Verfahrensgang
LG Trier (Urteil vom 02.09.2019; Aktenzeichen 8021 Js 8355/17 1 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 2. September 2019 im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 165 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Seine Revision, mit der er zwei Verfahrensrügen erhebt und die Verletzung materiellen Rechts beanstandet, hat lediglich den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
Der Gesamtstrafenausspruch hat keinen Bestand. Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu ausgeführt:
„Das angefochtene Urteil trägt die unterbliebene Bildung einer Gesamtstrafe unter Einbeziehung der durch die Verurteilungen des Amtsgerichts Trier vom 6. September 2010 (4 Ls 2050 Js 71943/09) und vom 13. Februar 2012 (4 Ls 2050 Js 37919/10) verhängten Einzelstrafen nach Wiederauflösung der durch Urteil des Amtsgerichts Trier vom 13. Februar 2012 gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren nicht. Vielmehr legen es die Urteilsgründe nahe, dass die Voraussetzungen einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB zu dem – maßgeblichen – Zeitpunkt der tatrichterlichen Sachentscheidung (Senat, Beschluss vom 17. September 2019 – 3 StR 341/19 –, juris Rdn. 7) bestanden haben. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ist die Anwendung des § 55 StGB zwingend (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 17. September 2019 – 3 StR 341/19 –, juris Rdn. 12; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 55 Rdn. 34 m.w.N.).
Sowohl die Verurteilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Trier vom 13. Februar 2012 (UA S. 10) als auch dessen darin einbezogene Verurteilung vom 6. September 2010 (UA S. 9) sind frühere Verurteilungen im Sinne des § 55 Abs. 1 StGB. Die den Gegenstand des angefochtenen Urteils bildenden Straftaten hat der Angeklagte auch vor diesen Verurteilungen begangen. Die gegen den Angeklagten durch das bezeichnete Urteil des Amtsgerichts Trier vom 13. Februar 2012 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden war, hatte sich – soweit aus dem Urteil ersichtlich – auch nicht bereits vollständig erledigt. Denn nach einem Widerruf der Strafaussetzung war die Vollstreckung eines nicht näher bestimmten Strafrestes unter Festsetzung einer bis zum 2. März 2019 andauernden Bewährungszeit erneut zur Bewährung ausgesetzt worden (UA S. 10). Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass diese Restfreiheitsstrafe zum Urteilszeitpunkt bereits erlassen war. Abgesehen davon, dass sich ein Straferlass – im Gegensatz zu den Erledigungen anderer Verurteilungen (UA S. 4 – 9) – aus den Urteilsgründen nicht ergibt (UA S. 10), ist die Strafkammer bei Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe ‚zu Gunsten des Angeklagten’ ausdrücklich davon ausgegangen, dass ‚die Aussetzung der Reststrafe’ – gemeint ist offensichtlich deren Erlass – aus der Verurteilung des Amtsgerichts Trier vom 13. Februar 2012 nur ‚im Raume’ stand (UA S. 23), also gerade noch nicht erfolgt war.
Dass die Bewährungsfrist zum Urteilszeitpunkt bereits abgelaufen war, steht der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe von Rechts wegen ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass eine neu zu bildende Gesamtstrafe nicht mehr aussetzungsfähig ist (BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 562/15 –, juris Rdn. 4; BayObLG, Beschluss vom 12. Juni 2001 – 5St RR 138/01 –, juris Rdn. 21; Fischer a.a.O., Rdn. 6); sich etwa aus dem Spannungsverhältnis von § 55 StGB und § 56g Abs. 1 StGB ergebende Härten, wie die einem Widerruf der Strafaussetzung gleichkommende Wirkung der Einbeziehung, sind erst bei der Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe zu bedenken und zu gewichten (BGH a.a.O., juris Rdn. 5).
Eine Beschwer des Angeklagten infolge der unterbliebenen nachträglichen Gesamtstrafenbildung kann nicht ausgeschlossen werden. Die unter Einbeziehung sämtlicher in den genannten Urteilen verhängten amtsgerichtlichen Einzelstrafen (BGH, Urteil vom 6. März 2012 – 1 StR 530/11 –, juris Rdn. 9) gebildete Gesamtfreiheitsstrafe hätte niedriger ausfallen können als die Summe der beiden Gesamtfreiheitsstrafen aus dem angefochtenen Urteil und dem des Amtsgerichts Trier vom 13. Februar 2012. Dies würde sich jedenfalls für den Fall, dass sich die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Trier vom 13. Februar 2012 letztlich nicht durch Erlass des zur Bewährung ausgesetzten Strafrestes erledigt hat, sondern die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung widerrufen worden ist oder werden wird, zu Lasten des Angeklagten auswirken. Die Möglichkeit eines Widerrufs der Bewährung kann auf Grundlage der Urteilsfeststellungen ebenfalls nicht ausgeschlossen werden, weil der Angeklagte offenbar innerhalb der Bewährungszeit wegen eines Vorsatzdeliktes gemäß § 142 StGB, wenn auch nur zu einer Geldstrafe (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 6. September 2007 – 3 Ws 527/07 –, juris Rdn. 13), verurteilt worden ist (UA S. 10) und der Angeklagte diese Tat auch innerhalb der Bewährungszeit begangen haben könnte.
Der vorgenannte Rechtsfehler legt die Zurückverweisung der Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO nahe. Zwar kann eine neu zu treffende Entscheidung über die Gesamtstrafe gemäß § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO dem Beschlussverfahren nach den §§ 460, 462 StPO überlassen werden. Abweichend von dem der Entscheidung des Senats vom 29. November 2011 (3 StR 358/11 [juris Rdn. 5]) zugrunde liegenden Sachverhalt liegt es auch nahe, dass in Ermangelung einer Erledigung der Gesamtfreiheitsstrafe aus der Verurteilung des Amtsgerichts Trier vom 13. Februar 2012 zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils jedenfalls eine Gesamtstrafe zu bilden ist, zumal ein bloßer Härteausgleich selbst dann nicht in Betracht käme, wenn die Restfreiheitsstrafe zwischenzeitlich nicht widerrufen, sondern erlassen worden sein sollte, da insoweit der Vollstreckungsstand des gegen den Angeklagten ergangenen früheren Urteils zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils maßgeblich ist (Senat, Beschluss vom 12. Dezember 2018 – 3 StR 489/18 –, juris Rdn. 4 m.w.N.; Senat, Beschluss vom 16. Oktober 2018 – 3 StR 439/18 –, juris Rdn. 5 m.w.N.; Fischer a.a.O., Rdn. 6a m.w.N.). Es kann demgegenüber nach den Urteilsgründen jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass entgegen der Erwartung des Landgerichts (UA S. 23) nicht doch bereits vor dem angefochtenen Urteil ein Erlass der Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Trier vom 13. Februar 2012 erfolgt und insofern nicht doch lediglich ein Härteausgleich vorzunehmen ist. Hierfür wäre aber im Beschlussverfahren nach Maßgabe der §§ 460, 462 StPO, deren Regelungsbereich die ausschließliche Vornahme eines Härteausgleichs nicht erfasst (KK/Gericke a.a.O., § 354 Rdn. 26i m.w.N.), kein Raum.”
Rz. 3
Dem schließt sich der Senat an.
Unterschriften
Schäfer, Spaniol, Wimmer, RiBGH Hoch befindet sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben., Schäfer, Anstötz
Fundstellen
Haufe-Index 13913581 |
NStZ-RR 2020, 242 |
StV 2021, 293 |