Tenor
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main übertragen.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Der Angeklagte befindet sich seit dem 19. Juni 2020 in Untersuchungshaft, zuletzt aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2020 (4 BGs 201/20). Dem Angeklagten liegt danach zur Last, in den Jahren 2011 sowie 2012 als Assistenzarzt in einem Militärkrankenhaus und in einem Gefängnis des militärischen Geheimdienstes in H. mehrere Inhaftierte misshandelt zu haben; unter anderem habe er einen Gefangenen mittels einer Spritze getötet.
Rz. 2
Der Senat hat mit Beschluss vom 3. Februar 2021 (AK 50/20, NStZ-RR 2021, 155 f.) eine Haftprüfung durch ihn seinerzeit als nicht veranlasst angesehen und mit Beschlüssen vom 5. Mai (AK 32/21) sowie 11. August 2021 (AK 41/21) die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet.
Rz. 3
Der Generalbundesanwalt hat am 15. Juli 2021 wegen des Sachverhalts, der dem aktuell vollzogenen Haftbefehl zugrunde liegt, und wegen weiterer Tatvorwürfe Anklage zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main erhoben. Nachdem dem Senat die Akten am 9. November 2021 erneut zur Haftprüfung vorgelegt worden sind, hat das Oberlandesgericht durch Beschluss vom 10. November 2021 die Anklage hinsichtlich der Vorwürfe, die bereits Gegenstand der Haftprüfung waren, sowie darüberhinausgehender Vorwürfe mit teils von der Anklage abweichenden rechtlichen Wertungen zugelassen. In Bezug auf zehn weitere Fälle hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Begründung abgelehnt, der Anklagesatz werde seiner Umgrenzungsfunktion (§ 200 Abs. 1 Satz 1 StPO) nicht gerecht. Es hat den Haftbefehl nach Maßgabe des Eröffnungsbeschlusses neu gefasst. Gegen die teilweise Nichteröffnung hat der Generalbundesanwalt sofortige Beschwerde eingelegt, über die bislang nicht entschieden ist.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 4
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über zwölf Monate hinaus liegen vor (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO).
Rz. 5
1. Gegenstand der Haftprüfung ist der nach § 122 Abs. 1 StPO vorgelegte vollzogene Haftbefehl (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juli 2016 – AK 41/16, juris Rn. 8; vom 6. Dezember 2017 – AK 63/17, NStZ-RR 2018, 53, 54; vom 3. März 2021 – AK 13/21, juris Rn. 4), hier also derjenige des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. Dezember 2020. Dass dem Angeklagten zwischenzeitlich ein neu gefasster Haftbefehl verkündet worden ist, ist der Vorlage nicht zu entnehmen. Im Übrigen umfasste ein Haftbefehl, der sämtliche im Eröffnungsbeschluss zugelassenen Vorwürfe beinhaltete, Taten über die bereits im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs enthaltenen hinaus.
Rz. 6
2. In Bezug auf die danach maßgeblichen Tatvorwürfe, die den dringenden Tatverdacht belegenden Umstände, die rechtliche Bewertung und die Haftgründe wird auf die fortgeltenden Ausführungen in den Beschlüssen des Senats vom 3. Februar, 5. Mai und 11. August 2021 Bezug genommen. Mit Blick auf das Gewicht der dort näher dargelegten Straftatbestände, insbesondere die Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1, 5 und 6 VStGB, ist es entbehrlich, die dazu gegebenenfalls in Tateinheit stehende Verwirklichung etwaiger weiterer Delikte zu erörtern.
Rz. 7
3. Die besondere Schwierigkeit sowie der besondere Umfang der Ermittlungen haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen weiterhin die Haftfortdauer.
Rz. 8
Wie bereits in den früheren Beschlüssen aufgezeigt, ist das Ermittlungsverfahren dadurch erschwert gewesen, dass die in Rede stehenden Tatorte in einem ausländischen Staat liegen, mit dem kein Rechtshilfeverkehr existiert, es sich um mehrere Tatvorwürfe mit unterschiedlichen davon betroffenen Geschädigten handelt und eine Aufklärung sowohl in Bezug auf die Behandlung von inhaftierten Oppositionellen in Syrien als auch hinsichtlich der persönlichen Situation des Angeklagten im Tatzeitraum erforderlich gewesen ist. Es ist eine Vielzahl von Zeugen ermittelt und vernommen worden, die sich im Ausland aufhalten.
Rz. 9
Die Dauer zwischen der Anklageerhebung im Juli 2021 und der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens im November 2021 beruht ebenfalls auf Schwierigkeit und Umfang des Verfahrens. Die Anklageschrift umfasst 137 Seiten. Mit ihr sind dem Oberlandesgericht fünfzig Ordner Sachakten übersandt worden. Dass die Anklage auch über den Haftbefehl hinausgehende Tatvorwürfe enthält, welche für die Haftfortdauer außer Betracht zu bleiben haben (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 9. Januar 2020 – AK 61/19, juris Rn. 36 mwN), ist hier nach den konkreten Umständen ohne Belang. Denn sie gründen auf den Ermittlungen, die ohnehin zur Klärung der im Haftbefehl genannten Vorwürfe erforderlich waren.
Rz. 10
Das Oberlandesgericht hat im Zwischenverfahren als ergänzende Beweiserhebung (§ 202 StPO) die Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens zu etwaigen Verletzungsspuren beschlossen, die sich auf einen der im Haftbefehl aufgeführten Fälle beziehen. Da das Bundeskriminalamt erst am 26. Juli 2021 einen Hinweis auf einen Aufenthalt des zu untersuchenden Zeugen in Deutschland erhalten hatte, hat die Untersuchung vor Anklageerhebung nicht veranlasst werden können. Das schriftliche Gutachten ist am 21. Oktober 2021 bei dem Oberlandesgericht eingegangen.
Rz. 11
Insgesamt hat das Oberlandesgericht danach das Verfahren mit der gebotenen Zügigkeit gefördert und zeitnah nach Entscheidungsreife über die Zulassung der Anklage beschlossen. Es beabsichtigt, im Januar 2022 und somit innerhalb von zwei Monaten nach seiner Eröffnungsentscheidung mit der Hauptverhandlung zu beginnen (vgl. zum regelmäßig erforderlichen Verhandlungsbeginn innerhalb von drei Monaten BVerfG, Beschluss vom 3. Februar 2021 – 2 BvR 2128/20, juris Rn. 38 mwN).
Rz. 12
4. Der andauernde Vollzug der Untersuchungshaft steht nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeklagten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nicht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Zwar setzt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Untersuchungshaft unabhängig von der Straferwartung Grenzen und lässt einen Vollzug von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung oder dem Erlass des Urteils nur in ganz besonderen Ausnahmefällen zu (s. etwa BVerfG, Beschluss vom 1. April 2020 – 2 BvR 225/20, juris Rn. 58 f. mwN). Allerdings sind solche besonderen Umstände aus den zuvor dargelegten Gründen gegeben, ohne dass es insoweit auf solche in der Anklageschrift genannte Tatvorwürfe ankäme, die nicht Gegenstand des vollzogenen Haftbefehls und daher für die Frage der Haftfortdauer ohne Bedeutung sind. Angesichts der Schwere der im Haftbefehl aufgeführten Taten genügt der nunmehr in Aussicht genommene Beginn der Hauptverhandlung im Januar 2022 unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten den zu beachtenden Anforderungen.
Unterschriften
Schäfer, Paul, Anstötz
Fundstellen
Haufe-Index 14981171 |
NStZ-RR 2022, 51 |