Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeitsstreit zwischen zwei Abteilungen eines Gerichtes in der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG). Nachlaß des am 30. November 1987 verstorbenen Otto Albert L.
Leitsatz (amtlich)
- Bei der Entscheidung eines nicht die örtliche Zuständigkeit betreffenden negativen Kompetenzkonflikts zweier Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist § 36 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar.
- Gehört zum Nachlaß ein im Geltungsbereich der Höfeordnung gelegener Hof, so ist auch für die Erteilung eines Erbscheins über das hoffreie Vermögen nicht das Nachlaßgericht, sondern das Landwirtschaftsgericht zuständig.
Normenkette
ZPO § 36 Nr. 6; FGG § 5; HöfeO § 18 Abs. 2; ZPO § 37; FGG § 19 Abs. 2, § 28 Abs. 1
Tenor
Das Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - Grevenbroich wird als das zuständige Gericht bestimmt.
Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; die Erstattung der sonstigen Kosten richtet sich nach der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist die Tochter des Erblassers, der u.a. einen im Bezirk des Amtsgerichts Grevenbroich gelegenen Hof hinterlassen hat. In einem privatschriftlichen Testament hat der Erblasser die Antragstellerin als Hoferbin sowie hinsichtlich des sonstigen Vermögens zusammen mit ihren beiden Schwestern als Erbin zu gleichen Teilen eingesetzt. Sie hat zunächst beim Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - Grevenbroich die Erteilung eines Hoffolgezeugnisses und eines gemeinschaftlichen Erbscheins beantragt. Nachdem das Gericht mitgeteilt hatte, daß es sich für die Erteilung des Erbscheins hinsichtlich des hoffreien Vermögens nicht für zuständig halte, nahm sie den Antrag auf Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins zurück und stellte am selben Tag einen entsprechenden Antrag beim Amtsgericht - Nachlaßgericht - Grevenbroich. Das Nachlaßgericht erklärte sich - nachdem es das Landwirtschaftsgericht ohne Erfolg um Überprüfung seiner Auffassung zur Zuständigkeit gebeten hatte - durch Beschluß vom 21. März 1988 für unzuständig und legte die Akten gemäß § 5 FGG dem Oberlandesgericht Düsseldorf zur Bestimmung der zuständigen Abteilung vor. Das Oberlandesgericht reichte die Akten zurück mit dem Hinweis, das gemeinschaftliche obere Gericht für die beiden Abteilungen des Amtsgerichts sei das Landgericht Mönchengladbach; im übrigen betreffe § 5 FGG nur Konflikte über die örtliche Zuständigkeit, während Streitigkeiten über die sachliche oder funktionelle Zuständigkeit im Beschwerdeweg auszutragen seien. Daraufhin legte das Nachlaßgericht die Akten in Abänderung seines Beschlusses vom 21. März 1988 entsprechend § 36 Nr. 6 ZPO dem Oberlandesgericht Köln als Rechtsmittelgericht in Landwirtschaftssachen zur Bestimmung der zuständigen Abteilung vor. Auch dieses Gericht reichte die Akten jedoch mit der Bitte um Überprüfung der Vorlage zurück; das Oberlandesgericht Köln sei nur in Landwirtschaftssachen, nicht dagegen in Nachlaßsachen aus dem Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf zuständig. Das Nachlaßgericht legte nunmehr die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung der zuständigen Abteilung, hilfsweise zur Abgabe an das für die Bestimmung zuständige Gericht vor.
II.
Als zuständiges Gericht für die Erteilung des Erbscheins über das hoffreie Vermögen des Erblassers war das Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - Grevenbroich zu bestimmen.
1.
