Entscheidungsstichwort (Thema)
Säumnis der Berufungsbegründungsfrist vor Entscheidung des Gerichts über Prozesskostenhilfeantrag
Leitsatz (amtlich)
Die Berufungsbegründungsfrist ist nicht schuldhaft versäumt, wenn der Berufungskläger innerhalb der Berufungsbegründungsfrist zwar die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt, aber weder einen Antrag auf (erstmalige) Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt noch seinen Prozesskostenhilfeantrag begründet hat und das Gericht über die Prozesskostenhilfe erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist entscheidet (Bestätigung von BGH, Beschl. v. 22.6.2005 - XII ZB 34/04, BGHReport 2005, 1343 = MDR 2005, 1430 = BGHReport 2005, 1586 = NJW-RR 2005, 1586).
Normenkette
ZPO §§ 233, 520 Abs. 2
Verfahrensgang
LG Görlitz (Beschluss vom 15.12.2005; Aktenzeichen 2 S 78/05) |
AG Görlitz (Urteil vom 08.06.2005; Aktenzeichen 1 C 766/04) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des LG Görlitz - 2. Zivilkammer - vom 15.12.2005 aufgehoben.
Dem Beklagten wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Teilurteil des AG Görlitz vom 24.5.2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Beschwerdewert: 3.366,96 EUR
Gründe
I.
[1] Der Beklagte ist durch Teilurteil des AG Görlitz vom 24.5.2005 zur Räumung und Herausgabe einer Wohnung verurteilt worden, die er vom Kläger gemietet hatte. Gegen das ihm am 8.6.2005 zugestellte Urteil hat er mit Telefax seiner zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 8.7.2005 Berufung eingelegt. Am 11.7.2005 hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Berufungsinstanz beantragt und dazu ausgeführt, die Berufung sei nicht mutwillig, insoweit werde auf die in Kürze nachzureichende Berufungsbegründungsschrift verwiesen. Am 9.8.2005 hat er die Berufung im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens begründet.
[2] Durch Beschluss vom 21.11.2005, dem Beklagten zugestellt am 29.11.2005, hat das Berufungsgericht den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht der Berufung zurückgewiesen mit der Begründung, der Beklagte habe die Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO versäumt, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht. Am 13.12.2005 hat der Beklagte durch Schriftsatz seiner zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung beantragt und gleichzeitig die Berufungsbegründung eingereicht. Das LG hat durch Beschluss vom 15.12.2005 die Berufung des Beklagten unter Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verworfen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
[3] Die gem. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässige Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) hat Erfolg.
[4] 1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten sei zulässig, aber unbegründet. Die Berufung sei aufgrund der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unzulässig und daher gem. §§ 520 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verwerfen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist komme nicht in Betracht, da der Beklagte nicht i.S.d. § 233 ZPO ohne sein Verschulden verhindert gewesen sei, die Frist einzuhalten.
[5] Er müsse sich gem. § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen, welches darin bestehe, dass dieser nicht innerhalb der laufenden Berufungsbegründungsfrist gem. § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO deren erstmalige Verlängerung beantragt habe. Der Entscheidung des BGH vom 22.6.2005 (XII ZB 34/04, BGHReport 2005, 1343 = MDR 2005, 1430 = BGHReport 2005, 1586), nach der der Rechtsmittelführer - anders als nach der ständigen Rechtsprechung vor der ZPO-Reform - von einer erstmaligen Stellung eines Verlängerungsantrages absehen könne, folge die Kammer nicht. Eine entscheidungserhebliche Rechtsänderung sei insoweit durch die ZPO-Reform nicht eingetreten; es habe auch schon zuvor nicht in der Hand des Rechtsmittelführers gelegen, ob innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist über sein Prozesskostenhilfegesuch entschieden werde oder nicht.
[6] Unabhängig davon wäre der Beklagte auch gehalten gewesen, innerhalb der laufenden Berufungsbegründungsfrist zumindest sein Prozesskostenhilfegesuch begründen zu lassen. Nach der Reform des Berufungsrechts sei das Berufungsgericht nicht mehr gehalten, von Amts wegen das angefochtene Urteil auf sämtliche in Betracht kommenden Fehler zu überprüfen. Jedenfalls wenn der Prozessbevollmächtigte des Prozesskostenhilfeantragstellers - wie hier - von Anfang an ohne Rücksicht auf die Gewährung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung der Berufung, mindestens jedoch mit derjenigen des Prozesskostenhilfeantrages mandatiert sei, könne von ihm auch verlangt werden, die Begründung des Prozesskostenhilfegesuchs innerhalb laufender - ggf. zu verlängernder - Berufungsbegründungsfrist einzureichen.
[7] 2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung zu Unrecht zurückgewiesen und deshalb dessen Berufung rechtsfehlerhaft verworfen (§ 522 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZPO). Gemäß § 233 ZPO setzt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand voraus, dass der Beklagte ohne ein eigenes Verschulden oder ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das er sich zurechnen lassen muss (§ 85 Abs. 2 ZPO), verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Das ist hier der Fall.
