Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt
Leitsatz (redaktionell)
1. Es entspricht den sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben, dass bei der Bestimmung der Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge von Nettoarbeitsentgelten ausgegangen wird und hierauf im Abtastverfahren Lohnsteuern sowie Beiträge zur Sozialversicherung aufgeschlagen werden, um anschließend auf das derart ermittelte Bruttoarbeitsentgelt die im Tatzeitraum geltenden Sätze der Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung anzuwenden. Dem steht die Legaldefinition der „illegalen Beschäftigung” in § 1 Abs. 3 SchwarzArbG nF, in Kraft seit dem 18. Juli 2019 aufgrund des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11. Juli 2019 [BGBl. I 2019, 1066]) nicht entgegen.
2. Der „illegalen Beschäftigung” unterfallen gemäß § 1 Abs. 3 SchwarzArbG n.F. die dort im Einzelnen genannten Fälle, vornehmlich solche der unerlaubten Beschäftigung von Ausländern oder des Verstoßes gegen die Vorschriften über die Arbeitnehmerüberlassung. Diese Definitionen sind nicht für die Auslegung des in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV verwendeten Tatbestandsmerkmals der „illegalen Beschäftigungsverhältnisse” maßgeblich.
3. § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist eine Norm des materiellen Sozialversicherungsrechts; § 1 Abs. 2 und 3 SchwarzArbG umschreiben hingegen den Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich der Finanzkontrolle Schwarzarbeit.
Normenkette
SGB IV § 14 Abs. 2; SchwarzArbG § 1 Abs. 3; StGB § 266a; AO § 370 Abs. 1, 3
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 19.06.2020; Aktenzeichen 2050 Js 76845/15 10 KLs) |
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 19. Juni 2020 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
Gegen die Bestimmung der Höhe der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge (§ 266a Abs. 1, 2 StGB) ist nichts zu erinnern. Insbesondere entspricht es den sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben, dass das Landgericht von Nettoarbeitsentgelten ausgegangen ist und hierauf im Abtastverfahren Lohnsteuern sowie Beiträge zur Sozialversicherung aufgeschlagen hat, um anschließend auf das derart ermittelte Bruttoarbeitsentgelt die im Tatzeitraum geltenden Sätze der Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung anzuwenden (§ 14 Abs. 2 Satz 2, 1 SGB IV; vgl. dazu BGH, Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 10-17, 11; Beschlüsse vom 8. Januar 2020 – 5 StR 122/19 Rn. 15-17 und vom 10. November 2009 – 1 StR 283/09 Rn. 38). Dem steht die Legaldefinition der „illegalen Beschäftigung” in § 1 Abs. 3 SchwarzArbG nF, in Kraft seit dem 18. Juli 2019 aufgrund des Gesetzes gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch vom 11. Juli 2019 [BGBl. I 2019, 1066]) nicht entgegen.
a) Zwar wird der – hier einschlägige – Fall des Verstoßes gegen zentrale arbeitgeberbezogene Pflichten des Sozialversicherungsrechts (Nichterfüllung von Melde-, Beitrags- oder Aufzeichnungspflichten; vgl. etwa BGH, Urteile vom 16. April 2014 – 1 StR 516/13 Rn. 37 und vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71 Rn. 11 unter Übernahme der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts) bzw. des Steuerrechts allein vom Begriff der „Schwarzarbeit” in § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 SchwarzArbG erfasst; der „illegalen Beschäftigung” unterfallen gemäß § 1 Abs. 3 SchwarzArbG nF die dort im Einzelnen genannten Fälle, vornehmlich solche der unerlaubten Beschäftigung von Ausländern oder des Verstoßes gegen die Vorschriften über die Arbeitnehmerüberlassung. Indes sind diese Definitionen nicht für die Auslegung des in § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV verwendeten Tatbestandsmerkmals der „illegalen Beschäftigungsverhältnisse” maßgeblich. Dieses hat der Gesetzgeber als „Sammelbegriff für eine Vielzahl von verschiedenen Ordnungswidrigkeitstatbeständen oder Straftaten, von Verstößen gegen das Arbeitnehmerüberlassungsrecht bis hin zu Verstößen gegen das Steuerrecht oder zum Leistungsmissbrauch” bestimmt (BT-Drucks. 14/8221 S. 11). § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV ist eine Norm des materiellen Sozialversicherungsrechts; § 1 Abs. 2 und 3 SchwarzArbG umschreiben hingegen den Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (so auch Henzler in Müller-Gugenberger/Gruhl/Hadamitzky, Wirtschaftsstrafrecht, 7. Aufl., Rn. 36.5; a.A. Erb, PStR 2019, 271, 274 f.; Bach/Hugo, JR 2020, 225, 229). Mit der Definition der „illegalen Beschäftigung” wollte der Gesetzgeber den Zuständigkeitsbereich der Zollverwaltung nicht erweitern, sondern klarstellend umschreiben (BT-Drucks. 19/8691 S. 43; vgl. auch BR-Drucks. 97/19 S. 40 f.). Daraus folgt zugleich, dass er keineswegs mit der Gesetzesänderung den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 Satz 2 SGB IV in Bezug auf „illegale Beschäftigungsverhältnisse” einschränken wollte (so auch Thul in Müller-Gugenberger/ Gruhl/Hadamitzky, aaO, Rn. 38.265).
b) Ohnehin wäre § 1 Abs. 3 SchwarzArbG nF auf die hier verfahrensgegenständlichen Fälle aus dem Tatzeitraum von Juni 2014 bis August 2018 nicht anwendbar. Denn die – sozialrechtsakzessorische – Bestimmung des Umfangs der vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträge richtet sich nach dem materiellen Sozialversicherungsrecht, das zur Tatzeit gilt, sofern der Gesetzgeber nichts an dessen Fortgeltung bezüglich des vergangenen Zeitraums geändert hat; § 2 Abs. 3 StGB ist insoweit nicht anwendbar (a.A. Erb aaO S. 275; Bach/Hugo aaO). Insoweit gilt nichts anderes als im Steuerstrafrecht (vgl. BGH, Urteil vom 28. Januar 1987 – 3 StR 373/86, BGHSt 34, 272, 282-284 zur Änderung des Abzugsverbots bezüglich Parteispenden nach bereits eingetretener Verkürzung von Körperschaftsteuer; BFH, Urteil vom 24. Mai 2000 – II R 25/99, BFHE 191, 240, 244 f. zu wegen der Hinterziehung von Vermögensteuer zu leistender Zinsen).
Unterschriften
Raum, Jäger, Bellay, Hohoff, Leplow
Fundstellen
NStZ-RR 2022, 17 |
NJW-Spezial 2022, 25 |