Diese Entscheidung hatte in vorliegender Sache in entsprechender Anwendung des § 36 Nr. 6 ZPO der Bundesgerichtshof zu treffen, nicht das nach § 5 FGG zuständige Oberlandesgericht. Zwar wird sowohl der Erbschein als auch das Hoffolgezeugnis im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit erteilt. § 5 FGG betrifft jedoch nach einhelliger Auffassung entsprechend seinem Wortlaut nur die Fälle des Streits oder der Ungewißheit über die örtliche Zuständigkeit (BGHZ 78, 108, 110; BGH, Beschl. v. 13. Oktober 1983 - 1 ARZ 408/83, NJW 1984, 740; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG Teil A, 12. Aufl., § 5 Rdn. 6). Für Streitigkeiten über die Zuständigkeit im übrigen hat der Bundesgerichtshof im Falle eines Konflikts zwischen einem Familiengericht und einem Gericht der (allgemeinen) freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie im Falle eines Zuständigkeitsstreits zwischen einem für Wohnungseigentumssachen zuständigen Gericht und einem Gericht der streitigen Gerichtsbarkeit § 36 Nr. 6 ZPO entsprechend angewandt (BGHZ 78, 108; BGH, Beschl. v. 13. Oktober 1983, aaO). Nichts anderes hat für einen - nicht die örtliche Zuständigkeit betreffenden - Konflikt zwischen zwei Gerichten der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder - was in diesem Zusammenhang auf das gleiche hinausläuft (vgl. BGHZ 71, 264, 271) - zwischen zwei im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätigen Abteilungen desselben Gerichts zu gelten. Das Verfahren nach § 36 Nr. 6, § 37 ZPO bietet eine einfache, praktikable und kostengünstige Möglichkeit, den Streit über die Zuständigkeit im Interesse der Parteien und im Interesse der Rechtssicherheit rasch zu beenden, damit sich das zuständige Gericht möglichst bald mit der Sache selbst befaßt; auch wenn diese Bestimmungen unmittelbar nur für die der Zivilprozeßordnung unterliegenden Verfahren gelten, lassen sie sich doch ohne Schwierigkeiten auf Kompetenzkonflikte in der freiwilligen Gerichtsbarkeit übertragen, für die das FGG keine Regelung enthält. Eine Notwendigkeit, die Parteien bei Zuständigkeitskonflikten statt dessen auf den Rechtsmittelweg zu verweisen, wie es im Schrifttum im allgemeinen für erforderlich gehalten wird (vgl. z.B. Keidel/Kuntze/Winkler, aaO; ferner - referierend - BGHZ 78, 108, 110, 111), besteht unter diesen Umständen nicht. Eine Klärung im Rechtsmittelweg ist für die Parteien mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand verbunden; sie setzt im übrigen voraus, daß gegen die die Zuständigkeit verneinenden Entscheidungen überhaupt ein Rechtsmittel statthaft ist (vgl. BGH, Beschl. v. 5. Februar 1987 - I ARZ 737/86, NJW-RR 1987, 1058, einen Konflikt zwischen dem Bayerischen Obersten Landesgericht und einem Oberlandesgericht betreffend; vgl. auch BGHZ 78, 108, 111) und daß gerade diejenige Entscheidung angefochten wird, die sich aus der Sicht des Rechtsmittelgerichts als unzutreffend erweist, so daß nicht selten gegen beide Entscheidungen ein Rechtsmittel eingelegt werden müßte; schließlich ist nicht auszuschließen, daß in Fällen, in denen verschiedene Gerichte oder Spruchkörper in letzter Instanz entscheiden, beide zuständigkeitsleugnenden Entscheidungen bestätigt werden. Die entsprechende Anwendung des § 36 Nr. 6 ZPO bietet demgegenüber eine sinnvolle interessengerechte Lösung, der auch aus dem Verfahrensrecht der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine gesetzlichen Hindernisse entgegenstehen.
2.
Nach § 36 Nr. 6 ZPO, der danach entsprechend anzuwenden ist, hat der Bundesgerichtshof als gemeinsames nächsthöheres Gericht für die Gerichtsstandsbestimmung das zuständige Gericht zu bestimmen. Denn maßgeblich insoweit ist grundsätzlich nicht der allgemeine Gerichtsaufbau, sondern die Rechtsmittelzuständigkeit in der konkreten Verfahrensart (vgl. BGH, Beschl. v. 27. Juni 1979 - IV ARZ 31/79, NJW 1979, 2249). Diese begründet hier die Bestimmungszuständigkeit des Bundesgerichtshofs. Denn der Rechtsmittelzug führt im vorliegenden Fall in Nachlaßsachen über das Landgericht zum Oberlandesgericht (§ 19 Abs. 2, § 28 Abs. 1 FGG), hier zum Oberlandesgericht Düsseldorf, in Landwirtschaftssachen dagegen unmittelbar zum Oberlandesgericht, und zwar hier zum Oberlandesgericht Köln (§ 8 S. 2 LwVG i.V.m. § 2 der VO v. 25. August 1977, GV NW S. 342, zuletzt geändert durch VO vom 16. Oktober 1984, GV NW S. 655).
