Entscheidungsstichwort (Thema)
Beleidigung
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 24. Juni 1999 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten des Angeklagten bestehen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Münster zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Beleidigung in 66 Fällen und der Bedrohung in zwei weiteren Fällen wegen Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die nur den Maßregelausspruch betreffende, auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat im wesentlichen Erfolg.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält rechtlicher Prüfung nicht stand, weil das Landgericht die in § 63 StGB vorausgesetzte Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichend begründet hat. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daß der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustandes künftig erhebliche rechtswidrige Taten begehen werde. Davon ist das Landgericht zwar in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigen ausgegangen. Doch fehlt es für die Annahme, „mit bestimmter Wahrscheinlichkeit” seien „künftig … schwere Taten gegen die körperliche Unversehrtheit Einzelner sowie gegen Allgemeingut mit nicht auszuschließender Gefährdung einer Vielzahl von Personen” zu erwarten (UA 19), an einer ausreichenden Tatsachengrundlage. Auch wenn die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht grundsätzlich voraussetzt, daß die Anlaßtaten selbst „erheblich” sind (BGH NStZ 1986, 237), hätte es angesichts der festgestellten Taten des Angeklagten, die ihrem Gewicht nach dem untersten Bereich strafbaren Verhaltens zuzuordnen sind, hier zu der Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältiger Darlegung bedurft, zumal früheres Aggressionsverhalten des Angeklagten nicht festgestellt ist (BGH NStZ 1999, 611, 612).
Soweit das Landgericht die Gewaltbereitschaft des Angeklagten aus seiner Äußerung gegenüber dem Sachverständigen herleitet, „möglicherweise nehme er mal ein Küchenmesser, wenn der Gerichtsvollzieher wiederkomme” (UA 18/19; Hervorhebung durch den Senat), ist damit mehr als die bloße Möglichkeit, daß von dem Angeklagten in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind, nicht dargetan. Dies genügt für die Unterbringungsanordnung nach § 63 StGB jedoch nicht (st. Rspr.; vgl. Lackner/Kühl StGB 23. Aufl. § 63 Rdn. 5 m.N.). Zwar durfte das Landgericht für seine Überzeugungsbildung den Umstand heranziehen, daß der Angeklagte bei seiner Festnahme „in dem früheren Schlafzimmer der Mutter auf einer Anrichte ein Küchenmesser/Schälmesser in ca. 2 Metern Entfernung zur Wohnungseingangstür” (UA 15) liegen hatte. Doch läßt dies nicht ohne weiteres den Schluß auf „die Ernsthaftigkeit” (UA 19) der von dem Angeklagten in seinem „sein ganzes Denken und Handeln” bestimmenden „Kampf gegen die Justiz” (UA 8) am Telefon, mithin nur verbal geäußerten Drohungen zu. Anders könnte es sich verhalten, wenn der Angeklagte bereits zuvor, zuletzt etwa beim Erscheinen der Polizei im Zusammenhang mit seiner Festnahme, ein Messer ergriffen und damit gedroht hätte. Dies ist jedoch nicht festgestellt.
Die Frage der Notwendigkeit der Unterbringung des Ageklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher neuer Prüfung. Die zu den rechtswidrigen Taten des Angeklagten getroffenen Feststellungen werden von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht berührt; sie können deshalb bestehen bleiben (vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 19). Dies schließt ergänzende Feststellungen durch den neuen Tatrichter, die zu den bisher getroffenen Feststellungen nicht in Widerspruch stehen, nicht aus.
Für die neue Hauptverhandlung könnte es sich empfehlen, einen weiteren Sachverständigen zum psychiatrischen Zustand des Angeklagten hinzuzuziehen, weil die auf das Gutachten des gehörten Sachverständigen gestützten Feststellungen des Landgerichts hierzu widersprüchlich und deshalb nicht frei von rechtlichen Bedenken sind. Einerseits stellt das Landgericht nämlich fest, der Angeklagte sei „an einer paranoiden Psychose erkrankt” (UA 17), die dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung in § 20 StGB zuzuordnen ist; andererseits übernimmt es die „Diagnose der paranoiden Persönlichkeitsstörung”, die es als „eine als schwere andere seelische Abartigkeit zu qualifizierende Erkrankung” wertet (UA 18). Bei dieser Sachlage fehlt es an der für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB grundsätzlich unerläßlichen eindeutigen Zuordnung der Ursachen der Auffälligkeiten in der Person des Angeklagten zu einer der in § 20 StGB beschriebenen Eingangsmerkmale (vgl. BGHSt 42, 385, 387; BGHR StGB § 63 Zustand 19; Senatsbeschluß vom 8. Oktober 1999 – 4 StR 308/99). Rechtlichen Bedenken begegnet zudem, daß das Landgericht einerseits feststellt, der Angeklagte könne „das Unrecht der Taten … nicht einsehen”, andererseits aber mit dem Sachverständigen auch annimmt, „darüber hinaus sei bei dem Angeklagten … die Steuerungsfähigkeit – je nach der Situation, in der er sich befinde – erheblich gemindert oder aufgehoben” (UA 17). Das Landgericht hat dabei nicht erkennbar bedacht, daß die Anwendung des § 20 StGB nach der Rechtsprechung nicht zugleich auf die Aufhebung der Einsichts-und der Steuerungsfähigkeit gestützt werden kann (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 5 und Schuldunfähigkeit 1; BGH, Urteil vom 16. Januar 1996 – 1 StR 674/95).
Im Hinblick auf den für die Gefährlichkeitsprognose maßgeblichen Zeitpunkt der Hauptverhandlung (Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 63 Rdn. 11 m.N.) wird der neue Tatrichter auch die weitere Entwicklung des Angeklagten im Rahmen der einstweiligen Unterbringung zu berücksichtigen haben. Schließlich wird der neue Tatrichter, sollte er die Voraussetzungen des § 63 StGB wiederum bejahen, auch zu erwägen haben, ob weniger einschneidende Maßnahmen als die strafrechtliche Unterbringung einen ausreichend zuverlässigen Schutz der Allgemeinheit vor dem Angeklagten bieten. Die Notwendigkeit hierzu ergibt sich aus dem – im gesamten Maßregelrecht geltenden und aus dem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt des Übermaßverbots abgeleiteten – Subsidiaritätsprinzip (BGH NStZ 1999, 611, 612; BGHR StGB § 62 Verhältnismäßigkeit 5 m.w.N.). Daß sich der Angeklagte „nur marginal krankheitseinsichtig zeigt” (UA 20), macht – zumal angesichts der strafrechtlichen Geringfügigkeit der Anlaßtaten – die Prüfung nicht entbehrlich, ob eine zivilrechtliche Unterbringung aufgrund landesgesetzlicher Bestimmung oder – was ebenfalls erneut zu prüfen ist – eine Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringungsanordnung (§ 67 b StGB) unter Erteilung geeigneter Weisungen ausreichen, um einen Verzicht auf den strafrechtlichen Maßregelvollzug zu verantworten (vgl. Lackner/Kühl aaO § 67 b Rdn. 4 m.w.N.).
Unterschriften
Maatz, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen