Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsteuerforderung als dingliches Recht im Sinne der Europäischen Insolvenzordnung
Leitsatz (amtlich)
Öffentliche Lasten des Grundstücks (hier: Grundsteuerforderungen) sind als dingliche Rechte i.S.v. Art. 5 Abs. 1 der Europäischen Insolvenzverordnung anzusehen (vgl. EuGH, Urt. v. 26.10.2016, Senior Home, C-195/15, EU:C:2016:804).
Leitsatz (redaktionell)
1. Ob sich das ausländische Insolvenzverfahren auf die Anordnung der Zwangsversteigerung auswirkt, bestimmt sich nicht nach § 351 InsO; maßgeblich ist vielmehr die Europäische Insolvenzverordnung, die in ihrem Anwendungsbereich den Vorschriften des in §§ 335ff. InsO geregelten deutschen Internationalen Insolvenzrechts vorgeht (hier: Verfahren des „redressement judiciaire”).
2. Ob eine Bekanntgabe des Antrags auf Anordnung der Zwangsversteigerung an den französischen Insolvenzverwalter erforderlich ist, richtet sich nach deutschem Verfahrensrecht als der lex fori. Hiernach ist die Bekanntgabe des Antrags der Finanzbehörde an den Schuldner bzw. an den Insolvenzverwalter kein Vollstreckungserfordernis und daher ohne Bedeutung für eine wirksame Anordnung der Zwangsversteigerung.
3. Ob bei der Beitreibung von Steuerschulden die Voraussetzungen für den Beginn der Zwangsvollstreckung vorliegen, hat nicht das Vollstreckungsgericht, sondern die Finanzbehörde zu prüfen. Der Schuldner (bzw. der Insolvenzverwalter) kann insoweit Rechtsbehelfe vor dem Finanzgericht ergreifen.
Normenkette
EuInsVO Art. 5 Abs. 1; ZVG § 10 Abs. 1 Nr. 3; GrStG § 12; AO §§ 249, 322; InsO §§ 335, 351
Verfahrensgang
LG Hannover (Beschluss vom 07.02.2014; Aktenzeichen 4 T 52/13) |
AG Burgwedel (Entscheidung vom 23.10.2013; Aktenzeichen 6 K 16/13) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Hannover vom 7.2.2014 wird auf Kosten der Schuldnerin zurückgewiesen.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Schuldnerin, eine Société Civile Immobilière nach französischem Recht, ist Eigentümerin des im Rubrum genannten Grundstücks in W., Deutschland. Mit Urteil vom 6.5.2013 ordnete der Tribunal de Grande Instance de Mulhouse, Frankreich, das Betriebssanierungsverfahren ("procédure de redressement judiciaire") für die Schuldnerin an und beauftragte einen gerichtlich bestellten Verwalter mit deren Betreuung ("administrateur judiciaire avec mission d'assistance"). Am 15.5.2013 beantragte die Gemeinde W. wegen rückständiger Grundsteuern für die Zeit vom 1.10.2012 bis zum 30.6.2013i.H.v. 7.471,19 EUR die Zwangsversteigerung des Grundstücks und bescheinigte die Vollstreckbarkeit der Forderungen.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 21.5.2013 hat das AG die Zwangsversteigerung angeordnet. Der dagegen gerichteten Erinnerung der Schuldnerin hat es nicht abgeholfen. Das LG hat ihre sofortige Beschwerde zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde will die Schuldnerin erreichen, dass die Anordnung der Zwangsversteigerung aufgehoben und der Zwangsversteigerungsvermerk im Grundbuch gelöscht wird. Mit Beschluss vom 12.3.2015 (veröffentlicht u.a. in WM 2015, 1768 ff.) hat der Senat dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob der Begriff des dinglichen Rechts gem. Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren (ABl. EG 2000 Nr. L 160, 1; Europäische Insolvenzverordnung, nachfolgend EuInsVO) eine nationale Regelung erfasst, wonach Grundsteuerforderungen kraft Gesetzes als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhen und der Eigentümer insoweit die Zwangsvollstreckung in den Grundbesitz dulden muss. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat über die Vorlagefrage mit Urteil vom 26.10.2016 (C-195/15, EU:C:2016:804, veröffentlicht u.a. in ZIP 2016, 2175 ff.) entschieden.
