Entscheidungsstichwort (Thema)

Bestellung zum Anwaltsnotar

 

Verfahrensgang

OLG Stuttgart (Beschluss vom 24.05.1976)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den auf die mündliche Verhandlung vom 24. Mai 1976 erlassenen Beschluß des Oberlandesgerichts Stuttgart – Senat für Notarsachen – wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und dem Antragsgegner die Auslagen zu erstatten, die diesem im zweiten Rechtszug notwendig entstanden sind.

Der Geschäftswert der Beschwerde wird auf 50.000,– DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Der am … 1922 geborene Antragsteller, der die erste Juristische Staatsprüfung im November 1949 mit der Note 3 b oben und die zweite im Januar 1953 mit der Note ausreichend (4 Punkte) bestanden hat, ist seit August 1955 Rechtsanwalt in Stuttgart. Er ist infolge einer Oberschenkelamputation mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 % schwerkriegsbeschädigt.

Nach einem erfolglosen Versuch im Frühjahr 1974 bewarb sich der Antragsteller mit Schreiben vom 31. Juli 1975 erneut um eine der beiden in Stuttgart freigewordenen und im Staatsanzeiger für Baden-Württemberg Nr. 60 ausgeschriebenen Anwaltsnotarstellen. Da nach der Ausschreibung noch der S. Anwaltsnotar Le. verstarb, waren insgesamt drei Anwaltsnotarstellen neu zu besetzen.

Um diese Stellen bewarben sich außer dem Antragsteller weitere 26 Rechtsanwälte. Der Antragsgegner bewertete die Bewerber zunächst im Rahmen einer Grobauswahl nach einem Punktesystem, das Alter, Prüfungsnoten und Dauer der Anwaltstätigkeit berücksichtigt. Nach dieser Bewertung lag Rechtsanwalt Dr. St. mit 55 Punkten an der Spitze, gefolgt von den Rechtsanwälten Dr. F. und N. mit je 51 Punkten und Rechtsanwalt C. mit 50 Punkten. Der Antragsteller kam mit 23 Punkten auf den 26. – also den vorletzten – Rang. Unmittelbar vor ihm lag ein ebenfalls Schwerkriegsbeschädigter Bewerber mit einer MdE um 50 %. Wegen des erheblichen Punkterückstandes reihte der Antragsgegner den Antragsteller nicht in die aus den 4 genannten Rechtsanwälten gebildete Spitzengruppe ein. Er bestellte vielmehr die Rechtsanwälte Dr. St., Dr. F. und G. zu Anwaltsnotaren und unterrichtete den Antragsteller mit Bescheid vom 5. Februar 1976, daß seine Bewerbung nicht habe berücksichtigt werden können.

Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem Ziele, den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragsteller zum Anwaltsnotar zu bestellen, mindestens ihn unter Beachtung zutreffender Rechtsgrundsätze neu zu bescheiden, hat das Oberlandesgericht durch den angefochtenen Beschluß als unbegründet zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, deren Zurückweisung der Antragsgegner beantragt.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die nach § 111 Abs. 4 BNotO i.V.m. § 42 Abs. 4 BRAO zulässige sofortige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

Die Nichtberücksichtigung des Antragstellers bei der Besetzung der drei freigewordenen Anwaltsnotarstellen in Stuttgart beruht auf den Auswahlgrundsätzen, die bei der Bestellung von Anwaltsnotaren im Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart seit 1955, bei schwerbeschädigten Bewerbern seit 1971 in etwas veränderter Form, angewendet werden. Soweit diese Grundsätze hier von Bedeutung sind, wird zunächst anhand eines Punktesystems, bei dem die Ergebnisse der beiden Juristischen Staatsexamen, das Lebensalter und die Dauer der Tätigkeit als Rechtsanwalt berücksichtigt werden, eine sog. Spitzengruppe gebildet „Grobauswahl”), aus der dann im Wege der Ermessensentscheidung „Feinauswahl”) der als Notar zu bestellende Bewerber ermittelt wird. Schwerbehinderte werden in die Spitzengruppe aufgenommen, wenn der Punkteabstand des Schwerbehinderten zu den Spitzenbewerbern nicht „sehr erheblich” ist. Hierbei wird ein Punkteabstand von bis zu 15 Punkten als nicht sehr erheblich angesehen, so daß ein schwerbehinderter Rechtsanwalt etwa 10 bis 11 Jahre früher als ein anderer Bewerber mit sonst gleichen Voraussetzungen in die Spitzengruppe kommt. Erreicht er auf diese Weise die Spitzengruppe, so wird ihm ein anderer Bewerber von der Spitzengruppe nur bei Vorliegen schwerwiegender Gründe vorgezogen.

1. Gegen dieses Auswahl verfahren, mit dem sich der Bundesgerichtshof bereits in mehreren Entscheidungen befaßt hat (vgl. Beschlüsse vom 27. Mai 1963 – NotZ 1/63 = DNotZ 1964, 56, vom 13. Februar 1967 – NotZ 4/66 = BGHZ 47, 84 sowie drei Beschlüsse vom 15. Februar 1971, NotZ 3/70 = DNotZ 1971, 548, NotZ 4/70 = BGHZ 55, 324 und NotZ 5/70 = DNotZ 1971, 553), ist vom Grundsätzlichen her nichts einzuwenden. Regelmäßig liegen weit mehr Bewerbungen vor, als Anwaltsnotarstellen zu besetzen sind. Die Auswahl unter diesen Bewerbern hat die Landesjustizverwaltung nach pflichtgemäßem Ermessen vorzunehmen. Von den Gerichten ist nur zu prüfen, ob die Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder das Ermessen fehlerhaft gebraucht worden ist (§ 111 Abs. 1 Satz 3 BNotO). Davon kann, wie der angefochtene Beschluß im einzelnen zutreffend dargelegt hat, hier keine Rede sein. Auch das Beschwerdevorbringen gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlaß.