3.
Die Voraussetzungen für eine entsprechende Anwendung des § 36 Nr. 6 ZPO liegen auch im übrigen vor. Zwar haben sich die beiden Abteilungen nicht in rechtskräftigen Beschlüssen für unzuständig erklärt; im Interesse einer raschen Klärung negativer Kompetenzkonflikte läßt die Rechtsprechung jedoch im Rahmen der analogen Anwendung des § 36 Nr. 6 ZPO die tatsächliche beiderseitige Kompetenzleugnung ausreichen (BGHZ 71, 264, 271 f; BGH, Beschl. v. 2. Dezember 1982 - I ARZ 586/82, NJW 1983, 1062; vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 15. Aufl., § 36 Rdn. 25); dies muß vorliegend schon deshalb gelten, weil auch ein ablehnender Beschluß in Ermangelung eines befristeten Rechtsmittels nicht der formellen Rechtskraft zugänglich wäre.
4.
Zuständig für die Erteilung des Erbscheins über das hoffreie Vermögen ist das Amtsgericht - Landwirtschaftsgericht - Grevenbroich.
Zu dem Nachlaß, für den die Antragstellerin die Erteilung eines Erbscheins begehrt, gehört ein im Geltungsbereich der Höfeordnung gelegener Hof. Für die Erteilung des zunächst von der Antragstellerin beantragten Erbscheins über den gesamten Nachlaß, also auch über das hoffreie Vermögen, wäre daher nach § 18 Abs. 2 HöfeO in jedem Fall das Landwirtschaftsgericht ausschließlich zuständig gewesen; denn indem das Gesetz die Möglichkeit der Beschränkung des Erbscheins auf die Hoferbfolge vorsieht (§ 18 Abs. 2 Satz 3 HöfeO), geht es als Regelfall von der Erteilung eines umfassenden Erbscheins durch das Landwirtschaftsgericht aus.
Das Landwirtschaftsgericht ist aber auch für die Erteilung eines allein auf das hoffreie Vermögen beschränkten Erbscheins zuständig, wie ihn die Antragstellerin zuletzt beantragt hat. Daß eine solche Beschränkung des Erbscheins möglich ist, ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem Gesetz; doch zwingt die in § 18 Abs. 2 Satz 3 HöfeO vorgesehene Möglichkeit der Beschränkung des Erbscheins auf die Hoferbfolge dazu, auch die Erteilung eines auf den hoffreien Nachlaß beschränkten Erbscheins zuzulassen, zumal hierfür auch ein dringendes praktisches Bedürfnis spricht (vgl. z.B. OLG Hamm JMBl NRW 1953, 42; OLG Düsseldorf NJW 1953, 1870; OLG Celle RdL 1956, 113; OLG Hamburg NJW 1958, 554 = RdL 1958, 184).
Ob für die Erteilung eines solchen Erbscheins das Landwirtschafts- oder das Nachlaßgericht zuständig sein soll, ist jedoch seit langem umstritten. Das Oberlandesgericht Hamburg (aaO) und ein Teil des Schrifttums (Hense, DNotZ 1955, 370 u. 1959, 493; Kipp/Coing, Erbrecht, 13. Aufl., S. 722; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 72 Rdn. 5; Erman/Schlüter, BGB, 7. Aufl., § 2353 Rdn. 5; Soergel/Damrau, BGB, 11. Aufl., § 2353 Rdn. 20; Wöhrmann/Stöcker, Landwirtschaftserbrecht, 4. Aufl., § 18 HöfeO Rdn. 37 f) haben insofern die Zuständigkeit der Nachlaßgerichte angenommen, weil die gesetzliche Zuständigkeitsregelung in § 18 Abs. 2 HöfeO auf die Fälle beschränkt sei, in denen (auch) über die Hoferbfolge zu entscheiden sei. Dagegen haben die Oberlandesgerichte Oldenburg (NdsRpfl 1952, 69), Celle (AgrarR 1976, 143; vgl. bereits RdL 1956, 113) und Köln (RdL 1960, 42), sowie konkludent auch Hamm und Düsseldorf (aaO) mit der überwiegenden Auffassung im Schrifttum (Wöhrmann, Landwirtschaftsrecht, 2. Aufl., § 18 HöfeO Rdn. 17 u. RdL 1958, 185; Lange/Kuchinke, Erbrecht, 2. Aufl., S. 677; Faßbender/Hötzel/Pikalo, HöfeO, § 18 Rdn. 34; BGB-RGRK/Kregel, 12. Aufl., vor § 2353 Rdn. 19; Staudinger/Firsching, BGB, 12. Aufl., vor §§ 2353-2370 Rdn. 18; MünchKomm/Promberger, § 2353 Rdn. 53; Barnstedt/Steffen, LwVG, 4. Aufl., § 1 Rdn. 135; Steffen, RdL 1982, 144; Herminghausen, AgrarR 1985, 225) in erster Linie aus praktischen Erwägungen die Zuständigkeit der Landwirtschaftsgerichte auch für die Erteilung des Erbscheins über das hoffreie Vermögen bejaht. Dem ist zuzustimmen.
