Leitsatz (amtlich)

›Die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe darf nicht aufgehoben werden, wenn die Nichtzahlung der Raten nicht auf einem Verschulden des Bedürftigen beruht. Das Verschulden ist unabhängig von den Feststellungen und Bewertungen des ursprünglichen Bewilligungsbeschlusses zu prüfen.‹

 

Gründe

I. Durch Beschluß vom 6. April 1995 hat der Senat dem Beklagten zu 2) (nachfolgend: Beklagter) für die Revisionsinstanz Prozeßkostenhilfe bewilligt und Ratenzahlung in Höhe von monatlich 4.267 DM ab 1. Mai 1995 angeordnet. Grundlage dieser Entscheidung war eine Erklärung des Beklagten vom 9. November 1994 über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, derzufolge er monatlich über 10.200 DM brutto verdiente und niemandem unterhaltspflichtig war.

Der Beklagte hat keine Raten auf die Prozeßkosten geleistet. Erst nachträglich hat er angezeigt, daß er bereits am 25. Januar 1995 die eidesstattliche Offenbarungsversicherung abgegeben hatte. Darin hatte er einen monatlichen Nettoverdienst von 8.000 DM bei der Beklagten zu 1) - einer ihm gehörenden GmbH - angegeben. Den darauf gestützten Antrag, die Ratenzahlung auszusetzen, hat der Rechtspfleger beim Bundesgerichtshof durch Beschluß vom 26. Oktober 1995 mit der Begründung zurückgewiesen, die angezeigte Änderung sei schon vor der Bewilligung der Prozeßkostenhilfe eingetreten und könne deshalb nicht mehr berücksichtigt werden. Anschließend hat der Beklagte angezeigt, daß die Beklagte zu 1) - seine Arbeitgeberin - schon im Februar 1995 Konkurs gegen sich selbst beantragt habe und dieser Antrag durch Gerichtsbeschluß vom 21. April 1995 mangels einer den Kosten des Verfahrens entsprechenden Konkursmasse abgewiesen worden sei. Ferner hat der Beklagte am 25. September 1995 erneut die eidesstattliche Offenbarungsversicherung abgegeben und darin erklärt, daß er kein eigenes Einkommen erhalte. Daraufhin hat der Rechtspfleger beim Bundesgerichtshof durch Beschluß vom 31. Januar 1996 antragsgemäß angeordnet, daß Raten mit Wirkung ab 15. September 1995 nicht mehr geschuldet werden.

Wegen der danach bestehengebliebenen Ratenverpflichtung für die Zeit vom 1. Mai bis 15. September 1995 hat der Rechtspfleger beim Bundesgerichtshof sodann durch Beschluß vom 5. Juli 1996 die gewährte Prozeßkostenhilfe insgesamt aufgehoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, auf ein etwaiges Verschulden des Beklagten bei der Nichteinhaltung seiner Ratenverpflichtung komme es nicht an; es genüge, daß ein Rückstand vorliege. Dagegen richtet sich die Erinnerung des Beklagten, der nicht abgeholfen worden ist.

II. Der Rechtsbehelf hat Erfolg.

1. Er ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 20 Nr. 4 c RPflG statthaft und seine Einlegung nicht fristgebunden (§ 127 Abs. 1 ZPO).

