Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung bei Versäumnis der Berufungsbegründungsfrist bei Antrag auf Fristverlängerung an das erstinstanzliche Gericht
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn die Frist zur Begründung der Berufung versäumt worden ist, weil der Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist beim erstinstanzlichen Gericht eingereicht und ohne besondere Beschleunigung an das Berufungsgericht weitergeleitet worden ist.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des OLG Stuttgart vom 10.10.2006 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 290.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Der Kläger hat gegen das ihm am 16.5.2006 zugestellte Urteil des LG Heilbronn durch am 14.6.2006 beim OLG Stuttgart eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit einem an das LG Heilbronn adressierten, dort vorab per Telefax am 12.7.2006 um 10.55 Uhr eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger beantragt, die Frist zur Berufungsbegründung wegen Arbeitsüberlastung um einen Monat zu verlängern. Aufgrund einer Weisung des Kammervorsitzenden vom 13.7.2006, versehen mit einem Erledigungsvermerk vom 14.7.2006, ist das am 13.7.2006 eingegangene Post-Original dieses Schriftsatzes an das OLG weitergeleitet worden, wo es am 18.7.2006 einging. Die Frist zur Berufungsbegründung war am Montag, 17.7.2006 abgelaufen.
[2] Der vom OLG über den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist unterrichtete Kläger hat mit einem am 27.7.2006 beim OLG eingegangenen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er ausgeführt, da der Schriftsatz fünf Tage vor Ablauf der Frist beim LG Heilbronn eingegangen sei, wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang rechtzeitig an das OLG weiterzuleiten.
[3] Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.
II.
[4] Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
[5] 1. Dass die Berufung vom Kläger nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet wurde und deshalb unzulässig ist, wird von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen. Sie beanstandet insoweit lediglich, dass der angefochtene Beschluss keine Feststellungen enthalte, anhand derer sich der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist errechnen lasse. Der Beschluss sei deshalb nicht mit den gesetzmäßigen Gründen versehen. Dieser Einwand ist nicht berechtigt. Mit der Angabe des Zeitpunkts, zu dem die Frist zur Berufungsbegründung - unstreitig - ablief, hat das Berufungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt, der seiner Entscheidung zugrunde liegt, ausreichend wiedergegeben.
[6] 2. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht dem Kläger auch die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Berufungsbegründung mit Recht versagt. Der Kläger war nicht ohne sein Verschulden verhindert, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten (§ 233 ZPO). Er muss sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, der den Antrag auf Fristverlängerung beim unzuständigen Gericht einreichte, zurechnen lassen (§ 85 Abs. 2 ZPO).
[7] a) Geht ein fristgebundener Rechtsmittelschriftsatz statt beim Rechtsmittelgericht bei dem in erster Instanz befasst gewesenen Gericht ein, ist dieses allerdings verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Dies folgt aus dem verfassungsrechtlichen Anspruch des Rechtssuchenden auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Geht der Schriftsatz so zeitig bei dem mit der Sache befasst gewesenen Gericht ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne Weiteres erwartet werden kann, darf die Partei darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, wirkt sich das Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (BVerfGE 93, 99, 115 f.; BVerfG NJW 2001, 1343; NJW 2005, 2137, 2138; BGHZ 151, 42, 44 ständige Rechtsprechung). Der Wiedereinsetzung begehrende Antragsteller hat darzulegen und glaubhaft zu machen, dass sein Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsrang fristgemäß an das zuständige Berufungsgericht weitergeleitet werden konnte (BGH, Beschl. v. 6.6.2005 - II ZB 9/04, NJW-RR 2005, 1373; Beschl. v. 22.10.1986 - VIII ZB 40/86, NJW 1987, 440, 441).
[8] b) Die Erwartung, dass der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bei einer Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang noch rechtzeitig das Berufungsgericht erreichen würde, war im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Der Antrag ging an einem Mittwoch beim LG ein, die Frist zur Berufungsbegründung lief am folgenden Montag ab. Es entsprach dem ordentlichen Geschäftsgang, dass der in erster Instanz zuständig gewesene Richter am Tag nach dem Eingang des Schreibens die Weiterleitung an das OLG anordnete und wieder einen Tag später diese Weiterleitung von der Geschäftsstelle veranlasst wurde. Weil es inzwischen Freitag war, konnte wegen des bevorstehenden Wochenendes nicht erwartet werden, dass das Schreiben noch am selben Tag an das Postbeförderungsunternehmen zur Übermittlung an das OLG gelangte. Nur in diesem Fall konnte das Schreiben noch rechtzeitig vor dem Fristablauf am folgenden Montag beim Berufungsgericht eingehen. Mit einem rechtzeitigen Eingang des Fristverlängerungsantrags beim Berufungsgericht konnte unter den gegebenen Umständen daher nur gerechnet werden, wenn das LG verpflichtet war, Maßnahmen zur besonderen Beschleunigung zu ergreifen, beispielsweise den Fristverlängerungsantrag per Telefax an das Berufungsgericht zu übermitteln oder den Prozessbevollmächtigten des Klägers telefonisch davon zu unterrichten, dass er den Schriftsatz beim unzuständigen Gericht eingereicht hatte. Zu solchen besonderen Maßnahmen war das - zur Entgegennahme des Schriftsatzes unzuständige (vgl. BVerfG NJW 1995, 3173, 3175) - LG nicht verpflichtet (BVerfG NJW 2001, 1343), auch nicht im Hinblick auf das bevorstehende Wochenende. Andernfalls würde den Parteien und ihren Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Einhaltung der Formalien abgenommen und den unzuständigen Gerichten übertragen. Damit würden die Anforderungen an die aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren abgeleitete richterliche Fürsorgepflicht überspannt werden (BVerfG, a.a.O.). Ob eine andere Beurteilung geboten sein kann, wenn eine besondere Eilbedürftigkeit aus dem fehlgeleiteten Schriftsatz selbst ersichtlich ist, braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn aus dem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist war nicht zu entnehmen, wann diese Frist ablief. Der Umstand allein, dass der Schriftsatz vorab per Telefax übermittelt wurde, ließ angesichts der verbreiteten Praxis dieser Art der Übermittlung auch in nicht eiligen Fällen nicht auf eine besondere Eilbedürftigkeit schließen.
Fundstellen
Haufe-Index 2093481 |
BGHR 2009, 364 |
EBE/BGH 2009 |
FamRZ 2009, 320 |
NJW-RR 2009, 408 |
FA 2009, 84 |
JurBüro 2009, 222 |
StuB 2009, 205 |
WM 2009, 428 |
AnwBl 2009, 230 |
MDR 2009, 344 |
GuT 2009, 322 |
BRAK-Mitt. 2009, 71 |