II.
Rz. 3
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist die Zwangsversteigerung zu Recht angeordnet worden. Die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens wirke sich insoweit nicht aus. Da die rückständigen Grundsteuern gem. § 12 GrStG als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhten, stehe der Gläubigerin gem. § 49 InsO i.V.m. § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG ein Recht auf abgesonderte Befriedigung zu. Dieses Recht werde gem. § 351 InsO durch die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens nicht berührt.
Rz. 4
Eine Umschreibung des Titels auf den Insolvenzverwalter und eine Zustellung an diesen sei nicht erforderlich, da die Zwangsversteigerung aufgrund eines auf § 58 NVwVG gestützten behördlichen Ersuchens erfolgt sei.
III.
Rz. 5
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
Rz. 6
1. Ob sich das ausländische Insolvenzverfahren auf die Anordnung der Zwangsversteigerung auswirkt, bestimmt sich allerdings nicht nach § 351 InsO. Maßgeblich ist vielmehr die Europäische Insolvenzverordnung, die in ihrem Anwendungsbereich den Vorschriften des in §§ 335 ff. InsO geregelten deutschen Internationalen Insolvenzrechts vorgeht (vgl. BGH, Beschl. v. 3.2.2011 - V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 Rz. 11 m.w.N.). Der Anwendungsbereich der Europäischen Insolvenzverordnung ist eröffnet, da es sich bei dem Verfahren des "redressement judiciaire" um eines der in Art. 2 Buchstabe a EuInsVO i.V.m. Anhang A der Verordnung genannten Insolvenzverfahren handelt und der für die Schuldnerin auftretende "administrateur judiciaire" zu den in Art. 2 Buchstabe b EuInsVO i.V.m. Anhang C der Verordnung bezeichneten Verwaltern gehört.
Rz. 7
2. Nach der Europäischen Insolvenzverordnung unterliegt das Insolvenzverfahren zwar dem französischen Recht (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO). Gemäß Art. 5 Abs. 1 EuInsVO bleiben aber dingliche Rechte eines Gläubigers an unbeweglichen Gegenständen, die sich im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befinden, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unberührt. Die Grundsteuerforderungen, die zu der Anordnung der Zwangsversteigerung geführt haben, sind als dingliches Recht im Sinne dieser Norm anzusehen, da sie als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhen (§ 12 GrStG). Das infolgedessen maßgebliche deutsche Insolvenzrecht gewährt gem. § 49 InsO ein Recht auf abgesonderte Befriedigung.
Rz. 8
a) Maßgeblich für die Einstufung als dingliches Recht ist zunächst das deutsche Recht als Recht des Belegenheitsorts (vgl. EuGH, Urt. v. 26.10.2016, Senior Home, C-195/15, EU:C:2016:804 Rz. 20). Danach sind öffentliche Lasten als dingliche Verwertungsrechte anzusehen, weil der Eigentümer gem. § 77 Abs. 2 Satz 1 AO die Zwangsvollstreckung in das Grundstück dulden muss; funktionell entsprechen öffentliche Lasten einem Grundpfandrecht. Wegen der Einzelheiten wird auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 12.3.2015 in dieser Sache Bezug genommen (WM 2015, 1768 Rz. 6 ff.).
Rz. 9
b) Wie der Gerichtshof der Europäischen Union auf die Vorlage des Senats entschieden hat, ist Art. 5 Nr. 1 EuInsVO dahingehend auszulegen, dass auch solche dinglich ausgestalteten öffentlichen Lasten unter den Begriff des dinglichen Rechts fallen (vgl. EuGH, Urt. v. 26.10.2016, Senior Home, C-195/15, EU:C:2016:804). Weder die steuerrechtliche Natur der Forderungen noch deren Entstehung ipso iure (vgl. hierzu auch EuGH, Urt. v. 16.4.2015, Lutz, C-557/13, EU:C:2015:227 Rz. 27 f.) stehen dieser Einordnung entgegen.