2. Der Rechtsbehelf ist begründet.

a) Gemäß § 124 Nr. 4 ZPO kann das Gericht die Bewilligung der Prozeßkostenhilfe aufheben, wenn die Partei länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate im Rückstand ist. Obwohl die Vorschrift ihrem Wortlaut nach nur einen "Rückstand" voraussetzt, nimmt die überwiegende Meinung an, daß damit ein - schuldhafter - Verzug gemeint sei (OLG Frankfurt FamRZ 1983, 1046, OLG Köln Rpfleger 1984, 200, 20l; OLG Hamm FamRZ 1986, 1127; OLG Düsseldorf JurBüro 1987, Spalte 914; OLG Bamberg JurBüro 1992, 250, 251; OVG Saarland JurBüro 1988, Spalte 370 f; LG Marburg Rpfleger 1994, 469, 470; MünchKomm-ZPO/Wax, § 124 Rdn. 15; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO 55. Aufl. § 124 Rdn. 53; Thomas/Putzo, ZPO 19. Aufl. § 124 Rdn. 5; wohl auch Stein/Jonas/Borck, ZPO 21. Aufl. § 124 Rdn. 25). Nach einer Gegenmeinung erfordert zwar nicht der Begriff des Rückstands ein Verschulden, doch hat das Gericht im Rahmen der von ihm zu treffenden Ermessensentscheidung ("kann" aufheben) zu berücksichtigen, ob der Rückstand unverschuldet ist (OLG Bremen FamRZ 1984, 411, 412; LAG Niedersachsen JurBüro 1985, Spalte 1575, 1576 mit zustimmender Anmerkung von Mümmler; LG Dortmund JMBl NW 1983, 162; LG Tübingen Rpfleger 1984, 478; Zöller/Philippi, ZPO 19. Aufl. § 124 Rdn. 19; Schoreit/Dehn, Beratungshilfe Prozeßkostenhilfe 4. Aufl. § 124 ZPO Rdn. 15; Schneider MDR 1985, 529, 532). Dies entspricht der amtlichen Begründung der Bundesregierung zu § 122 Abs. 1 des Gesetzentwurfs über die Prozeßkostenhilfe (BT-Drucks. 8/3068 S. 31).

Unabhängig von der Art der Begründung ist ein Widerruf nach der genannten Bestimmung jedenfalls unzulässig, wenn die Nichtzahlung der Raten nicht auf einem Verschulden des Bedürftigen beruht (ebenso KG JurBüro 1984, Spalte 1251, 1252; OLG Zweibrücken Rpfleger 1992, 117; OLG Hamm Rpfleger 1992, 257; SchlHOLG JurBüro 1993, 691; LAG Düsseldorf JurBüro 1984, Spalte 616, 617). Dabei ist das Gericht nicht an die Feststellungen und Bewertungen im Rahmen des ursprünglichen Bewilligungsbeschlusses gebunden (KG und OLG Düsseldorf, jeweils aaO.; OLG Hamm FamRZ 1986, 1127; im Ergebnis auch OLG Bremen, OLG Köln und OLG Bamberg, jeweils aaO.; MünchKomm-ZPO/Wax aaO. Rdn. 16; Baumbach/Lauterbach/Hartmann aaO. Rdn. 54). Jedenfalls für die Verschuldensprüfung erwachsen die der früheren Anordnung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen nach allgemeinen Regeln nicht in Rechtskraft.

Das Gericht darf die Bewilligung also nicht allein mit der Begründung aufheben, der Bedürftige habe keine nachträgliche Änderung der Verhältnisse dargetan. Vielmehr hat das Gericht grundsätzlich auch neuen Vortrag darüber zu berücksichtigen, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse des Bedürftigen von Anfang an ungünstiger waren als vom Gericht angenommen.

b) Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte nach der Anordnung des Senats Raten ab 1. Mai 1995 zu entrichten. Durch Vorlage des Beschlusses des Konkursgerichts vom 21. April 1995 hat er glaubhaft gemacht, daß seine Arbeitgeberin zu dieser Zeit schon nicht mehr zahlungsfähig war. Bei einer 55jährigen Partei liegt es nahe, daß sie nicht sofort eine andere zumutbare Arbeitsstelle findet. Demgemäß kann die Erklärung in der eidesstattlichen Versicherung des Beklagten vom 25. September 1995 auf den gesamten vorangegangenen Zeitraum seit dem Zusammenbruch der Firma des Beklagten bezogen werden. Dann war dieser nicht in einer Weise leistungsfähig, die für Ratenzahlungen - erst recht nicht in der festgelegten Höhe - ausgereicht hätte.

Zwar hätte der Beklagte einen wesentlichen Teil der Angaben dem Senat bereits im Bewilligungsverfahren unterbreiten können. Das allein läßt seine Nichtzahlung jedoch nicht schon als schuldhaft erscheinen. § 124 Nr. 2 ZPO gilt nicht für unvollständige Angaben, soweit die Vervollständigung allein dem Antragsteller selbst genützt hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2993451

BB 1997, 547

NJW 1997, 1077

NJW-RR 1997, 699

JurBüro 1997, 367

EzFamR aktuell 1997, 143

EzFamR aktuell 1997, 190

MDR 1997, 396

Rpfleger 1997, 265

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