Leitsatz (amtlich)
Geht aus der persönlich verfassten Beschwerdeschrift des Betroffenen hervor, dass ihm das Sachverständigengutachten vorgelegen hat, ist den Anforderungen des § 37 Abs. 2 FamFG im Ergebnis Genüge getan, auch wenn den Gerichtsakten nicht eindeutig zu entnehmen ist, dass ihm das Gutachten bekanntgegeben worden ist.
Normenkette
FamFG § 37 Abs. 2; BGB § 1906 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Neubrandenburg (Entscheidung vom 22.11.2019; Aktenzeichen 2 T 194/19) |
AG Pasewalk (Entscheidung vom 17.09.2019; Aktenzeichen 409 XVII 57/19) |
Tenor
Der Antrag des Betroffenen auf Verfahrenskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Der 1965 geborene Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung seiner geschlossenen Unterbringung. Er leidet an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit schizophrenem Residuum.
Rz. 2
Das AG hat die Unterbringung des Betroffenen für insgesamt sechs Monate, bis längstens zum 17.3.2020, genehmigt. Das LG hat die vom Betroffenen eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich dieser mit seiner Rechtsbeschwerde, für die er Verfahrenskostenhilfe begehrt.
II.
Rz. 3
Die begehrte Verfahrenskostenhilfe ist zu versagen, weil die Rechtsbeschwerde des Betroffenen - auch im Hinblick auf eine noch mögliche Antragsumstellung nach § 62 FamFG - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Rz. 4
1. Die Entscheidung beruht nicht auf einem Verfahrensfehler.
Rz. 5
a) Zu Unrecht rügt die Rechtsbeschwerde, dem Betroffenen sei keine Möglichkeit gegeben worden, sich zum Inhalt des Sachverständigengutachtens zu äußern.
Rz. 6
aa) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gem. § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 275 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (BGH, Beschl. v. 26.9.2018 - XII ZB 395/18 FamRZ 2019, 139 Rz. 7 m.w.N.). Wird das Gutachten dem Betroffenen nicht ausgehändigt, verletzt das Verfahren ihn grundsätzlich in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 Satz 1 GG (BGH, Beschl. v. 12.2.2020 - XII ZB 179/19 - juris Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 7
bb) Die Amtsrichterin hat lediglich verfügt, das Gutachten an die Einrichtung mit der Bitte zu übersenden, es mit dem Betroffenen zu erörtern. Das genügt nach den vorstehenden Anforderungen grundsätzlich nicht, um eine hinreichende Bekanntgabe an den Betroffenen sicherzustellen.
Rz. 8
Allerdings hat dem Betroffenen jedenfalls bei Abfassung der Begründung seiner Beschwerde das Gutachten ersichtlich vorgelegen. Anders ließe sich nicht erklären, dass er sich darin im Einzelnen gegen das nervenärztliche Gutachten vom 5.9.2019 wendet. Der Betroffene zitiert aus dem Sachverständigengutachten und benennt dabei jeweils die konkreten Fundstellen wie z.B. "Seite 1, Absatz 3" oder "Seite 4, Absatz 3". Damit ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde feststellbar, dass dem Betroffenen das Gutachten mit seinem vollständigen Inhalt zur Verfügung stand. Eine Verletzung rechtlichen Gehörs scheidet daher insoweit aus.
Rz. 9
b) Ebenso geht die Rüge fehl, dass das Sachverständigengutachten auf ein Vorgutachten Bezug nehme, das dem Betroffenen nicht bekannt gegeben worden sei.
Rz. 10
Zwar ist es zutreffend, dass der Gutachter im Eingang seines aktuell erstellten Gutachtens darauf hinweist, dass er sein Vorgutachten als bekannt voraussetze. Es kann indes dahingestellt bleiben, ob dem Betroffenen das Vorgutachten bekannt gegeben worden ist. Denn wie sich aus dem Gutachten vom 5.9.2019 ergibt, beruht dieses nicht auf den Feststellungen des Vorgutachtens, sondern auf eigenen, aktuellen Untersuchungen und Schlussfolgerungen.
Rz. 11
2. Im Ergebnis genügt die angefochtene Entscheidung auch den materiell-rechtlichen Anforderungen des § 1906 Abs. 1 BGB.
Rz. 12
a) Das LG hat seine Entscheidung in der Sache wie folgt begründet: Die Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB lägen vor. Die Unterbringung sei zum Wohl des Betroffenen erforderlich, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung des Betroffenen die Gefahr bestehe, dass er sich selbst erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Ausweislich des Sachverständigengutachtens vom 5.9.2019 leide der Betroffene an einer psychischen Krankheit mit konsekutiver seelischer Behinderung, und zwar an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit schizophrenem Residuum. Der Betroffene lebe mit seiner Erkrankung unbehandelt seit dem Jahr 2003. Er sei bereits längere Zeit ununterbrochen geschlossen untergebracht. In dieser Zeit habe sich der Zustand des Betroffenen insoweit verbessert, als er ruhiger, zugänglicher und kommunikativer geworden sei. Auch das wahnhafte Erleben sei etwas in den Hintergrund gerückt und das schizophrene Residuum sei rückläufig. Der Betroffene sei aber weiterhin überzeugt, von fremden Mächten von außen kontrolliert und manipuliert zu werden, die an ihn über Stimmen, die er höre, heranträten. Er empfinde die Stimmen als sehr beeinträchtigend und wolle diese gern loswerden. Er glaube aber nicht, dass dies mithilfe von Medikamenten möglich sei, weil die Stimmen von außen kämen. Entsprechend sei er auch von einem möglichen Erfolg einer auf die Eliminierung der Stimmen gerichteten Behandlung nicht überzeugt.
