Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Entscheidung vom 14.03.2023; Aktenzeichen JKI KLs 602 Js 58817/22 jug)

 

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. März 2023 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

 

Gründe

Rz. 1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Führen eines verbotenen Gegenstands zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hat es abgesehen. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

Rz. 2

1. Die Entscheidung, von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Rz. 3

a) Das Landgericht hat sich den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, dass bereits kein Hang des Angeklagten vorliege, Alkohol und Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren. Denn es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass bei dem Angeklagten eine relevante Alkohol- oder Drogenabhängigkeit vorliege. So habe der Angeklagte nach der deutlichen Reduzierung seines Suchtmittelkonsums mehrere Monate vor der Tat keine Entzugserscheinungen benannt, die aber nach der behaupteten Konsummenge aus seiner ärztlichen Sicht hätten eintreten müssen. Der festgestellte THC-Wert aus der ausgewerteten Blutprobe sei nicht nennenswert. Die Begutachtung habe keine manifeste Suchtabhängigkeit ergeben, auch nicht unter Berücksichtigung des Blutalkoholwerts zur Tatzeit.

Rz. 4

b) Dies lässt besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung, ob ein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliegt, einen unzutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt hat.

Rz. 5

Für die Annahme eines Hangs im Sinne des § 64 StGB ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2022 - 6 StR 15/22 mwN). Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit sowie der Verlust über die Kontrolle des Alkoholkonsums haben zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs, deren Fehlen schließt ihn jedoch nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2021 - 6 StR 90/21); Gleiches gilt für das Fehlen von Entzugserscheinungen (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2022 - 6 StR 366/22 mwN).

Rz. 6

2. Da auch das Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB nicht ausgeschlossen werden kann, bedarf die Frage einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neuer Verhandlung und Entscheidung, naheliegend unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO). Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.

Rz. 7

3. Der Rechtsfehler nötigt auch zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei einer Unterbringungsanordnung in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte, Jugendstrafe zu verhängen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2022 - 6 StR 63/22).

Sander     

Feilcke     

Tiemann

Fritsche     

von Schmettau     

 

Fundstellen

Haufe-Index 15853033

NStZ-RR 2023, 367

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