Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Entscheidung vom 13.07.2020; Aktenzeichen 20 T 26/20) |
AG Pforzheim (Entscheidung vom 14.05.2020; Aktenzeichen 6 C 312/11) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Antragstellerin werden der Beschluss der 20. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 13. Juli 2020 - 20 T 26/20 - und der Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Pforzheim vom 14. Mai 2020 - 6 C 312/11 - aufgehoben.
Die Sache wird an das Amtsgericht Pforzheim zur Entscheidung über den Antrag der Antragstellerin auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses des Amtsgerichts Pforzheim vom 11. Januar 2012 - 6 C 312/11 - für sie als Rechtsnachfolgerin der Titelgläubigerin, auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren, zurückverwiesen.
Das Amtsgericht Pforzheim darf die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des vorgenannten Titels für die Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin der Titelgläubigerin nicht aus den Gründen der aufgehobenen Beschlüsse ablehnen.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Antragstellerin, die P. GmbH & Co. KG i.L., begehrt die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung eines Kostenfestsetzungsbeschlusses mit einer Rechtsnachfolgeklausel.
Rz. 2
Die K. GmbH (nachfolgend auch: Titelgläubigerin) erwirkte gegen den Antragsgegner ein Versäumnisurteil. Die danach vom Antragsgegner an die Titelgläubigerin zu erstattenden Kosten setzte das Amtsgericht mit Beschluss vom 11. Januar 2012 fest.
Rz. 3
Mit Schriftsatz vom 4. April 2020 hat der bis dahin für die Titelgläubigerin tätig gewesene Prozessbevollmächtigte bei dem Amtsgericht beantragt, der Antragstellerin eine vollstreckbare Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 11. Januar 2012 mit Rechtsnachfolgeklausel zu erteilen. Zur Begründung hat er die Kopie einer Eintragungsnachricht des Amtsgerichts - Registergericht - M. vom 27. April 2017 beigefügt, wonach die Verschmelzung der Titelgläubigerin (Amtsgericht M. HRB ) auf die Antragstellerin als übernehmende Rechtsträgerin im Handelsregister betreffend die Antragstellerin (Amtsgericht M. HRA ) am 26. April 2017 eingetragen worden ist.
Rz. 4
Das Amtsgericht - Rechtspflegerin - hat die Titelumschreibung von einem Nachweis der Rechtsnachfolge durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden, der weder durch die Kopie der Eintragungsnachricht noch durch das im Internet zugängliche Registerportal www.handelsregister.de ersetzt werde, abhängig gemacht. Nachdem ein solcher Nachweis nicht vorgelegt worden ist, hat es den Antrag auf Erteilung einer Rechtsnachfolgeklausel zurückgewiesen. Die hiergegen namens der Titelgläubigerin eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 13. Juli 2020 zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zugelassenen, ebenfalls im Namen der Titelgläubigerin erhobenen Rechtsbeschwerde wird weiterhin die Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses für die Antragstellerin als Rechtsnachfolgerin der Titelgläubigerin erstrebt.
Rz. 5
Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat das Beschwerdegericht durch Beschluss vom 17. Oktober 2022 das Aktivrubrum seiner Entscheidung vom 13. Juli 2020 dahingehend berichtigt, dass dieses wegen offenbarer Unrichtigkeit, die sich aus der Mitteilung des Amtsgerichts - Registergericht - M. vom 27. April 2017 ergebe, nicht mehr auf die K. GmbH, sondern auf die P. GmbH & Co. KG i.L. lautet.
II.
