Verfahrensgang
LG Münster (Urteil vom 03.07.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 3. Juli 2002 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und acht Monaten verurteilt und die Einziehung der Tatwaffe angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2. Dagegen kann der Strafausspruch nicht bestehen bleiben, weil die Erwägungen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt schon aufgrund der Sachrüge durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen. Auf die insoweit erhobene Verfahrensbeschwerde kommt es deshalb nicht an.
a) Nach den Feststellungen fühlte sich der zur Tatzeit 60jährige, bisher unbescholtene Angeklagte schon längere Zeit durch die Geräusche aus der in dem hellhörigen Haus über seiner Wohnung gelegenen Wohnung des 38jährigen Portugiesen da S. belästigt. Aufgrund seiner damaligen nervlichen Belastung empfand der Angeklagte diese Geräusche objektiv zu Unrecht als Provokation. Im Laufe der Zeit hatte sich der Angeklagte „so sehr auf die Wahrnehmung der Geräusche aus der Oberwohnung fixiert, daß er in den Abendstunden geradezu auf diese wartete”. So verhielt es sich auch am Tatabend. Obwohl in der Wohnung des da S. „kein übermäßiger Lärm” herrschte, „reichten möglicherweise diese Geräusche, um den Angeklagten so zu verärgern”, daß er mit seiner mit mindestens 6 Patronen geladenen Pistole Makarov, Kal. 9 mm, über eine Außentreppe zur Wohnung des da S. ging, diesen herausklingelte und auf ihn, als dieser hinter ihm die Treppe hinunter gegangen war, mit zumindest bedingtem Verletzungsvorsatz aus einem Abstand von max. 2 m zwei Schüsse abfeuerte, von denen der erste den Geschädigten am linken Oberschenkel traf und der zweite in den Mittelbauch eindrang und zu lebensgefährlichen Verletzungen führte. Nach der Tat rannte der Angeklagte zurück in seine Wohnung und versteckte dort die Pistole.
b) Das Landgericht hat die Annahme vollständig erhaltener Schuldfähigkeit zunächst damit begründet, daß der Angeklagte zur Tatzeit weder alkoholisiert war noch unter dem Einfluß sonstiger berauschender Mittel stand. Im übrigen beschränkt sich das Urteil auf den Hinweis: „Allein die durch eventuelle Geräusche aus der Oberwohnung hervorgerufene Verärgerung und Fixierung auf diese Geräusche führte nach Überzeugung des Gerichts zu keiner erheblichen Verminderung seiner Steuerungs- oder Einsichtsfähigkeit” (UA 12). Diese knappe Erwägung wird den Besonderheiten des Falles nicht gerecht; sie läßt wesentliche Umstände in der Person des Angeklagten unberücksichtigt und weist auch nicht die notwendige Sachkunde aus, die es dem Gericht ermöglicht hätte, die Frage der Schuldfähigkeit – ersichtlich ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen – verläßlich zu beantworten.
So teilt das Urteil zwar bei den Angaben zur Person des Angeklagten mit, dieser sei zuckerkrank und leide unter erhöhtem Blutdruck (UA 3). Ob dieser Krankheitsbefund zusammen mit der „damaligen nervlichen Belastung” (UA 4) zu einer tatrelevanten Einengung des Bewußtseins beim Angeklagten geführt hat, hat das Landgericht nicht erwogen. Dazu hätte aber schon deshalb Anlaß bestanden, weil der Angeklagte, der bislang ein geordnetes Leben geführt hat, weitere Besonderheiten aufwies, die eine nähere Begründung seines psychischen Zustandes im Tatzeitpunkt erforderlich machten. Dies betrifft insbesondere die vom Landgericht festgestellte Fixierung des Angeklagten auf die Geräusche aus der Wohnung des Geschädigten, die derart ausgeprägt war, daß der Angeklagte geradezu auf die Geräusche wartete und sie auch dann als Provokation empfand, wenn dazu – wie das Landgericht es für den Tatabend festgestellt hat – objektiv kein Anlaß bestand. Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht erörtern müssen, ob die Fixierung des Angeklagten auf die Geräusche schon einen Grad erreicht hatte, der dem Merkmal einer schweren seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen ist (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 25), die sich hier auch deshalb auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgewirkt haben könnte, weil die Reaktion des Angeklagten auf die von ihm wahrgenommenen Geräusche – wie das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung dem Angeklagten ausdrücklich anlastet – „völlig unangemessen” war (UA 13).
3. Der aufgezeigte Rechtsfehler hat die Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge. Dagegen bleibt der Schuldspruch unberührt, denn der Senat kann nach den getroffenen Feststellungen ausschließen, daß sich der Angeklagte im Tatzeitpunkt in einem Zustand befunden hat, in dem seine Einsichtsfähigkeit gefehlt hat oder seine Steuerungsfähigkeit vollständig aufgehoben war.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Athing, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen
Haufe-Index 2565545 |
NStZ 2003, 363 |