Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird, soweit er verurteilt worden ist, das Urteil des Landgerichts Münster – Strafkammer bei dem Amtsgericht Bocholt – vom 28. November 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im übrigen – wegen Vergewaltigung in Tatmehrheit mit sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Nach den Feststellungen holte der – damals 71-jährige – Angeklagte im Februar 1997 Martina B. und Angelika Be. mit seinem Wohnmobil von dem Wohnheim für geistig Behinderte, in dem beide lebten, ab und fuhr mit ihnen zu einem einsam an einem See gelegenen Parkplatz. Nachdem Angelika Be. auf Verlangen des Angeklagten das Wohnmobil verlassen hatte, forderte er Martina B. „in energischem Ton” auf, Hose und Schlüpfer auszuziehen. Sie wollte dies zwar nicht, „traute sich jedoch aus Angst vor Schlägen des Angeklagten” nicht, ihm Widerstand entgegenzusetzen. Außerdem war sie „ohnehin aufgrund ihrer geistigen Behinderung, insbesondere angesichts der für sie aussichtslosen Situation auf dem abgelegenen Parkplatz und in dem Wohnmobil unfähig zu einem Widerstand gegenüber dem Angeklagten”. Sie kam daher dem Verlangen des Angeklagten nach. Anschließend führte der Angeklagte mit Martina B., die mehrfach laut um Hilfe rief, den Oral- und den Geschlechtsverkehr durch. Unmittelbar danach schickte der Angeklagte die weinende Martina B. aus dem Wohnmobil und forderte nunmehr Angelika Be. auf, in das Wohnmobil zu kommen. Obwohl diese zuvor die Hilfeschreie Martinas gehört hatte und deswegen sehr verängstigt war, folgte sie der Aufforderung, „da sie aufgrund der auch bei ihr bestehenden geistigen Behinderung und angesichts der konkreten Situation auf dem abgelegenen und einsamen Parkplatz und der dominanten Art des Angeklagten sich psychisch nicht zu einem Widerstand in der Lage sah”. Im Innenraum des Wohnmobils verlangte der Angeklagte von Angelika Be., daß sie sich Hose und Schlüpfer ausziehe und drohte – als sie dem nicht sofort Folge leistete – „ihr ansonsten eine zu knallen”. Daraufhin folgte sie der Aufforderung des Angeklagten, der im weiteren an ihr sexuelle Handlungen vornahm.
2. Diese Feststellungen tragen nicht die Verurteilung wegen Vergewaltigung bzw. sexueller Nötigung gemäß §§ 177, 178 StGB (a.F.):
In Bezug auf das Tatgeschehen zum Nachteil von Martina B. ist bereits eine – hier allein als Nötigungsmittel in Betracht kommende – Drohung des Angeklagten nicht belegt. Soweit es in den Urteilsgründen heißt, daß die Geschädigte „aus Angst vor Schlägen” keinen Widerstand leistete, könnten zwar auch vorausgegangene Mißhandlungen oder Drohungen eine fortwirkende Rolle spielen und aus einer Gesamtschau heraus die Annahme einer Drohung im Sinne des § 177 StGB bzw. des § 178 StGB (a.F.) rechtfertigen (vgl. BGH NStZ 1999, 505). Hierfür geben die bisherigen Feststellungen jedoch keinen hinreichenden Anhalt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß etwa der Angeklagte die Geschädigte bereits bei einer der früheren gemeinsamen Fahrten bedroht oder körperlich mißhandelt hat.
Auch die zu dem weiteren Tatgeschehen zum Nachteil von Angelika Be. getroffenen Feststellungen tragen nicht die Annahme einer Drohung im Sinne der §§ 177, 178 StGB (a.F.). Der Tatbestand der genannten Vorschriften setzt eine (qualifizierte) Drohung mit einer Gefahr für Leib oder Leben des Opfers voraus. Hierfür genügt deshalb nicht jede Drohung mit einer Körperverletzung, vielmehr erfordert das Merkmal der Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben eine gewisse Schwere des in Aussicht gestellten Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8 m.w.N.). Die bloße Androhung von Schlägen – hier: dem Opfer „eine zu knallen” – reicht daher nicht. Daß der Angeklagte der Geschädigten mit dieser Androhung besonders intensive Mißhandlungen in Aussicht gestellt haben könnte, kann dem Urteil nicht entnommen werden.
3. Die bisherigen Feststellungen ermöglichen dem Senat auch nicht die Überprüfung, ob der Angeklagte sich – statt wegen der ausgeurteilten Straftaten – wegen sexuellen Mißbrauchs Widerstandsunfähiger (§ 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F.) strafbar gemacht hat.
Der Tatbestand des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F., der gegenüber der seit dem 1. April 1998 geltenden Neufassung das mildere Gesetz darstellt (§ 2 Abs. 3 StGB), setzt voraus, daß das Opfer aufgrund einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit – unter Umständen auch im Zusammenwirken mit einer besonderen Tatsituation – keinen zur Abwehr ausreichenden Widerstandswillen bilden, äußern oder durchsetzen kann (BGHSt 36, 145, 147). Ob dies hier der Fall war, vermag der Senat indes mangels hinreichender Darlegungen in den Urteilsgründen nicht zu beurteilen (zur Darlegungspflicht vgl. BGHR StGB § 179 Abs. 1 Widerstandsunfähigkeit 5). Das Urteil teilt nämlich zur geistig-seelischen Verfassung der beiden Geschädigten im wesentlichen nur mit, daß Martina B. mit einem Intelligenzquotienten zwischen 50 und 70 „mittelgradig geistig behindert” (UA 3) und Angelika Be. bei einem solchen zwischen 70 und 75 „leicht geistig behindert” (UA 5) war. Zudem bleibt nach den Urteilsfeststellungen letztlich unklar, ob die Geschädigten aufgrund ihres geistig-seelischen Zustandes zu einer Abwehr nicht in der Lage waren, oder ob sie aus Angst vor Drohungen des Angeklagten (ihnen mögliche) Abwehrmaßnahmen unterlassen haben (zur Abgrenzung vgl. BGH NStZ 1981, 139, 140 sowie Laufhütte in LK 11. Aufl. § 179 Rdnr. 10).
Die Sache bedarf daher weiterer tatrichterlicher Aufklärung. Sollte die neu verhandelnde Strafkammer weder zur Annahme einer Strafbarkeit nach den §§ 177, 178 StGB noch nach § 179 StGB (jeweils a.F.) gelangen, so wird sie eine solche wegen Nötigung (§ 240 StGB) und – bei rechtzeitiger Stellung eines Strafantrags – wegen (tätlicher) Beleidigung (§ 185 StGB) in Betracht zu ziehen haben (vgl. BGH NStZ 1981, 139, 140; NJW 1983, 636, 637).
Unterschriften
Meyer-Goßner, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 613462 |
StV 2001, 679 |