Für die Zuständigkeit der Landwirtschaftsgerichte spricht bereits die gesetzliche Regelung; denn nach § 18 Abs. 2 Satz 1 HöfeO sind die Landwirtschaftsgerichte nicht nur zuständig für die Entscheidung, wer Hoferbe geworden ist, sondern auch für die Ausstellung des Erbscheins über das hoffreie Vermögen. Zwar geht das Gesetz dabei zunächst von einem umfassenden Erbschein über den gesamten Nachlaß aus; die Zuständigkeitsregelung im Gesetz hängt jedoch nicht davon ab, ob ein umfassender oder ein auf die Hoferbfolge oder das hoffreie Vermögen beschränkter Erbschein beantragt worden ist; hätte der Gesetzgeber für den Fall einer Beschränkung des Erbscheins eine Ausnahme von der generellen Zuweisung an die Landwirtschaftsgerichte vorsehen wollen, so hätte es insofern einer ausdrücklichen Regelung bedurft.
Darüber hinaus sprechen praktische Erwägungen für die Zuständigkeit der Landwirtschaftsgerichte. Auch wenn das Hoffolgezeugnis und der Erbschein über das hoffreie Vermögen verschiedene Teile des Nachlasses betreffen und sich für das Gericht bei der Prüfung unterschiedliche tatsächliche und rechtliche Fragen stellen können, so sind doch häufig bei der Erteilung des einen wie des anderen Erbscheins dieselben Fragen, etwa nach der Wirksamkeit einer letztwilligen Verfügung, zu beantworten; eine Doppelzuständigkeit des Nachlaßgerichts und des Landwirtschaftsgerichts für die Erteilung von Erbscheinen über denselben Nachlaß sollte daher - auch wenn sie verschiedene Teile des Nachlasses betreffen - im Interesse einer einheitlichen Beurteilung vermieden werden. Im übrigen könnte es bei einer Zuständigkeit der Nachlaßgerichte im Einzelfall zur Ausstellung sich widersprechender Erbscheine über das hoffreie Vermögen kommen, wenn beispielsweise der Hoferbe einen umfassenden Erbschein beim Landwirtschaftsgericht, ein Miterbe dagegen einen beschränkten Erbschein für das hoffreie Vermögen beim Nachlaßgericht beantragt. Hinzu kommt, daß die Zuständigkeit nur der Landwirtschaftsgerichte die Bearbeitung in den Fällen erleichtert, in denen zwei getrennte Erbscheine beantragt werden, weil etwa die Klärung der Hoferbfolge längere Zeit in Anspruch nimmt, ein Erbschein für das hoffreie Vermögen jedoch umgehend benötigt wird.
Für die Ausstellung des Erbscheins über das hoffreie Vermögen ist demnach das Landwirtschaftsgericht zuständig, das nunmehr - wie es die Antragstellerin ursprünglich beantragt hatte - auch eine einheitliche Entscheidung über die Rechtsnachfolge treffen kann.
Unterschriften
RiBGH Dr. Merkel befindet sich in Urlaub und kann deshalb nicht unterschreiben.
Piper
Piper
Erdmann
Teplitzky
Mees
Fundstellen
Haufe-Index 1456153 |
BGHZ, 363 |