Rz. 13
Für den Fall, dass der Betroffene keine Medikamente mehr einnähme, käme es unweigerlich zu einer erneuten Verschlechterung der Symptomatik mit allen damit verbundenen Folgen. Der im Laufe der letzten 14 Monate erreichte anteilige Behandlungserfolg wäre rasch zunichtegemacht und es würde sich eine schwere seelische Behinderung im Sinne eines erheblichen gesundheitlichen Schadens entwickeln, die keiner Behandlung mehr zugänglich wäre. Damit würde der Betroffene dauerhaft invalidisiert. Diese Gefahr könne derzeit nur durch eine Unterbringung abgewendet werden, um den Betroffenen bei der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten zu unterstützen und diese sicherzustellen. Aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht bestehe die konkrete Gefahr, dass der Betroffene außerhalb einer beschützenden Einrichtung die Medikamente nicht mehr einnehme. Der Betroffene könne krankheitsbedingt die Notwendigkeit einer adäquaten Behandlung im Rahmen einer Unterbringung nicht erkennen und nicht nach zutreffend gewonnenen Einsichten handeln.
Rz. 14
b) Es kann dahinstehen, ob damit die Anforderungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfüllt sind. Jedenfalls rechtfertigen die vom LG getroffenen Feststellungen die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB.
Rz. 15
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB zwar keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten voraus. Notwendig ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib und Leben des Betreuten. Dies setzt kein zielgerichtetes Verhalten des Betreuten voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist. Erforderlich sind aber objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens. Der Grad der Gefahr ist dabei in Relation zum möglichen Schaden ohne Vornahme der freiheitsentziehenden Maßnahme zu bemessen. Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Suizidgefahr oder einer Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden ist Sache des Tatrichters. Sie baut im Wesentlichen auf der Anhörung des Betroffenen und der weiteren Beteiligten sowie auf dem nach § 321 FamFG einzuholenden Sachverständigengutachten auf (BGH, Beschl. v. 9.1.2019 - XII ZB 280/18 FamRZ 2019, 552 Rz. 12 f. m.w.N.).
Rz. 16
Die Begründung der angefochtenen Entscheidung hat im Wesentlichen die Prognose zum Gegenstand, der Betroffene werde seine Medikamente nicht weiter nehmen und die eingetretene Besserung seiner Erkrankung werde deshalb keinen Bestand haben.
Rz. 17
bb) Im Hinblick darauf sind jedenfalls die Voraussetzungen einer Genehmigung der Unterbringung zum Zwecke der Heilbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB erfüllt.
Rz. 18
Nach dieser Vorschrift ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer zulässig, wenn eine Heilbehandlung notwendig ist, die ohne die Unterbringung nicht durchgeführt werden kann, und der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Da eine Unterbringung nach dieser Vorschrift gerade nicht an die engeren Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Suizidgefahr, erhebliche Gesundheitsbeschädigung) gebunden ist, kommt - wie der Senat dargelegt hat - dem Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Anwendung dieser Regelung als notwendigem Korrektiv für Eingriffe in das Freiheitsrecht besondere Bedeutung zu. Für eine die Unterbringung rechtfertigende Heilbehandlung muss deshalb im Einzelfall eine medizinische Indikation bestehen und der mögliche therapeutische Nutzen der Behandlung gegen die Gesundheitsschäden abgewogen werden, die ohne die Behandlung entstehen würden (BGH, Beschl. v. 23.6.2010 - XII ZB 118/10 FamRZ 2010, 1432 Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 19
Auch wenn das LG seine Entscheidung nicht auf § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützt hat, genügen die von ihm getroffenen Feststellungen diesen Anforderungen. Das LG hat festgestellt, dass sich ohne eine geschlossene Unterbringung eine schwere seelische Behinderung im Sinne eines erheblichen gesundheitlichen Schadens entwickeln würde, die keiner Behandlung mehr zugänglich wäre. Damit würde der Betroffene dauerhaft invalidisiert. Das LG hat auch festgestellt, dass weniger einschneidende Maßnahmen nicht erfolgversprechend wären. Bei der Dauer der Maßnahme von sechs Monaten hat sich das LG an der Empfehlung des Sachverständigen orientiert.
Rz. 20
Nach diesen Feststellungen des LG ist auch nicht von vornherein auszuschließen, dass sich der Betroffene in der Unterbringung behandeln lassen wird, so dass sein natürlicher Wille nicht bereits der medizinisch notwendigen Behandlung entgegensteht. Davon kann solange ausgegangen werden, wie sich die Weigerung des Betroffenen, sich behandeln zu lassen, nicht manifestiert hat (vgl. BGH, Beschl. v. 17.1.2018 - XII ZB 398/17 FamRZ 2018, 525 Rz. 21 m.w.N.). Das LG hat festgestellt, dass die Unterbringung den Betroffenen bei der regelmäßigen Einnahme von Medikamenten unterstützen und diese sicherstellen werde. Dies steht im Einklang mit dem Sachverständigengutachten vom 5.9.2019. Denn darin ist ausgeführt, dass der Betroffene während der Unterbringung seine Medikamente regelmäßig, wenn auch ohne Einsicht, eingenommen habe. Außerhalb der geschlossenen Unterbringung würde der Betroffene bei fehlender Krankheitseinsicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Medikamente mehr einnehmen, wodurch es unweigerlich zu einer erneuten Verschlechterung der Symptomatik mit allen damit verbundenen Folgen käme.
Fundstellen