Entscheidungsstichwort (Thema)
sexueller Mißbrauch von Kindern
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum – auswärtige Strafkammer Recklinghausen – vom 15. Januar 2001 im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Insoweit wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern unter Einbeziehung von Strafen aus zwei früher gegen ihn ergangenen Urteilen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet; außerdem hat es angeordnet, daß die in einem der beiden früheren Urteile bestimmte Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis aufrechterhalten bleibt.
Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren.
1. Die Verfahrensrügen haben keinen Erfolg.
a) Die Rüge, der Vorsitzende der Strafkammer hätte an dem Urteil nicht mitwirken dürfen, nachdem der Angeklagte ihn wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt habe, ist unbegründet. Wie sich aus der dienstlichen Äußerung des abgelehnten Vorsitzenden Richters ergibt, deren Richtigkeit von der Berichterstatterin bestätigt wird, hat dieser die Erklärung nicht abgegeben, auf die der Beschwerdeführer die geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit stützt.
b) Die weitere Verfahrensrüge (zu 1b der Revisionsbegründungsschrift) ist nicht zulässig erhoben. Insofern beschränkt sich die Revision – unter Verzicht auf weitergehende Ausführungen – darauf, Ablichtungen eines von ihr als „Beweisantrag” bezeichneten Schreibens der Verteidigerin vom 13. Dezember 2000 (nebst Anlage) sowie eine Kopie des Beschlusses der Strafkammer vom 5. Januar 2001 vorzulegen. In dem Schreiben wird „angeregt”, eine beigefügte augenärztliche Stellungnahme zu verlesen oder die Ärztin als Sachverständige zu vernehmen. Mit dem Beschluß hat die Strafkammer den Antrag vom 13. Dezember 2000 zurückgewiesen, zum einen, weil eine in dem Antrag unter Beweis gestellte Tatsache „bereits bewiesen” sei, zum anderen, weil es sich bei dem Antrag – eine andere Tatsache betreffend – lediglich um einen Beweisermittlungsantrag handele, dem nachzugehen keine Veranlassung bestehe. Bei diesem Sachverhalt hätte der Beschwerdeführer angeben müssen, welcher Verfahrensmangel geltend gemacht wird. Mangels dieser Angabe genügt die Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.
2. Der Nachprüfung aufgrund der Sachrüge hält das Urteil zum Schuldspruch stand. Bei den dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen handelt es sich um sexuelle Handlungen. Die Annahme des Landgerichts, daß diese unter Berücksichtigung aller für die Bewertung maßgeblichen Umstände bereits die erforderliche Erheblichkeit (§ 184c Nr. 1 StGB) aufweisen, ist nicht zu beanstanden.
3. Dagegen kann der Strafausspruch keinen Bestand haben.
Die Strafkammer hat für die Tat eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren festgesetzt. In Anbetracht dessen, daß die festgestellten Handlungen – wie sie zutreffend ausführt – dem untersten Bereich der tatbestandsmäßigen sexuellen Handlungen zuzurechnen sind, erscheint eine Strafe, die den unteren Strafrahmen des § 176 Abs. 1 StGB so deutlich überschreitet, auch unter Berücksichtigung aller dem Angeklagten zu Recht straferschwerend angelasteten Umstände nicht nachvollziehbar. Sie ist nur dadurch zu erklären, daß sich die Strafkammer maßgeblich von dem Blick auf die für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB erforderliche Mindeststrafe hat leiten lassen; darauf deutet auch die zur Begründung der Strafhöhe angestellte Erwägung hin, daß es sich „bei dem Angeklagten um einen äußerst gefährlichen Straftäter handelt, vor dem die Allgemeinheit geschützt werden muß.” Das Interesse der Allgemeinheit, vor einem gefährlichen Straftäter durch dessen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung geschützt zu werden, ist aber kein Umstand, der gemäß § 46 StGB bei der Strafzumessung zu seinen Lasten berücksichtigt werden darf. Indem § 66 Abs. 1 StGB die (obligatorische) Anordnung der Sicherungsverwahrung davon abhängig macht, daß der Täter zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt wird, setzt die Vorschrift dem von ihr bezweckten Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern Grenzen: Als Anlaßtaten sollen nur solche Vergehen und Verbrechen in Betracht kommen, bei denen Unrecht und Schuld des Täters besonders schwer wiegen. Das schließt eine Berücksichtigung des Sicherungsinteresses bei der Zumessung der Strafe für die Anlaßtat aus.
4. Als Folge der danach gebotenen Aufhebung der Einzelstrafe wegen der abgeurteilten Tat muß der gesamte Rechtsfolgenausspruch aufgehoben werden.
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO Gebrauch.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Tolksdorf, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Elf
Fundstellen
Haufe-Index 613458 |
NStZ 2001, 595 |