[8] a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist eine Partei, die die Rechtsmittelfrist versäumt, aber spätestens am letzten Tag dieser Frist einen den gesetzlichen Erfordernissen entsprechenden Antrag auf Prozesskostenhilfe (§ 117 ZPO) gestellt hat, bis zur Entscheidung über den Antrag als ohne ihr Verschulden an der Einlegung des Rechtsmittels verhindert anzusehen, wenn sie nicht nach den gegebenen Umständen vernünftigerweise mit der Ablehnung ihres Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit rechnen muss. Ihr ist deshalb nach der Entscheidung über ihren Antrag auf Prozesskostenhilfe regelmäßig wegen der Versäumung der Frist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Senatsbeschluss v. 7.6.2006 - VIII ZB 96/05, BGHReport 2006, 1438 = FamRZ 2006, 1269, unter II 2a m.w.N.). Nichts anderes gilt, wenn der Rechtsmittelführer trotz seiner Mittellosigkeit einen Rechtsanwalt findet, der zwar bereit ist, schon vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe das Rechtsmittel - formularmäßig - einzulegen, nicht aber, auch eine Berufungsbegründung zu fertigen (BGH, Beschl. v. 3.12.2003 - VIII ZB 80/03, BGHReport 2004, 623 = MDR 2004, 588 = NJW-RR 2004, 1218, unter II 2b; Beschl. v. 24.6.1999 - V ZB 19/99, MDR 1999, 1285 = NJW 1999, 3271, unter II 3b aa). Dass der Beklagte, dem in erster und dritter Instanz Prozesskostenhilfe gewährt worden ist, von einer Ablehnung seines Antrags wegen fehlender Bedürftigkeit ausgehen musste, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt und ist auch nicht ersichtlich.
[9] b) Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch den Beklagten beruht nicht auf einem Verschulden seiner zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten, das sich der Beklagte gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsste.
[10] aa) Entgegen der Auffassung des LG war der Beklagte nicht gehalten, während des Laufs des Prozesskostenhilfeverfahrens einen Antrag auf (erstmalige) Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu stellen. In der Rechtsprechung des BGH (Beschluss vom 22.6.2005 - XII ZB 34/04, BGHReport 2005, 1343 = MDR 2005, 1430 = BGHReport 2005, 1586 = NJW-RR 2005, 1586) ist anerkannt, dass mit Rücksicht auf die seit dem 1.1.2002 geltenden Neuregelungen in § 520 Abs. 2 Satz 2 und 3 ZPO, die die Möglichkeit einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ggü. der früheren Rechtslage deutlich einschränken, von einem mittellosen Rechtsmittelführer, der rechtzeitig Prozesskostenhilfe beantragt hat, die Stellung von Anträgen auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr verlangt werden kann und dass folglich das Unterlassen solcher Verlängerungsanträge kein Verschulden darstellt, das einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist entgegenstehen könnte. Die dagegen vom Berufungsgericht angeführten Argumente vermögen nicht zu überzeugen.
[11] Nach den genannten Vorschriften kann der Rechtsmittelführer ohne Einwilligung des Gegners allenfalls eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat erreichen. Damit kann die Notwendigkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - anders als dies mit Hilfe von (wiederholten) Anträgen auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf der Grundlage von § 519 Abs. 2 Satz 3 ZPO in der bis zum 31.12.2001 geltenden Fassung möglich war - in den Fällen ohnehin nicht vermieden werden, in denen eine Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag auch innerhalb der um einen Monat verlängerten Frist noch nicht ergangen ist. Da dies von Anfang an jedenfalls ungewiss ist, ist es dem Rechtsmittelführer nicht zuzumuten, überhaupt eine Fristverlängerung zu beantragen (Beschluss vom 22.6.2005, a.a.O., unter II 2b bb).
[12] bb) Die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nach Ablehnung eines Prozesskostenhilfegesuchs für die zweite Instanz kann auch nicht deshalb versagt werden, weil das Prozesskostenhilfegesuch nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet worden ist. Eine sachliche Begründung eines Prozesskostenhilfegesuchs in Bezug auf das beabsichtigte Rechtsmittel ist zwar zweckmäßig und erwünscht, von Gesetzes wegen jedoch nicht geboten, weil ein Zwang hierzu mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der Chancengleichheit von bemittelten und mittellosen Parteien nicht zu vereinbaren wäre (BGH, Beschl. v. 11.11.1992 - XII ZB 118/92, NJW 1993, 732, unter II 2). Daran hat sich durch die zum 1.1.2002 in Kraft getretene Änderung des Berufungsrechts nichts geändert (Senatsbeschluss vom 7.6.2006, a.a.O.). Es kann der mittellosen Partei daher auch nicht zum Nachteil gereichen, wenn eine Begründung erst nach Ablauf der Frist zur Begründung des Rechtsmittels, für das sie Prozesskostenhilfe begehrt, eingereicht wird.
III.
[13] Der die Berufung des Beklagten verwerfende Beschluss des LG ist nach alledem aufzuheben (§ 577 Abs. 4 ZPO). Der Senat kann dem Beklagten selbst Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gewähren, weil dieser Antrag zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 ZPO). Dem Beklagten ist Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelbegründungsfrist zu gewähren. Sein am 13.12.2005 eingegangener Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Monatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO zur Begründung der Berufung ist fristgerecht (§ 234 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 ZPO) nach der Zurückweisung seines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Beschluss vom 21.11.2005 gestellt worden und genügte den Formvorschriften des § 236 ZPO. Insbesondere hat er die Berufungsbegründung gleichzeitig nachgeholt.
Fundstellen
Haufe-Index 1765431 |
BB 2007, 1414 |
BGHR 2007, 889 |
EBE/BGH 2007, 213 |
FamRZ 2007, 1319 |
ZAP 2007, 772 |
AnwBl 2007, 625 |
MDR 2007, 1151 |
NJ 2007, 412 |
ZFE 2007, 322 |