Rz. 6
Die Rechtsmittel führen zur Aufhebung der angefochtenen Beschlüsse und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
Rz. 7
1. Die zugelassene Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Rz. 8
Der Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde steht nicht entgegen, dass die Rechtsbeschwerdeschrift - ebenso wie die Rechtsbeschwerdebegründung - im Aktivrubrum die Titelgläubigerin als Rechtsmittelführerin ausweist. Der Rechtsbeschwerde ist nichts anderes zu entnehmen, als dass sie von derjenigen Rechtsperson eingelegt sein und geführt werden soll, zu deren Gunsten die Rechtsnachfolgeklausel erstrebt wird. Da das Klauselerteilungsverfahren nicht von der nach dem Vortrag in der Antragsschrift aufgrund Verschmelzung nicht mehr existenten Titelgläubigerin, sondern von der P. GmbH & Co. KG i.L. als deren Rechtsnachfolgerin betrieben wird, ist es als eine unschädliche Falschbezeichnung anzusehen, wenn die mit Wirkung der angeblichen Gesamtrechtsnachfolge untergegangene Titelgläubigerin als Rechtsmittelführerin in einer Rechtsmittelschrift aufgeführt wird, zumal wenn sie - wie hier bis zum Beschluss des Beschwerdegerichts vom 17. Oktober 2022 - in der zunächst unberichtigten angefochtenen Entscheidung gleichfalls als Partei bezeichnet ist. Da die unzutreffende Parteibezeichnung im Rubrum des angefochtenen landgerichtlichen Beschlusses als offenbare Unrichtigkeit berichtigt werden konnte, ist eine entsprechende berichtigende Auslegung der Rechtsmittelschrift nebst -begründung ebenfalls möglich und geboten (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2019 - VII ZB 87/17 Rn. 11, WM 2019, 1225; Urteil vom 21. Dezember 2010 - X ZR 122/07 Rn. 11 f., BauR 2011, 1034 = NZBau 2011, 290; Urteil vom 19. Februar 2002 - VI ZR 394/00, NJW 2002, 1430, juris Rn. 14).
Rz. 9
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Rz. 10
a) Mit der vom Beschwerdegericht gegebenen Begründung kann der Antrag auf Erteilung einer vollstreckbaren Ausfertigung des Kostenfestsetzungsbeschlusses für die Antragstellerin gemäß § 727 Abs. 1 ZPO nicht abgelehnt werden.
Rz. 11
aa) Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, das Amtsgericht habe die beantragte Umschreibung des Titels gemäß § 727 Abs. 1 ZPO zu Recht von dem Nachweis der Rechtsnachfolge durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden abhängig gemacht. Die vorgelegte Fotokopie der Eintragungsnachricht des Registergerichts genüge insoweit nicht. Die Rechtsnachfolge sei auch nicht durch den Verweis auf die beim Registergericht geführten Handelsregisterakten offenkundig. Soweit mitunter vertreten werde, es sei von der Offenkundigkeit des öffentlich im Internet zugänglichen Handelsregisters auszugehen, da die Einsicht vergleichbar liquide sei wie der Zugriff auf Zeitschriften, Rundfunk, Fahrpläne und Kalender, sei dem nicht zu folgen. Die unter der Internetadresse "handelsregister.de" zugänglichen Informationen seien auch bei vorhandenem Internetzugang nicht ohne Weiteres abrufbar. Ein "Vollzugang" erfordere das Durchlaufen eines Registrierungsverfahrens unter Angabe sämtlicher persönlicher Daten inklusive Postanschrift, wobei der Antrag auf dem Postweg an die Servicestelle des Registerportals zu übermitteln sei. Der Abruf einer Handelsregistereintragung koste 4,50 €. Das umfangreiche Registrierungsverfahren könne abschreckend wirken und sei einem Schuldner und der Allgemeinheit nicht zumutbar. Anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass die hier in Bezug genommene Information bei Kenntnis der Funktionsweise und des Aufbaus der Internetseite kostenfrei im Bereich "Veröffentlichungen" auffindbar sei, da es sich hierbei nicht um Allgemeinwissen handele. Die Rechtsnachfolge sei ferner nicht gerichtskundig. Die Vorlage der öffentlichen beziehungsweise öffentlich beglaubigten Urkunden könne auch nicht durch den Verweis auf das bei dem Amtsgericht M. elektronisch geführte Handelsregister ersetzt werden, da § 727 ZPO diese Nachweismöglichkeit im Gegensatz zu § 32 Abs. 2 GBO nicht vorsehe.