2. Insbesondere verletzen die Auswahlgrundsätze und ihre Handhabung im vorliegenden Fall nicht § 48 Schwerbehindertengesetz (SchwBehG) in der Fassung vom 29. April 1974 (BGBl I. 1005). Nach dieser Bestimmung soll Schwerbehinderten, die eine zur Ausübung einer unabhängigen Tätigkeit erforderliche Zulassung beantragen, bei fachlicher Eignung und Erfüllung der sonstigen gesetzlichen Voraussetzungen die Zulassung bevorzugt erteilt werden. § 48 SchwBehG ist indessen, ebenso wie die frühere Bestimmung des § 37 Abs. 1 SBG (vgl. dazu BGHZ 47, 84, 85), nur eine Sollvorschrift; sie begründet keinen Rechtsanspruch auf Zulassung, etwa in dem Sinne, daß ein schwerkriegsbeschädigter Notarbewerber, der, wie hier der Antragsteller, die allgemeinen gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt, in jedem Fall vor allen anderen Bewerbern bevorzugt werden müßte. Das hat der Senat in einem Fall ausgesprochen, in dem der schwerbehinderte Bewerber, anders als hier der Antragsteller, sogar gute Examensergebnisse auf wies (vgl. Beschluß vom 15. Februar 1971, NotZ 4/70 = DNotZ 1971, 550, 553). Nach dieser Entscheidung ist die Landesjustizverwaltung aus Rechtsgründen nicht gehindert, von einer Aufnahme des Schwerbeschädigten in die Spitzengruppe jedenfalls dann abzusehen, wenn der Punkteabstand zu den anderen Spitzenbewerbern sehr erheblich ist. So liegt es hier.

Der Abstand des Antragstellers von Rechtsanwalt C., dem letzten der in die Spitzengruppe aufgenommenen Mitbewerber, beträgt 27 Punkte. Er beruht auf dem höheren Lebensalter, der längeren Berufserfahrung und den besseren Prüfungsergebnissen dieses Mitbewerbers. Bei einem so großen Punkteabstand ist eine willkürliche oder sonst sachfremde Ermessensausübung mit Sicherheit nicht gegeben.

3. Die Bestimmungen des am 1. Januar 1976 in Kraft getretenen Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuches (Gesetz vom 11. Dezember 1975 – BGBl I 3015) gewähren einem Schwerbehinderten keine über das Schwerbehindertengesetz hinausgehenden Rechte und führen daher zu keiner anderen Beurteilung.

4. Auch die vom Antragsteller behaupteten besonders nachteiligen persönlichen Verhältnisse können keine andere Entscheidung rechtfertigen. Der Antragsteller meint, der Antragsgegner müsse Schwerstbehinderten einen nach dem unterschiedlichen Prozentsatz der Erwerbsminderung gestaffelten Punktezuschlag einräumen, der bei 80 % höher als 15 Punkte liegen müsse. Eine solche Staffelung lehnt der Antragsgegner indessen aus guten Gründen ab. Nach seiner – ermessensfehlerfreien – Auffassung trägt ein Zuschlag von 15 Punkten den Belangen selbst eines schwerstbehinderten Bewerbers bei der Grobauswahl ausreichend Rechnung. Das jeweilige Maß der Behinderung bei der Ausübung des Notarberufes, das vielfach nicht mit dem – nach ganz anderen Gesichtspunkten ermittelten – Prozentsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit übereinstimmt und deshalb keine schematische Staffelung nach diesem Prozentsatz erlaubt, berücksichtigt der Antragsgegner bei der Feinauswahl der in die engere Wahl einbezogenen Bewerber. Auch das hält sich im Rahmen zulässiger Ermessensausübung (vgl. auch BGH DNotZ 1971, 550, 553).

5. Da eindeutige Aussagen über die künftige Eignung eines Bewerbers als Anwaltsnotar in der Regel fehlen, ist die Mitberücksichtigung der Ergebnisse beider juristischer Staatsprüfungen bei der Auswahl im Hinblick auf die besonderen gesetzlichen Anforderungen an das Notaramt (vgl. u.a. §§ 1,6 BNotO) sachgerecht. Davon, daß den Prüfungsnoten, zumal nach Jahrelanger Berufserfahrung als Rechtsanwalt, keine allein entscheidende Aussagekraft mehr zukommt, gehen auch der Antragsgegner und das Oberlandesgericht aus. Es mag sein, daß im einen oder anderen Fall ein schwerkriegsbeschädigter Bewerber mit verhältnismäßig schlechten Prüfungsergebnissen wegen seiner beschränkten Lebenserwartung praktisch keine Aussicht auf Zulassung hat. Dann müssen seine persönlichen Interessen gegenüber den vorrangigen „Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege” (§ 4 Abs. 1 BNotO) zurückstehen.

 

Unterschriften

Vogt, Hürxthal, Krohn, Fortmann, Kaiser

 

Fundstellen

Haufe-Index 1502501

DNotZ 1977, 379

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge