Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Entscheidung vom 15.07.2022; Aktenzeichen 4 T 140/22)

AG Wiesbaden (Entscheidung vom 23.03.2022; Aktenzeichen 46 XVII 873/21 P)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 15. Juli 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Eine Festsetzung des Beschwerdewerts (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die 74-jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer psychischen Erkrankung, wegen deren sie ihre Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann und nicht mehr zu einer freien Willensbildung in der Lage ist. Zuvor hatte sie ihrem Ehemann, dem Beteiligten zu 3, eine Vorsorgevollmacht erteilt, deren Wirksamkeit nicht zweifelhaft ist.

Rz. 2

Auf Anregung des Gesundheitsamts und nach Einholung eines Berichts der Betreuungsbehörde hat das Amtsgericht eine Kontrollbetreuung nach § 1896 Abs. 3 BGB in der bis 31. Dezember 2022 geltenden Fassung eingerichtet, da die erforderliche Pflege der Betroffenen nicht adäquat durch den Bevollmächtigten gewährleistet werde. Das Landgericht hat die Beschwerde des Beteiligten zu 3 zurückgewiesen; hiergegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 3

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Rz. 4

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass der angefochtene Beschluss verfahrensfehlerhaft ergangen ist, indem das Landgericht entschieden hat, ohne die Betroffene erneut anzuhören.

Rz. 5

a) Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch in einem Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Das Beschwerdegericht hat aber die Gründe, aus denen es von einer Anhörung ausnahmsweise absehen will, in den Entscheidungsgründen nachprüfbar darzulegen (Senatsbeschluss vom 11. April 2012 - XII ZB 504/11 - FamRZ 2012, 968 Rn. 6 mwN). Bereits an einer solchen Darlegung fehlt es.

Rz. 6

b) Die Darlegung war auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil aus den weiteren Entscheidungsgründen ersichtlich würde, dass das Beschwerdegericht in zulässiger Weise von einer erneuten persönlichen Anhörung der Betroffenen absehen konnte. Vielmehr kam ein Absehen von der erneuten Anhörung der Betroffenen schon deshalb nicht in Betracht, weil im Beschwerdeverfahren nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden kann, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In einem solchen Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (Senatsbeschluss vom 30. September 2020 - XII ZB 327/20 - FamRZ 2021, 144 Rn. 5 mwN).

Rz. 7

c) Vorliegend war die Anhörung durch das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft erfolgt, da es die Betroffene angehört hat, ohne dem Verfahrenspfleger Gelegenheit zu geben, an der Anhörung teilzunehmen.

Rz. 8

Die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einer Betreuungssache gemäß § 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG soll die Wahrung der Belange des Betroffenen in dem Verfahren gewährleisten. Er soll - wenn es im Hinblick auf die einzurichtende Betreuung erforderlich ist - nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und im Verfahren begleitet werden. Der Verfahrenspfleger ist daher vom Gericht im selben Umfang wie der Betroffene an den Verfahrenshandlungen zu beteiligen. Das Betreuungsgericht muss durch Benachrichtigung des Verfahrenspflegers vom Anhörungstermin sicherstellen, dass dieser an der Anhörung des Betroffenen teilnehmen kann. Außerdem steht dem Verfahrenspfleger ein eigenes Anhörungsrecht zu (Senatsbeschluss vom 6. Mai 2020 - XII ZB 504/19 - FamRZ 2020, 1219 Rn. 11 mwN).

Rz. 9

Im vorliegenden Verfahren hat das Amtsgericht die Verfahrenspflegerin ausweislich des Akteninhalts nicht von dem Anhörungstermin informiert. Erfolgt die Anhörung aber ohne die Möglichkeit einer Beteiligung des Verfahrenspflegers, ist sie verfahrensfehlerhaft und verletzt den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG (Senatsbeschluss vom 6. Mai 2020 - XII ZB 504/19 - FamRZ 2020, 1219 Rn. 11 mwN). In einem solchen Fall muss das Beschwerdegericht zwingend eine erneute Anhörung durchführen.

Rz. 10

2. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da die erforderliche Anhörung durch das Beschwerdegericht fehlt.

Günter     

Klinkhammer     

Nedden-Boeger

Botur     

Pernice     

 

Fundstellen

BtPrax 2023, 114

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