem völkerrechtlichen Vertrag der Vereinten Nationen „Single Convention on Narcotic Drugs“ zu messen. Dieser im Jahr 1961 ratifizierte Vertrag schreibt zwingend die strafrechtliche Verfolgung von Drogenanbau und Drogenbesitz vor. Der Vertrag ist allerdings kündbar. Nächst möglicher Beendigungstermin wäre für die Bundesrepublik der 1.1.2024.

Zeitliche Verzögerungen bei der Umsetzung zu erwarten

In der Realität dürfte die Umsetzung der Regierungspläne infolge dieser Rechtsprobleme länger dauern als von der Regierung geplant. Auch einige weitere Einzelprobleme mit nicht unerhebliche Relevanz für die Praxis sind bisher noch völlig ungelöst. Dazu gehören der Jugendschutz sowie die Regelungen für den Straßenverkehr. Auf welchen Wert soll beispielsweise der Höchstgehalt im Blut für den psychoaktiven Stoff THC festgelegt werden, bei dessen Überschreiten das Führen eines Kraftfahrzeugs verboten ist?

Abstimmungsbedarf zwischen unterschiedlichen Ministerien

Zur Beschleunigung trägt auch nicht die Tatsache bei, dass der Gesetzestext zwischen vielen unterschiedlichen Ministerien abgestimmt werden muss. Federführend sind sowohl das Bundesgesundheitsministerium als auch das Bundesjustizministerium. Für Fragen des Anbaus ist das Landwirtschaftsministerium zuständig, für Fragen der Besteuerung das Finanzministerium und möglicherweise das Wirtschaftsministerium. Hinsichtlich der internationalen Probleme darf auch noch das Außenministerium mitreden.

Die EU-Nachbarstaaten sind nicht wirklich weiter

Luxemburg hatte ähnliche Legalisierungspläne wie Deutschland, hat wegen der internationalen Problematik davon jedoch vorerst Abstand genommen und toleriert übergangsweise den häuslichen Anbau von Cannabis in kleineren Mengen. Auch die Niederlande gelten nicht als vorbildtauglich. Nach dem dort geltenden Opiumgesetz ist der Anbau, der Verkauf und der Besitz von Cannabis unter Strafe gestellt und damit illegal. Die dort verbreiteten Coffeeshops beruhen ausschließlich auf einer außergesetzlichen Duldung durch die Aufsichtsbehörden im Rahmen eines gesellschaftlichen Konsens. Kanada ist das einzige Land, das bisher die Legalisierung unter schlichter Ignorierung des UN-Abkommens umgesetzt hat.

Arbeitsgruppe der Regierung bemüht sich um Problemlösung

Mit all diesen Problemen befasst sich in Deutschland zur Zeit eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe. Die Vorgabe lautet dabei: Es existieren zwar rechtliche Probleme, aber sie sind durch sorgfältige Gesetzesformulierungen lösbar. Dennoch dürfte die Einhaltung des bisherigen Zeitplans schwierig werden. Am Schluss müsste auch der Bundesrat zustimmen. Einige Ministerpräsidenten der Länder lehnen aber weiterhin die Reform vehement ab.

Hintergrund:

Seit langem schwelt in Deutschland ein juristischer Streit um die Verfassungsmäßigkeit der Strafvorschriften des BTMG. Bereits im Jahre 2002 hatte ein Bernauer Jugendrichter im Wege einer Richtervorlage das BVerfG um Prüfung gebeten, ob das Cannabisverbot mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das BVerfG wies seinerzeit die Richtervorlage als unzulässig zurück und verwies auf eine Entscheidung aus dem Jahr 1994, in der das höchste deutsche Gericht entschieden hatte, dass die Strafvorschriften des BTMG mit dem deutschen Verfassungsrecht vereinbar sind. An diese Entscheidung fühlte sich das BVerfG im Jahr 2004 gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG gebunden (BVerfG; Beschluss v. 29.6.2004, 2 BvL 8/02).

Besitz von Cannabis schon heute nicht in allen Fällen strafbar

Nach der zur Zeit geltenden Regelung ist der Besitz von Cannabis nicht in jedem Fall strafbar. Gemäß Anlage Ib zu § 1 Abs. 1 BTMG sind Besitz und Konsum von der strafrechtlichen Ahndung ausgenommen, wenn

  • das Cannabis aus dem Anbau in Ländern der Europäischen Union mit zertifiziertem Saatgut von bestimmten Sorten gemäß Art. 9 der Delegierten VO EU Nr. 639/2014 stammt oder
  • sein Gehalt an THC den Wert von 0,2 % nicht übersteigt und
  • das Inverkehrbringen (ausgenommen der Anbau) ausschließlich gewerblichen oder wissenschaftlichen Zwecken dient, die einen Missbrauch zu Rauschzwecken ausschließen.

Der BGH hat klargestellt, dass nach dieser Vorschrift auch der Verkauf an Endabnehmer zu Konsumzwecken erlaubt sein kann (BGH Urteil v. 24.3.2021, 6 StR 240/20). Nach einer Entscheidung des EuGH gilt der psychoaktive Inhaltsstoff Cannabidiol nicht als Betäubungsmittel, wenn sein THC-Gehalt unter 0,2 % liegt (EuGH, Urteil v. 19.11.2020, C-663/18).


Schlagworte zum Thema:  EU-Recht