Tenor
Für die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste der Freiheitsstrafen aus den Urteilen des Landgerichts Tübingen vom 29. Juli 2020 - 2 KLs 48 Js 13944/19 - und des Amtsgerichts Stuttgart vom 28. März 2019 - 12 Ds 27 Js 105642/18 - ist das Landgericht Freiburg im Breisgau - Strafvollstreckungskammer - zuständig.
Gründe
Rz. 1
1. Die Strafvollstreckungskammern der Landgerichte Tübingen und Freiburg im Breisgau streiten darüber, welches von ihnen für die nachträgliche Entscheidung im Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung zuständig ist.
Rz. 2
Der Verurteilte verbüßt seit dem 28. Juli 2022 in der Justizvollzugsanstalt Rottenburg eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten aus dem Urteil des Landgerichts Tübingen vom 29. Juli 2020 sowie eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 28. März 2019. Der gemeinsame Zwei-Drittel-Termin datiert auf den 26. Februar 2023. Vor dem 28. Juli 2022 war der Verurteilte in der Justizvollzugsanstalt Freiburg inhaftiert.
Rz. 3
2. Der Bundesgerichtshof ist nach § 14 StPO als gemeinschaftliches oberes Gericht der Landgerichte Tübingen (Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart) und Freiburg im Breisgau (Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe) zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits berufen.
Rz. 4
3. Für die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung der Reste der Freiheitsstrafen aus den Urteilen des Landgerichts Tübingen vom 29. Juli 2020 und des Amtsgerichts Stuttgart vom 28. März 2019 ist gemäß § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO das Landgericht Freiburg im Breisgau - Strafvollstreckungskammer - zuständig, da in dessen Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Landgericht mit der Sache befasst war, aufgenommen war. Die Verlegung des Verurteilten am 28. Juli 2022 in die Justizvollzugsanstalt Rottenburg steht dem nicht entgegen
Rz. 5
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Zuschrift vom 25. November 2022 u.a. ausgeführt:
„Nach § 462 Abs. 1 Satz 1 StPO ist, wenn gegen den Verurteilten - wie hier - eine Freiheitsstrafe vollstreckt wird, für die nach § 454 StPO zu treffenden Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird, aufgenommen ist. Bei Entscheidungen, die von Amts wegen ergehen, ist das Gericht im Sinne von § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO bereits „mit der Sache befasst“, wenn Tatsachen aktenkundig werden, die eine solche Entscheidung rechtfertigen können, unabhängig davon, ob sich die Verfahrensakten zu diesem Zeitpunkt bei der (zuständigen) Strafvollstreckungskammer befinden (vgl. Senat, Beschluss vom 1. März 2022 - 2 ARs 381/21 - mwN). Mit der von Amts wegen zu treffenden Entscheidung über eine Reststrafenaussetzung ist die Strafvollstreckungskammer deshalb schon dann befasst, wenn der nach § 57 Abs. 1 StGB maßgebliche - stets aktenkundige - Zeitpunkt herannaht, auch wenn sie bislang untätig geblieben und - anders als hier - ein Aussetzungsantrag noch nicht bei ihr eingegangen ist. Die erforderliche Vorlaufzeit ist so zu bemessen, dass der Verurteilte im Falle einer Bewilligung der Strafaussetzung nach vorheriger Durchführung der erforderlichen Maßnahmen zur Vorbereitung der Entlassung bei Eintritt der Aussetzungsreife entlassen werden könnte (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 5 StVollstrO); dabei ist auch ein möglicherweise durchzuführendes Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen (vgl. Senat aaO). […]
Die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Freiburg im Breisgau ist ungeachtet dessen, dass die Verlegung des Verurteilten in die Justizvollzugsanstalt Rottenburg bereits sieben Monate vor Erreichen des gemeinsamen Zwei-Drittel-Termins erfolgt ist, gegeben. Bereits am 10. Mai (richtig: 2022), 30. Mai 2022 und 13. Juni 2022 beantragte der Verurteilte die Aussetzung der Reststrafen zur Bewährung. Unter dem 7. Juni 2022 legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart die Akten der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Freiburg im Breisgau zur Entscheidung vor und beantragte, die Vollstreckung des Strafrestes aus dem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 28. März 2019 nicht zur Bewährung auszusetzen, weil der Verurteilte mehrfach vorbestraft sei, bewährungsbrüchig gehandelt habe, seine Entlassungsbedingungen ungeklärt seien, keine besonderen Umstände vorlägen und seine Abschiebung im Raum stehe. Deshalb ist damit zu rechnen, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen die Bewilligung einer Strafaussetzung sofortige Beschwerde einlegen wird. Unter dem 22. Juni 2022 legte auch die Staatsanwaltschaft Tübingen die Akten der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Freiburg im Breisgau zur Entscheidung vor, beantragte ebenfalls, die Vollstreckung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Tübingen vom 29. Juli 2020 nicht zur Bewährung auszusetzen, und begründete dies mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit sowie damit, dass ein aktueller Bericht der Justizvollzugsanstalt noch nicht vorliege. Deshalb ist damit zu rechnen, dass auch die Staatsanwaltschaft Tübingen gegen die Bewilligung einer Strafaussetzung sofortige Beschwerde einlegen wird.
Soweit der Verurteilte seine Anträge auf Veranlassung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Freiburg im Breisgau vom 4. August 2022 (richtig: Bl. 244) zurückgenommen hat, um sie sodann gegenüber der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen erneut anzubringen, ändert dies nichts an der Zuständigkeit. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Tübingen weist in ihrem Beschluss vom 19. Oktober 2022 zutreffend darauf hin, dass der Verurteilte mit der Rücknahme seine Antragsziele gerade nicht aufgegeben hat, sondern seine Anträge vielmehr bei dem zuständigen Gericht anbringen wollte und die örtliche Zuständigkeit entgegen dem Gesetz seiner Disposition unterworfen wäre, könnte sie auf diese Weise herbeigeführt werden.“
Rz. 6
Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an. Das Schreiben des Verurteilten vom 28. November 2022, mit dem er „alle“ seine Anträge zurückgenommen und zugleich auf den Zwei-Drittel-Termin hingewiesen hat, auf den er „bis dahin“ warten wolle, ändert nichts an seinem nach wie vor bestehendem Ziel, vorzeitig entlassen zu werden.
Franke |
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RiBGH Dr. Appl ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. |
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Grube |
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Schmidt |
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Fundstellen
Haufe-Index 15602838 |
NStZ 2023, 572 |
NStZ-RR 2023, 5 |