Rz. 10
c) Die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO sind auch im Übrigen gegeben. Insbesondere entstand die öffentliche Last jedenfalls überwiegend vor der Eröffnung des "redressement judiciaire" (vgl. zu dieser Voraussetzung Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht zu dem EU-Übereinkommen über Insolvenzverfahren, 1996, Nr. 96, abgedruckt u.a. in Stoll, Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EU-Übereinkommens über Insolvenzverfahren). Denn die Steuer entsteht gem. § 9 Abs. 2 GrStG zu Beginn des Jahres; selbst wenn die auf die Zeit nach der Verfahrenseröffnung entfallenden Steuern kein dingliches Recht mehr begründen sollten, wären die Forderungen aus der Zeit vom 1.10.2012 bis zum 5.5.2013 vor Verfahrenseröffnung entstanden.
Rz. 11
3. Ohne Erfolg rügt die Schuldnerin, der Antrag auf Anordnung der Zwangsversteigerung sei dem französischen Insolvenzverwalter nicht bekanntgegeben worden. Ob eine solche Bekanntgabe erforderlich ist, richtet sich nach deutschem Verfahrensrecht als der lex fori. Hiernach ist die Bekanntgabe des Antrags der Finanzbehörde an den Schuldner bzw. an den Insolvenzverwalter kein Vollstreckungserfordernis und daher ohne Bedeutung für eine wirksame Anordnung der Zwangsversteigerung (vgl. Stöber, ZVG, 21. Aufl., § 15 Rz. 34.4 a.E.; BFHE 158, 310, hierzu BVerfG, KKZ 1991, 90).
Rz. 12
4. Ob im Übrigen die Voraussetzungen für den Beginn der Zwangsvollstreckung vorliegen, hat das Vollstreckungsgericht bei der Beitreibung von Steuerschulden (anders als bei der Vollstreckung von Urteilen) nicht zu prüfen. Dies ist vielmehr Aufgabe der Finanzbehörde (vgl. BGH, Beschl. v. 14.7.1951 - V ZB 4/51, BGHZ 3, 140, 144 f.). Zuständige Behörde ist nach dem niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetz (NVwVG) die Gemeinde (§ 6 Abs. 1 NVwVG). Bestätigt diese - wie hier - in ihrem Antrag, dass die Voraussetzungen für die Vollstreckung vorliegen, sind die Gerichte daran gebunden (§ 58 Abs. 3 Satz 2 und 3 NVwVG). Insbesondere darf das Vollstreckungsgericht nicht prüfen, ob ein Duldungsbescheid gegen den ausländischen Insolvenzverwalter erforderlich und ob dieser ergangen ist (dazu Ganter in MünchKomm/InsO, 3. Aufl., § 49 Rz. 53). Die Schuldnerin (bzw. der Insolvenzverwalter) kann insoweit Rechtsbehelfe vor den FG ergreifen (vgl. BFHE 152, 53; 158, 310).
Rz. 13
5. Schließlich ist es unerheblich, dass die Anordnung nach Eröffnung des "redressement judiciaire" der Schuldnerin und nicht dem Insolvenzverwalter zugestellt worden ist. Selbst wenn die Zustellung an den Insolvenzverwalter erforderlich sein sollte, stellt dies jedenfalls keinen Grund für eine Aufhebung der Anordnung dar.
IV.
Rz. 14
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Diese Vorschrift ist hier anwendbar, weil sich die Parteien bei dem Streit um die Anordnung der Zwangsversteigerung wie in einem kontradiktorischen Verfahren gegenüberstehen (vgl. BGH, Beschl. v. 25.1.2007 - V ZB 125/05, BGHZ 170, 378 Rz. 8).
Fundstellen
Haufe-Index 10395894 |
DB 2017, 7 |