Rz. 12
bb) Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 13
Zu Unrecht hat das Beschwerdegericht angenommen, die Veröffentlichung etwaiger Eintragungen zu einer Verschmelzung der Titelgläubigerin auf die Antragstellerin im Internetportal www.handelsregister.de vermöge die Offenkundigkeit der Rechtsnachfolge im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO nicht zu begründen.
Rz. 14
(1) Der Begriff der Offenkundigkeit nach § 727 Abs. 1 und 2 ZPO entspricht demjenigen des § 291 ZPO. Offenkundigkeit ist anzunehmen, wenn die die Rechtsnachfolge begründenden Tatsachen bei Gericht allgemeinkundig oder gerichtskundig sind. Die Feststellung, ob eine Tatsache offenkundig in diesem Sinne ist, obliegt dem Tatrichter. Das Rechtsbeschwerdegericht kann ausgehend von dem Maßstab nach § 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 Abs. 2 ZPO - von hier nicht geltend gemachten Verfahrensfehlern bei der Feststellung der maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse abgesehen - nur prüfen, ob die Beurteilung des Sachverhalts durch das Beschwerdegericht auf einer Verkennung der Rechtssätze über die Offenkundigkeit beruht (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2023 - VII ZB 69/21 Rn. 12, NJW 2023, 2489, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen; Beschluss vom 26. August 2020 - VII ZB 39/19 Rn. 21, BGHZ 227, 1).
Rz. 15
(2) Das ist hier der Fall. Wie der Senat nach Erlass der angefochtenen Entscheidungen mit Beschluss vom 24. Mai 2023 (VII ZB 69/21, NJW 2023, 2489, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen) entschieden und im Einzelnen begründet hat, handelt es sich - entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts - bei der im Internet über das Gemeinsame Registerportal der Länder (www.handelsregister.de) aus dem elektronisch geführten Handelsregister ersichtlichen Eintragung der Verschmelzung zweier Rechtsträger um eine allgemeinkundige Tatsache im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2023 - VII ZB 69/21 Rn. 17 ff., NJW 2023, 2489, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen).
Rz. 16
b) Die Entscheidung des Beschwerdegerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 577 Abs. 3 ZPO). Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des Beschwerdegerichts kann die Offenkundigkeit der Rechtsnachfolge der Antragstellerin im Sinne von § 727 Abs. 1 und 2 ZPO aufgrund Veröffentlichung von Eintragungen im Internetportal www.handelsregister.de nicht verneint werden.
Rz. 17
Bei einer (Gesamt-)Rechtsnachfolge durch Verschmelzung ist diese zunächst im Register des Sitzes des übertragenden Rechtsträgers und sodann in das Register des Sitzes des übernehmenden Rechtsträgers einzutragen (§§ 2, 19 Abs. 1, § 20 Abs. 1 UmwG). Dazu, ob die hiernach erforderlichen Eintragungen sich aus dem Handelsregister betreffend die Titelgläubigerin sowie die Antragstellerin ergeben, haben die Vorinstanzen - von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist dies daher zugunsten der Antragstellerin zu unterstellen.
III.
Rz. 18
Die angefochtene Entscheidung ist hiernach aufzuheben (§ 577 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO). Der Senat macht entsprechend § 572 Abs. 3 ZPO von der Möglichkeit Gebrauch, zugleich den erstinstanzlichen Beschluss aufzuheben und die Sache unmittelbar an das Amtsgericht zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Mai 2019 - VII ZB 87/17 Rn. 30, WM 2019, 1225).
Rz. 19
Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat kommt im Streitfall nicht in Betracht. Die Feststellung, ob der von der Antragstellerin geltend gemachte Rechtsnachfolgetatbestand sich aus dem elektronisch geführten Handelsregister ergibt, muss den Tatsacheninstanzen überlassen bleiben (§ 577 Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO; vgl. BGH, Urteil vom 4. Mai 1990 - V ZR 21/89, NJW 1990, 2620, juris Rn. 19 für das Revisionsverfahren).
Pamp |
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Kartzke |
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Jurgeleit |
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Sacher |
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Brenneisen |
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Fundstellen
Haufe-Index 16178075 |
DStR 2024, 10 |
MittBayNot 2024, 298 |
NZG 2024, 641 |
GWR 2024, 110 |